Stolperstein für Ernst Thälmann und seine Familie in Singen verlegt

6. März 2018

AfD-Abgeordneter Gedeon hetzt gegen die Stolperstein-Verlegung für Familie Thälmann Stolpersteine als „Erinnerungs-Diktatur“?

Stolpersteine, ein Erinnerungskunstwerk für die Opfer des Nationalsozialismus, die der Künstler Gunter Demnig vor dem letzten Wohnort der Opfer verlegt, liegen mittlerweile in vielen Städten und Orten. Die Originalität dieser im Pflaster verlegten Steine besteht u. a. im Folgenden:
– Die Vita jedes Opfers, sein Leidensweg, wird recherchiert. Sein lokaler Bezug, seine Behandlung in der NS-Zeit wird erfahrbar. Der Anonymität, dem Vergessen, was geschah, wird die konkrete Opferbiographie dessen, der in diesem Haus gewohnt hat, gegenübergestellt. Geschichte vor Ort wird somit unmittelbar erfahrbar.
– Will der Betrachter die Inschrift auf dem Stein lesen, muß er sich herunterbeugen. Erinnerung und Respekt drücken sich in der Verbeugung aus.
Auch in der Industriestadt Singen am Hohen Twiel sind es über 70 Stolpersteine, die an Opfer –unabhängig von ihrer politischen und religiösen Zugehörigkeit – erinnern. Am 20. Februar sollten sieben weitere Stolpersteine verlegt werden. Im Vorfeld meldete sich der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon, dessen antisemitische Haltung hinreichend bekannt ist, mit einem Brief an Oberbürgermeister Bernd Häusler und die Stadträte zu Wort. Er forderte eine sofortige Beendigung der Stolpersteinverlegung. Denn das Aufzwingen einer solchen Erinnerungskultur durch „penetrante Moralisten“ sei eine „Erinnerungs-Diktatur“. Ein Stolperstein für den KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann sei eine Unmöglichkeit angesichts des diktatorischen stalinistischen Gesellschaftsentwurfs, den dieser politisch durchsetzen wollte.
Der Bericht und Kommentar in der örtlichen Zeitung „Südkurier“ nahm unmissverständlich Partei für die Stolpersteinverlegung. Die Einlassungen des AfD-Landtagsabgeordneten wurden als undemokratisch, als „unsinnig“ zurückgewiesen. Zahlreiche Leserbriefe im „Südkurier“ drückten ihre Empörung gegen den Verbotsantrag Gedeons aus. OB Häusler bekannte sich im Namen der Stadt ausdrücklich zu dem kulturellen, historischen und heutigen Erinnerungswert der Stolpersteine, die die Stadt auch weiterhin unterstützen werde. Hans-Peter Storz als Sprecher der Stolpersteininitiative Singen verwahrte sich gegen den Angriff des AfD-Abgeordneten, rückte dessen Argumentation in den Bereich der Holocaustleugnung.
Eine eindrucksvolle Zurückweisung erfuhr der AfDler Gedeon durch die zahlreichen Teilnehmer an der Stolpersteinverlegung. An allen vier Verlegeorten versammelten sich jeweils ca. 40 bis 80 Teilnehmer, unter denen, besonders erfreulich, eine Schulklasse mit ihrem Lehrer anwesend war. Gunter Demnig übergab der Bürgermeisterin Ute Seifried als Vertreterin des Oberbürgermeisters die zu verlegenden sieben Stolpersteine. Die Bürgermeisterin erläuterte in ihrer Dankesrede die zustimmende Haltung der Stadt Singen und verwahrte sich gegen den undemokratischen Angriff des AfDlers Gedeon.
In der Görrestraße 4 erinnert nun ein Stolperstein an den Kommunisten Julius Bader, der wegen seiner Widerstandstätigkeit 1933 verhaftet wurde und erst 1939 nach Zuchthaus- und KZ-Martyrium freikam. Die Recherche seiner Biographie hatte u. a. Roswitha Besnecker, die Witwe unseres ehemaligen VVN-BdA-Landessekretärs, durchgeführt.
An den Sozialdemokraten Maximilian Seebacher, 1943 verurteilt wegen Wehrkraftzersetzung, Gefängnisaufenthalt und in den Kampfmittelräumdienst gepresst, dort 1944 getötet, erinnert nun ein Stolperstein Am Posthalterwäldle 55.
Dem jüdischen Kaufmannsehepaar Hans und Johanna Kaiser, die 1938 in die USA flüchten mussten, wurden Stolpersteine in der Scheffelstraße 15 gesetzt.
Nach den Schmähungen des AfDlers Gedeon gingen die Teilnehmer, nicht ohne mulmiges Gefühl, zur Rielasinger Straße 180. War eine Störung durch die Rechtsradikalen zu erwarten? Lediglich ein Pärchen mit Dobermann informierte eifrig über Mobiltelefon. Angesichts der großen Teilnehmergruppe, unter denen sich die Tochter von Irma Vester, geb. Thälmann, und zwei Vertreter von Thälmann-Gedenkstätten befanden, verschwand das Pärchen.
Viktoria Hartmann hatte die Opferbiographien von Rosa und Ernst Thälmann sowie ihrer Tochter, Irma Vester, recherchiert. Kenntnisreich und unter Erläuterungen der unmenschlichen Haft- und KZ-Bedingungen stellte sie die Biographien vor. Rosa Thälmann und ihre Tochter verhafteten die Nazis 1944 und deportierten sie in das Frauen-KZ Ravensbrück, wo sie von sowjeti

schen Truppen 1945 befreit wurden. Der Wunsch Gunter Demnigs, auch einen Stolperstein für den KPD-Führer Ernst Thälmann zu setzen, der 1933 inhaftiert und gefoltert, der als persönlicher Gefangener Hitlers eingekerkert war und im KZ Buchenwald 1944 ermordet wurde, stieß bei den Mitgliedern der Stolpersteininitiative anfänglich auf Unverständnis, hatte Thälmann doch nie in Singen gewohnt. Im Rahmen einer nachträglichen Familienzusammenführung, so begründete Demnig diesen Stolperstein, fand er Zustimmung bei den Mitgliedern der Initiative.

Weitere Stolpersteine als „Denk-mal“, werden auch zukünftig mit Unterstützung der Stadt Singen gelegt werden. Deren Wichtigkeit ist durch den rechtslastigen Verhinderungsversuch des AfDlers Gedeon belegt. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! – diese Losung der Verfolgten des Naziregimes bleibt aktuell!
Hendrik Riemer