Der 8. Mai in Freiburg
11. Mai 2023
Die VVN-BdA Feiburg, das Bündnis Freiburg gegen Rechts und die Gruppe Gemeinsam Kämpfen riefen zur Kundgebung zum 8. Mai – und etwa 200 Menschen fanden sich am Antifaschistischen Mahmal beim künftigen NS-Dokumentationszentrum ein – trotz strömenden Regens. Der Schwerpunkt der kulturellen Beiträgen von Schauspielerin Natalia Herrera und Liedemacher Wolfgang Gerbig (Woger) lag auf dem Erinnern an die Verbrechen des Naziregimes, während sich die drei Redebeiträge vor allem mit dem heutigen antifaschistischen Auftrag und Verantwortung beschäftigten. Beim anschließenden Stadtrundgang mit VVN-Mitglied Rüdiger Binkle zu Orten des antifaschistischen Widerstands in Freiburg nahmen dann noch mehr als 50 interessierte Menschen teil – vor allem junge Leute.
Wir bedanken uns bei allen, die dabei wren und den Schwur von Buchenwald neu belebt haben. Unten abgedruckt, die Rede unserer Kameradin Erika Weisser.
Liebe Antifaschist:innen, liebe Freund:innen,
Am 8. Mai 1945 endete mit der militärischen Niederschlagung der Wehrmacht in Deutschland und Europa eine mörderische faschistische Gewaltherrschaft, die 12 Jahre gedauert und etwa 60 Millionen Menschen das Leben genommen hatte.
Für sie kam dieser Tag zu spät.
Für die aus verschiedenen Gründen Verfolgten und die Überlebenden in den Lagern aber, für die Zwangsarbeiter:innen und die Kriegsgefangenen, für die Deserteure und die Widerstandskämpfer:innen, die der eigens eingerichteten gnadenlosen Todesstrafen-Maschinerie noch nicht zum Opfer gefallen waren, für die Menschen in den von den Nazis mit Krieg überzogenen Ländern und die Geflüchteten, die nach gefahrvollen Odysseen nicht überall Aufnahme fanden, war der 8. Mai ein Tag der Befreiung. Ein Tag, der Visionen eröffnete für ein anderes, von Kriegen und Unterdrückung freies Zusammenleben der Menschen auf der Welt.
Das ist er für uns noch heute. Und er sollte längst ein gesetzlicher Feiertag sein, so wie die Auschwitz-Überlebende und spätere VVN-BdA-Ehrenvorsitzende Esther Bejarano dies 2020, zwei Jahre vor ihrem Tod, in der von ihr initiierten Kampagne gefordert hatte. Dabei sollte – und soll – der 8. Mai nicht einfach ein Feiertag mehr im Jahreslauf sein – und sicher auch kein Nationalfeiertag mit militärischen Paraden oder Sonntagsansprachen, in denen Politiker:innen unsere „vorbildliche Vergangenheitsaufarbeitung“ rühmen. Oder in denen von der durch Extremisten bedrohten „fragilen Demokratie“ die Rede ist. Oder gar vom angeblichen „Geschenk der Versöhnung“, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht erst vor drei Wochen zum 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto einfach behauptete.
Als ob es angesichts derartiger Verbrechen gegen die Menschheit jemals Versöhnung geben könnte!
Der 8. Mai als Feiertag sollte – und soll – vielmehr ein Anlass sein, der daran gemahnt, alles dazu zu tun, dass ein derart mörderisches Regime keine Chance bekommt, jemals wieder die Macht zu erlangen oder auch nur an der politischen Macht beteiligt zu werden. Ein Anlass also, der außer über das historische Gedenken hinaus zu antifaschistischem Aktivwerden und Handeln in der Gegenwart anregen und aufrufen muss. Denn dass ein Feiertag allein einen neuen Faschismus nicht verhindert, zeigt sich in Italien, wo der 25. April als Tag der Befreiung vom Faschismus zwar begangen wird, wo mit Giorgia Meloni dennoch eine offen als Mussolini-Anhängerin auftretende Neofaschistin Ministerpräsidentin wurde.
Dass es in der Bundesrepublik Deutschland einen solchen gesetzlichen Antifaschismus-Tag bisher nicht gibt, dass es 40 Jahre dauern sollte, bis ein Bundespräsident, Steinmeiers Vorgänger Richard von Weizsäcker es wagte, überhaupt von Befreiung zu sprechen, liegt daran, dass das Ende des Hitler Faschismus in Deutschland von vielen als Niederlage definiert wurde – und 38 Jahre nach Weizsäckers Rede immer noch wird: Völkische, nationalistische und rassistische Herrenmenschenideologien, die in der Mitte der Gesellschaft entstanden und in der NSDAP ihren politischen Ausdruck fanden, hörten damals nicht auf und wurden in den folgenden Jahren auch nicht aus den Köpfen verbannt. Und sie sind heute wieder so virulent und so weit verbreitet, dass sie erneut zur realen Gefahr für die ganze Gesellschaft werden. Zumal die politischen Voraussetzungen für die Naziherrschaft nie wirklich überwunden wurden.
Heute ist es hauptsächlich die AfD, die im Verbund mit anderen rechten und faschistischen Gruppierungen den durch Krisen, Sozialabbau, Abstiegsängste, Kriegstreiberei und der daraus abgeleiteten Hetze verunsicherten und nach Orientierung suchenden Bundesbürgern suggerieren, dass eine Regierung der starken Hand, eine starke Volksgemeinschaft unter Ausgrenzung angeblich kulturfremder und damit nicht integrierbarer Menschen die Lösung aller Probleme sei – in einem Deutschland, dem „in einer neuen europäischen Wirtschaftsordnung vom Atlantik bis zum Ural eine führende Rolle“ zukommen müsse. So zumindest formuliert es die AfD in ihrer so genannten „Friedensinitiative“ zum russischen Krieg in der Ukraine, in der sie u.a. beklagt, dass die dortigen Kriegslasten „dem unbeteiligten deutschen Volk aufgezwungen werden“.
Derlei Parolen gab es vor 95 Jahren schon einmal. Und sie hätten spätestens damals, 1928, mit einer starken und sich einigen antifaschistischen Bewegung zurückgedrängt werden müssen. Erich Kästner, dessen Schriften unter denen waren, die der NS-Propagandaminister Goebbels bei der von ihm selbst organisierten Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin ins Feuer warf, sagte nach dem Ende des Faschismus: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. … Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben“.
Doch die linken und antifaschistischen Kräfte fanden nicht zusammen, sondern blieben gespalten, zerstritten sich und zersplitterten zusehends. Mit dem Ergebnis, dass die bei den Reichstagswahlen in jenem Jahr mit 2,6 Prozent der Stimmen einigermaßen geschwächten Faschisten – gegenüber mehr als 40 Prozent von KPD und SPD – in den folgenden fünf Jahren ihren Weg zur absoluten politischen Macht im Land erfolgreich fortsetzen konnte. Durch Demagogie, Hetze und Terror und gestützt von Kapitalinteressen und wohlwollenden Politikern der bürgerlichen Parteien gelang es der NSDAP, bis zur nächsten Reichstagswahl 1930 ihre Wählerstimmen auf 18,3 Prozent zu erhöhen, im Juli 1932 dann auf 37,4 Prozent.
Was dann geschah, wissen wir weniger aus Geschichtsbüchern als aus den Erzählungen und Analysen eben jener eingangs erwähnten Überlebenden. An sie und alle, die verfolgt, geschunden und ermordet wurden und den 8. Mai 1945 nicht mehr erlebten, zu erinnern ist einer der Gründe, dass wir uns heute hier versammeln.
Im Mai 1928 war auch Joseph Goebbels Reichstagsabgeordneter geworden. Zuvor hatte er in der Berliner Parteizeitung „Der Angriff“ geschrieben: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir!
Man hätte also wissen können, was da droht. Und man weiß es vor allem heute. Von der offiziellen Politik und deren Parteien sowie den Gerichten wird indessen nicht entschlossen genug gegen Faschisten vorgegangen, u.a. mit dem Argument, dass eine bei demokratischen Wahlen zugelassene Partei schließlich demokratisch sei. Dass sich die heutigen Wölfe nur einen demokratischen Schafspelz umgelegt und Kreide gefressen haben, wird dabei schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Dabei lassen die immer dreister auftreten neuen Wölfe ihre wahren Ziele gelegentlich auch aufblitzen: Als die AfD 2017, also knapp 90 Jahre nach Goebbels unverblümter Drohung, mit 12,6 Prozent oder fast 6 Millionen Wählerstimmen zum ersten Mal in den Bundestag einzog, kündigte ihr künftiger Fraktionsvorsitzender Gauland an: „Wir werden sie jagen“.
Zwar ging ihr Anteil 2021 auf 10,3 Prozent zurück, doch waren es immer noch 5 Millionen Menschen, die diese Nazi-Partei wählte, die immer mehr auf den Kurs von Björn Höcke geht, der nach einem rechtskräftigen Gerichtsurteil sogar Faschist genannt werden darf. Wer sich über diesen Kurs und die Ziele der AfD informieren will, die Umfragen zufolge wieder mit Zugewinnen und in manchen Bundesländern bei den kommenden Landtagswahlen gar damit rechnen kann, stärksten Partei zu werden, der/die nehme sich seine Rede vor, die er am 3. Oktober 2022 in Gera hielt – vor 10 000 Zuhörern! Sie ist auch auf der Homepage der Bundes-VVN-BdA dokumentiert.
Für heute hat er angekündigt, bei der Montagsdemo in Weimar aufzutreten, also nicht weit von der Gedenkstätte des KZ Buchenwald – mit einer Rede zum 8. Mai.
Ihr seht also: Es gilt nicht nur, Faschisten bei Wahlen zurück- und aus den Parlamenten hinauszudrängen. Sondern sie überall zu entlarven und ihnen überall Boden zu entziehen. Das geht jedoch nur mit einer Antifaschistische Bewegung, die sich einig ist und Trennendes überwindet. Auch das muss eine Lehre aus der Geschichte sein.
Der gemeinsame Feind steht rechts, wie der Freiburger Reichskanzler Joseph Wirth schon 1922 sagte. Und es gibt keine übereinstimmenden Positionen – auch wenn das, gerade in der aktuellen Auseinandersetzung um Krieg und Frieden, der einen oder dem anderen manchmal so erscheinen mag. Eingkeit kann es nur gegen Faschisten geben, Faschismus muss überall bekämpft werden, wo er uns begegnet. Denn, wie der Kommunist, Widerstandskämpfer und VVN-Aktivist Peter Gingold 2009 in seiner Lebensgeschichte uns alle mahnte:
„1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle künftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.
Seien wir uns einig: Alle zusammen gegen den Faschismus!