Tag der Befreiung in Stuttgart – Rede Roman Zitzelsberger

geschrieben von Roman Zitzelsberger

13. Mai 2015

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Roman Zitzelsberger, Bezirgsleiter der IG Metall Baden-Württemberg am 9. Mai in Stuttgart   1. Nie wieder Faschismus Anrede, vor 70 Jahren ging der 2. Weltkrieg zu Ende. Und mit ihm der Nationalsozialismus in Deutschland. Die Folgen der zwölfjährigen Gewaltherrschaft und Angriffskriegen von deutschem Boden aus waren verheerend: Hunderte Millionen Menschen waren körperlich geschädigt und seelisch traumatisiert. Mehr als 60 Millionen Zivilisten und Soldaten fanden den Tod. Sechs Millionen Juden fielen einem systematischen Massenmord zum Opfer. Hunderttausende Sinti und Roma, Schwule, politisch Andersdenkende wurden in Lagern erniedrigt und ermordet. Hinzu kam die gezielte Tötung von Menschen, die von den Nazis aufgrund von Behinderungen als nicht lebenswert erachtet wurden. Um nur einige Zahlen und Opfergruppen zu nennen. Anrede, diese Zahlen hören sich nüchtern an. Sie sind in Wahrheit unfassbar. Keiner von uns Nachgeborenen kann ermessen, wie viel Leid und Elend die Völker Europas und darüber hinaus ertragen mussten. Jedes dieser Opfer verpflichtet uns heute und auch für die Zukunft: Das darf sich nie wieder wiederholen! Deshalb teile ich die Überschrift zum Aufruf zu der heutigen Veranstaltung: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg von deutschem Boden! Anrede, bei den Gedenkfeiern zum 70igsten Jahrestags des Kriegsendes fallen – in unterschiedlichen Varianten – stets die gleichen drei Sätze: Erstens: Der 08. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung. Zweitens: Niemals darf man den 08. Mai 1945 vom 30. Januar 1933 trennen. Drittens: Wir sind nicht für die Geschichte (persönlich) verantwortlich, wohl aber dafür, was aus ihr wird. Ich stimme allen dreien voll und ganz zu. Niemand kann bestreiten, dass Europa am 08. Mai 1945 vom Faschismus in seiner menschenverachtendsten Ausprägung befreit wurde. Niemand kann leugnen, dass alles Leid der unmittelbaren Nachkriegszeit nur als Folge des NS Regimes und seiner Menschheitsverbrechen zu verstehen ist. Niemand kann widersprechen, dass wir Deutschen vor einer besonderen und immerwährenden Verantwortung stehen, die richtigen Schlüsse aus der dunklen Vergangenheit zu ziehen. Anrede, diese Sätze sind richtig. Aber – und dies ist mir wichtig – sie dürfen niemals Endpunkt der Debatte sein. Sondern immer nur der Einstieg! Sonst droht ein Gedenken, welches mit steigendem zeitlichem Abstand zur Routine verkommt. Professionell abgewickelt. Gekonnt inszeniert. Mit nachlassender Erregung. Die Frage, warum Hitler entgegen der üblichen Begrifflichkeit die Macht gar nicht erst ergreifen musste, weil sie ihm nahezu widerstandslos übergeben wurde, gerät dabei leicht in den Hintergrund. Oder wird zur Beantwortung an zeitgeschichtliche Forschungsinstitute delegiert. Dabei ist doch eines offensichtlich: Nur wenn wir verstehen, wie es soweit kommen konnte, sind wir für die Zukunft gewappnet, sensibel und wachsam. Ich will dies – in meiner Funktion als Gewerkschafter – verdeutlichen. Immer in dem Bewusstsein, dass jeder von uns dort gefordert ist, wo er auch Verantwortung trägt. In den 1930er Jahren waren die Gräben zwischen Sozialdemokraten und Freien Gewerkschaften einerseits und Kommunisten andererseits tief. Während erstere letzten vorwarfen, Befehlsempfänger Moskaus zu sein, konterten letztere mit der „Sozialfaschismus“- Theorie. Eine „Einheitsfront“ zur Verteidigung der Republik war angesichts der Feindschaft zwischen ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) und RGO (Revolutionäre Gewerkschaftsopposition) weder gewollt noch möglich. Dies führte, vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, Jahren der politischen Instabilität und rechter Demagogie – zu dem bekannten Ergebnis: Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt und die Gewerkschaften – trotz oder vielleicht auch wegen einer Politik der Anbiederung an das neue Regime – aufgelöst, verboten und in Person der Spitzenfunktionäre verfolgt, eingesperrt, ermordet. Insgesamt mit einiger Berechtigung wohl das schwärzeste Kapitel der deutschen Arbeiterbewegung bzw. deren Organisationen. Die Konsequenz dieser Rückschau liegt auf der Hand: Von dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft, also der gemeinsamen Vertretung der wirtschaftlichen Interessen der abhängig Beschäftigten – unabhängig von ihrer politischen Einstellung – rücken wir DGB-Gewerkschaften keinen Millimeter ab. Oder, um es mit den Worten des ehemaligen Bezirksleiters der IG Metall Baden-Württemberg Willi Bleicher zu sagen: Wir hüten die Einheitsgewerkschaft wie unseren Augapfel“. Das ist – um Missverständnisse zu vermeiden – keine Einladung zur Beliebigkeit (siehe auch Satzung IGM/DGB; Unvereinbarkeit). Sondern Ausdruck dessen, dass wir im Kampf gegen Rassismus, Sozialdarwinismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus im demokratischen Raum grundlegende Gemeinsamkeiten und aktive Verbündete suchen. Und nicht das Trennende, das es bezogen auf Teilaspekte und Einzelbewertungen immer geben wird, in den Vordergrund stellen. Um es klar zu sagen: Wenn es darum geht, die Würde des Menschen zu verteidigen, sie zu wahren, sie gegen Übergriffe zu schützen, dann muss die Allianz breit sein. Dann geht es nicht um die reine Lehre. Nicht um Rechthaberei. Nicht um Interpretationshoheiten und das Bedürfnis nach Abgrenzung. Sondern ums Ganze. Um die Bedingungen von Humanität. Oder um es anders zu formulieren: Eine breite Allianz unter Beteiligung von Gewerkschaften, christlichen Kirchen, religiösen Dachverbänden, den heute im Bundestag vertretenen Parteien, Organisationen der Zivilgesellschaft und engagierten Bürgerinnen und Bürgern ist im Kampf gegen Ausgrenzung und Hass eben keine Alternative von vielen. Sondern auf längere Sicht die eine (einzige) zum Scheitern. Wir Gewerkschaften werden auch in Zukunft entschieden für eine offene, friedliche, sozial integrative und bunte Gesellschaft eintreten. In den Betrieben, aber auch auf der politischen Bühne. Wir fordern auch weiterhin ein Verbot der NPD und aller neofaschistischen Organisationen und Kameradschaften! Sowie die politische Auseinandersetzung mit den Rattenfängern von PEGIDA und dem rechten Rand der AfD. Und wir appellieren an die Bundesregierung und an die Länder, ihre Anstrengungen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu verstärken (hier ggf. Verweis auf Bildungszeitgesetz BaWü). 2. Nie wieder Krieg Anrede, ein Blick über unsere Grenzen hinweg zeigt. Die Forderung nach „Nie wieder Krieg“ ist der Sieg des Wunsches über die Wirklichkeit. Auch wenn es sich verbietet, alles in den sprichwörtlichen einen Topf zu schmeißen: In der Ukraine, in Syrien, im Irak, im Jemen und an unzähligen anderen Orten ist Krieg die bittere Realität. Sterben täglich Menschen. Für keinen dieser Konflikte vermag ich eine einfache Lösung zu erkennen. Zumal sich einfach rauszuhalten auch eine Form der Parteinahme darstellt. Und zwar für die jeweils militärisch stärkere Partei. Verweise darauf, dass jeder dieser Konflikte eine Vorgeschichte hat, der Ursprung auch oder vielleicht gerade im Versagen des „Westens“ hat, hilft für die Zukunft, nicht aber bezogen auf die aktuelle Situation. Ich gebe offen zu: Bei mir mischt sich Trauer mit Ratlosigkeit. Zwei Dinge aber erscheinen mir von besonderer Bedeutung: Erstens: Wir stehen in der Verpflichtung, weitaus mehr Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, als dies die momentanen Kontingente zulassen. Wer hier eine Überforderung Deutschlands erkennt, dem rate ich seinen Blick auf die unmittelbaren Anrainerstaaten der Krisenländer zu werfen. Denn diese tragen – obgleich weit weniger wohlhabend – eine ungleich stärkere Last. Gerade wir Deutschen wissen, dass es zur Flucht oft keine Alternative gibt. Und weil dies so ist, müssen wir unsere Grenzen weiter öffnen. Verfolgten Menschen Schutz- und Asyl gewähren. Ihnen eine Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben in Frieden und Freiheit bieten. Das ist für mich ein Teil der Wiedergutmachung, so bescheiden dies auch anmuten mag. Zweitens: Waffen, die produziert werden, wollen auch verkauft werden. Es reicht auf mittlere Sicht nicht, die Exportbeschränkungen weiter zu verschärfen, so sehr dies auch zu begrüßen ist. Wir brauchen eine ernsthafte Debatte darüber, wie wir mit unserer Rüstungsindustrie umgehen wollen. Ich hege dabei durchaus Sympathien für eine Neuauflage der Konversionsdebatte. Wohlwissend, dass dies bezogen auf den konkreten Einzelfall alles andere als ein Selbstläufer ist. Was auch den Mangel an Erfolgsbeispielen erklärt. Denn für militärische Hochtechnologie gibt es aufgrund der technischen Spezifikationen keinen zivilen Markt, selbst dann nicht, wenn das Produkt dies auf den ersten Blick vermuten ließe. Die Beschäftigten einfach im Regen stehen zu lassen, ist für mich keine Option. Ein gesellschaftlich gewolltes Ziel muss auch unter Einbringung gesellschaftlicher Ressourcen erreicht werden. Und das gesellschaftliche Ziel muss lauten: Wir exportieren Diplomatie und das Bemühen um Frieden, Hilfe zur wirtschaftlichen Entwicklung, aber kein Kriegsgerät. Weil letzteres auch bei vermeintlich noblen Gründen leicht in falsche Hände gerät. Anrede, ich komme zum Schluss noch einmal auf Willi Bleicher zurück. Sein wohl bekanntester Ausspruch lautet: „Du sollst Dich nie vor einem lebenden Menschen bücken“.