Alfred Hausser Preis 2023

13. Februar 2023

Die VVN-BdA Baden-Württemberg verleiht 2023 zum achten Mal den Alfred Hausser-Preis.

Alfred Hausser (27.08.1912 bis 12.08.2003) hat von Jugend an als Gewerkschafter, mit seinem Widerstand in der Nazizeit und seinem lebenslangen antifaschistischen Engagement gezeigt, dass humanistische Werte für unsere Gesellschaftsentwicklung und konkrete Arbeit gegen das Vergessen zusammen gehören. Sein Leben galt der Aufklärung über die Ursachen des Faschismus und dem Kampf gegen den Neofaschismus. Besondere Verdienste erwarb er sich mit seinem jahrzehntelangen Einsatz für die Wiedergutmachung der vom Naziregime Verfolgten und für die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Schon 1934 wegen Widerstandsaktionen verhaftet und 1936 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, musste er während seiner Haftzeit Zwangsarbeit für die Firma Bosch leisten. Wegen seines Widerstandes gegen den Faschismus musste er bis zur Befreiung 1945 über zehn Jahre Haft erdulden. Er war und ist Vorbild im Kampf gegen alte und neue Nazis.

Bisher ging der Preis an

  • 2016: Projekt „Zwangsarbeit“,Schüler/innen-Arbeitsgruppen der Integrierten Gesamtschule Mannheim-Herzogenried
  • 2008: Projekt über das Schicksal der Familie Schneck/ Guttenberger, Hauptschule Stuttgart-Ostheim
  • 2010: Film und Lied über das KZ Oberer Kuhberg, GHWRS Ulm
  • 2014: Barrierefreier Stadtrundgang zu Orten der NS-Verfolgung und des Widerstands, Stadtjugendring Stuttgart, Nikolauspflege und Alex-Club Körperbehindertenverein
  • 2016: Ausstellung zur Entführung von Kindern aus von den Nazis besetzten Ländern, Verein „Geraubte Kinder – vergessene Opfer“
  • 2018: Führungen, Zeitungsartikel, Zeitzeugengespräche, Podiumsdiskussionen zu „Tübingen im Nationalsozialismus“, Jugendguides der Geschichtswerkstatt Tübingen
  • 2021: Tulla-Realschule Mannheim (Erinnerungsprojekt an Opfer der Zwangssterilisation) und Sonderpreis für das Buch „Waldkirch im Nationalsozialismus“.

Sich bewerben oder vorgeschlagen werden können:

  • örtlich-regionale Geschichtsinitiativen und Geschichtswerkstätten
  • Vereine
  • Schulklassen (mit Lehrer/innen)
  • VVN-BdA – Gliederungen

Zielsetzung der Projekte

Der Alfred Hausser-Preis wird vergeben für Projekte, die der Erforschung und Vermittlung örtlicher oder regionaler Ereignisse und Entwicklungen unter dem Naziregime dienen, um die Erinnerung an den Widerstand, die Verfolgten und die Opfer des Faschismus bewahren zu helfen. Dies schließt Beiträge zur Geschichtsarbeit ein, die verharmlosende, beschönigende und verfälschende Darstellungen offen legen, dem Verschweigen entgegenwirken.

Weitere Beispiele für Bewerbungen sind: Projekte der Spurensicherung – auch der Sicherung von Zeitzeug/innen-Berichten – , Erinnerungstafeln, Veröffentlichungen, Geschichtslehrpfade, Veranstaltungen und Initiativen, die sich den oben genannten Zielen widmen.

Stets drückten die in der Vergangenheit ausgezeichneten Projekte – und auch die nicht zum Zug gekommenen Nominierungen – die Wertschätzung für und die Verbundenheit mit antifaschistischer Erinnerungsarbeit und politischer Arbeit auf einem bestimmten Feld für gemeinsame Anliegen aus.

Bewerbungsgrundlagen

Eine Kurzdarstellung der jeweiligen Gruppe oder Initiative und eine Kurzbeschreibung des abgeschlossenen oder in Planung befindlichen Geschichtsprojektes sind in schriftlicher Form (per Brief, Fax oder E-Mail) an das Landesbüro der VVN-BdA Baden – Württemberg zu richten. Dort sind auch weitere Informationen zu erhalten.

Bewerbungsschluss ist diesmal der 31. Mai 2023.

Die Auswahl der Preisträger/innen erfolgt aufgrund des Vorschlags des Beirats durch den Landesvorstand. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Der Preis wird im Rahmen der Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA Baden-Württemberg übergeben, die voraussichtlich am 22. Juli 2023 in Pforzheim stattfindet. Der Preis setzt sich zusammen aus einer finanziellen Förderung in Höhe von 500 Euro, einer Förderung und Beratung des Projektes durch Beiratsmitglieder, Hilfe des Beirats zur Ermittlung weiterer Förderungsmöglichkeiten, einer Urkunde und dem Buch über Alfred Hausser „Nur wer sich selbst aufgibt ist verloren“. Der Beirat –  die Jury des Alfred-Hausser-Preises –  setzt sich zusammen aus engagierten Persönlichkeiten aus der Gewerkschafts- und Gedenkstättenarbeit, die zum Teil noch Alfred Hausser persönlich durch enge Zusammenarbeit nahe standen.

Krieg stoppen, Frieden vorbereiten.

27. März 2023

Wir rufen auf zum Ostermarsch am 8. April in Stuttgart

Karsamstag  8. April  2023 – 12 Uhr Stuttgart Schlossplatz

Wir lehnen Krieg als Mittel der Politik ab und verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der seit dem 24. Februar 2022 zu unzähligen Toten und Verletzten sowie zu Millionen Geflüchteten geführt hat. Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten allen Opfern dieses Krieges und aller anderen Kriege, die in Vergessenheit geraten sind. Wir stehen an der Seite der Menschen in der Ukraine, in Russland und weltweit, die für einen Stopp des Krieges und eine friedliche Zukunft eintreten.

Kriege und Aufrüstung bedeuten Rückschläge im Kampf gegen die Klimakrise. Sie verstärken die globalen Nahrungsmittelkrisen, treiben die Energie- und Lebensmittelpreise weltweit in die Höhe und treffen so besonders die Armen der südlichen Halbkugel.

Wir verurteilen die jahrelange Politik der Aufrüstung und der Konfrontation. Die NATO-Osterweiterung hat nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu Krieg und einer andauernden Gefahr auch der atomaren Konfrontation geführt.

Nein zur „Zeitenwende“ und Aufrüstung

Schnell nach dem Beginn des Krieges wurde von der Bundesregierung die sogenannte „Zeitenwende“ ausgerufen. Unter der Bezeichnung „Sondervermögen“ wurden Schulden in Höhe von 100 Mrd. € für die Bundeswehr beschlossen – stattdessen brauchen wir dieses Geld für das Gesundheitssystem, für Bildung, für Klimaschutzmaßnahmen und sozialen Wohnungsbau. Größter Gewinner dieser „Zeitenwende“ sind Rüstungskonzerne und das Militär. Verlierer*innen sind wir alle, da dieses Geld bei sozialen Projekten zusätzlich fehlen wird.

Der Logik des Krieges widerstehen

Je mehr schwere Kriegswaffen geliefert werden, desto größer ist das Risiko, dass der Krieg weiter eskaliert. Je länger der Krieg dauert, umso mehr droht die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung. Aktuell steht die Weltuntergangsuhr des renommierten „Bulletin of the Atomic Scientists” auf 90 Sekunden vor Mitternacht. Die Welt ist ihrer Vernichtung so nahe wie noch nie zuvor.

Wir stehen an der Seite derer in Russland und der Ukraine und überall auf der Welt, die der Logik des Krieges widerstehen: Zum Beispiel durch zivilen Widerstand, gewaltfreie Aktionen, Desertion oder Kriegsdienstverweigerung.

Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten

Schon vor Beginn des Ukrainekrieges erreichten die globalen Rüstungsausgaben ein Rekordniveau von 1951 Milliarden Euro. Der Ukrainekrieg heizt das weltweite Wettrüsten weiter an. Die von der Bundesregierung, EU und NATO beschlossene milliardenschwere Aufrüstung tragen dazu bei. Krieg und Aufrüstung blockieren eine sozial- und klimagerechtere Zukunft.

Sicherheit kann nicht gegeneinander, sondern nur gemeinsam erreicht werden: Für umfassenden Frieden und eine enkelgerechte Zukunft jenseits militärischer Bündnisse braucht es ziviles Engagement, vertrauensbildende Maßnahmen und eine fruchtbare Zusammenarbeit zum gemeinsamen Nutzen auf Augenhöhe. Wichtig bleiben der kulturelle Austausch, die Städtepartnerschaften und Begegnungen, auch mit den Menschen in der Ukraine, Belarus und Russland.

Unsere Forderungen an die Bundesregierung lauten:

  • Einsatz für eine diplomatische Friedensoffensive – für einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine.
  • Unterstützung vertrauensbildender Maßnahmen zwischen den Kriegsparteien unter international anerkannten Vermittlern.
  • Keine Erweiterung der NATO: Gemeinsame Sicherheit schaffen!
  • Stopp aller Rüstungsexporte, auch in die Ukraine! Konversion von Rüstungsunternehmen und militärischen Liegenschaften.
  • Beitritt Deutschlands zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag: Abzug der Atomwaffen aus Büchel. Keine nukleare Teilhabe und keine Aufrüstung der Bundeswehr mit neuen Atombombern.
  • Kein weiterer Ausbau der EU zur Militärunion – Stopp neuer europäischer Rüstungsprojekte wie z. B. FCAS (Future Combat Air System)
  • Stopp aller Auslandseinsätze und Missionen der Bundeswehr! Keine bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr!
  • Schließen der US-Kommandozentralen EUCOM und AFRICOM in Stuttgart.
  • Keine Militarisierung der Gesellschaft und keine Wiedereinführung der Wehrpflicht!
  • Kein Werben fürs Sterben! Mehr Friedensbildung statt Bundeswehr in Bildungseinrichtungen und auf Ausbildungsmessen. Keine Rekrutierung von Minderjährigen.
  • Abrüsten statt Aufrüsten: für bessere Bildung, sozialen Wohnungsbau, Gesundheit und Klimaschutz!
  • Stopp der katastrophalen Wirtschafts- und Finanzblockaden, unter denen Millionen Menschen weltweit leiden.
  • Aufnahme aller Kriegsflüchtigen und Asyl für alle Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. FRONTEX abschaffen!
  • Keine Doppelstandards beim Eintreten für die Einhaltung des Völkerrechts.
  • Übergang zu einem sozial-ökologischen, solidarischen Wirtschaftssystem und Angleichung der weltweiten Lebensverhältnisse.

Gegen den Bandera-Kult

6. März 2023

In ihrem offenen Brief an den Freiburger Gemeinderat fordert unsere VVN-BdA Kreisvereinigung Freiburg selbigen dazu auf, sich kritisch mit der Ikonisierung Banderas in Freiburgs ukrainischer Partnerstadt Lviv auseinanderzusetzen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Martin Horn,
sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach,
sehr geehrte Gemeinderät:innen,

vor wenigen Tagen jährte sich der Beginn des völkerrechtswidrigen Kriegs Russlands in der Ukraine. Von den mit beiderseits zunehmender Verhärtung ausgefochtenen Kämpfen sind auch unzählige Zivilist:innen betroffen, darunter in Lviv, der westukrainischen Partnerstadt Freiburgs. Seither hat sich die Städtepartnerschaft intensiviert; mit Spenden und Mitteln aus dem städtischen Haushalt wurden dringend benötigte Medikamente und Hilfsgüter des täglichen Bedarfs beschafft und deren Transport nach Lviv finanziert. Ebenso leistet die Stadtverwaltung vor Ort technische und logistische Hilfe, etwa mit der Lieferung von bisher 12 Groß-Generatoren für die Wasser-, Strom- und Fernwärmeversorgung – etwa im Notfallkrankenhaus, für das auch medizinisches Gerät zur Verfügung gestellt wurde.

Die VVN-BdA Freiburg begrüßt dieses große zivile Engagement und diese anhaltende praktische Solidarität mit den Einwohner:innen der Partnerstadt ausdrücklich. Wir finden es richtig und wichtig, für die von lokalen und regionalen infrastrukturellen Zerstörungen betroffenen Menschen humanitäre Hilfe zu leisten und Vertriebene aufzunehmen. Die Unterstützung der Zivilbevölkerung in Kriegs- oder anderen Katastrophensituationen zeichnet lebendige Städtepartnerschaften aus und zählt zu den Selbstverständlichkeiten gelebter internationaler Solidarität. Diese Solidarität kann nach unserer Auffassung allerdings nicht für nationalistische, militaristische, rassistische und/oder faschistische Ideologien gelten. Auch und insbesondere dann nicht, wenn sie von offizieller Seite gefördert oder geduldet oder sich gar von öffentlichen Repräsentanten zu Eigen gemacht werden. Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, dass die Vertreter:innen der Stadt Freiburg die – schon vor dem jetzigen – in Lviv besonders gepflegte Verehrung für den als Helden gefeierten Nationalisten Stepan Bandera im direkten Austausch mit den Amtsinhaber:innen aus der Partnerstadt nicht thematisieren. Zumindest ist uns davon nichts bekannt.

Stepan Bandera, 1909 im damals habsburgischen Ostgalizien geboren, schloss sich während seines Studiums in Lviv der 1929 von Andryj Melnyk gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) an und stieg schon 1930 in deren Führungskader auf. Lviv gehörte als Teil der Westukraine seit der 1921 erfolgten Aufteilung des Landes zwischen Polen, Russland und der Tschechoslowakei zu Polen. 1934 wurde Bandera wegen seiner Rädelsführerschaft bei gezielten Massakern der OUN an der polnischen Zivilbevölkerung und bei der Ermordung des polnischen Innenministers Bronisław Pieracki zunächst zum Tode und dann zu lebenslanger Haft verurteilt, aus der er 1939, nach dem deutschen Überfall auf Polen, aber entlassen wurde. Im von den Nazis besetzten Krakau arbeitete er unter dem Decknamen Konsul II mit dem Nachrichtendienst der Wehrmacht zusammen und sorgte dafür, dass Kampfverbände der OUN in der Wehrmacht für den von Hitler längst geplanten Krieg gegen Sowjetrussland ausgebildet wurden. Freiwillige dieser Bataillone Nachtigall und Roland kämpften später in der 14. SS Waffen-Grenadier-Division, der galizischen Nr. 1.

1940 betrieb Bandera die Spaltung der OUN und wurde Chef der OUN-B, die im Gegensatz zu Melnyks OUN-M deutlich faschistische und radikal antisemitische Ideologien vertrat. Sein Ziel: Die Befreiung der im Zuge des Nichtangriffspakts zwischen Hitler und Stalin von der Sowjetunion besetzten Westukraine, der Sieg über die Rote Armee und der Aufbau eines Nationalstaats mit einer „ethnisch sauberen“ Bevölkerung. Aus den programmatischen Schriften der OUN-B geht hervor, dass in dieser Ukraine kein Platz für Polen, Russen, Juden sowie Sinti und Roma sein sollte. Entsprechend wurden diese Menschen ab dem 22. Juni 1941, als die Wehrmacht mit aktiver Unterstützung der Banderisten auch in der heutigen Ukraine einfiel, von der UPA, dem militärischen Arm der OUN-B, ermordet – in Kollaboration mit deutschen Einheiten. Am 30. Juni 1941 marschierte die Wehrmacht in Lviv ein, wo es zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung kam. An diesen waren maßgeblich die von der OUN-B geführten Milizen beteiligt. Diese bereiteten auch durch Verhaftungen die Massenerschießung von 3000 Juden durch die deutsche Sicherheitspolizei am 5. Juli 1941 vor. Zwar wurden Bandera und sein Stellvertreter Jaroslav Stezko von den neuen NS-Machthabern verhaftet, weil sie entgegen derer Interessen in Lviv eine Unabhängige Republik Ukraine ausgerufen hatten. Bandera kam als „Ehrengefangener des Führers“ in das KZ Sachsenhausen – allerdings in eine komfortable Zwei-Zimmer-Wohnung. Dort blieb er bis 1944 und war an den Verbrechen seiner Anhänger nicht unmittelbar beteiligt. Doch die Saat, die er gesät hatte, war aufgegangen – und blüht bis heute: In der politischen Landschaft der Westukraine spielen rechtsradikale und faschistische Gruppierungen eine nicht unwesentliche Rolle. Bandera wird (nicht nur) in Israel als Kriegsverbrecher gelistet; er stellte die ukrainische Variante des Faschismus dar, dessen Anhänger an bis dahin beispiellosen Verbrechen an der Menschheit beteiligt waren. Auch in Polen sieht man den Kult um Bandera skeptisch: Unter seiner Führung hat die OUN die polnische Zivilbevölkerung massakriert, Tausende von Juden ermordet und/oder sie den deutschen Gestapo-Einheiten zugeführt.

Wir gehen davon aus, dass Ihnen und den anderen Verantwortlichen im Freiburger Rathaus die Fakten bekannt sind. Und wir erwarten, dass Sie gegenüber den Kolleg:innen aus Lviv deutlich machen, dass Positionen, die aus NS-Kollaborateuren Freiheitskämpfer machen, in Freiburg kritisch gesehen und weder geteilt noch akzeptiert werden – gemäß der in der Badischen Zeitung vom 8.3.2019 zitierten Aussage von Oberbürgermeister Martin Horn, dass es „eine Unterstützung für irgendwelche Aktivitäten im Zusammenhang mit Stepan Bandera nie gegeben“ habe „und auch nie geben“ werde. Dabei – und dies klarzustellen ist uns wichtig – soll es lediglich um eine kritische Distanzierung von den auch in Lviv zunehmenden extrem nationalistischen Positionen gehen; es soll weder die Hilfe für die ukrainische Zivilbevölkerung noch die Städtepartnerschaft in Frage gestellt werden. Eine Forderung nach Distanzierung – auch gegenüber Personen – war ja bereits Gegenstand des Offenen Briefs der Fraktion „Eine Stadt für Alle“ anlässlich des Besuchs von Vizebürgermeister Andryj Moskalenko als Ehrengast beim städtischen Neujahrsempfang am 13. Januar. Wir unterstützen dieses Schreiben ausdrücklich und fragen, warum es bisher keine Antwort darauf gab – und warum OB Horn bei seiner Neujahrsansprache auf die erwartete „deutliche Klarstellung und Distanzierung im Namen der Stadt Freiburg“ verzichtet hat. Dieses Schweigen ist für uns zumindest sehr befremdlich. Moskalenko, das zeigt sein auf Facebook gepostetes, mit den Worten „Ruhm der Ukraine, Ruhm den Kämpfern“ kommentiertes Selfie, nahm am 1. Januar 2023 – mit anderen staatlichen Repräsentanten – aktiv an der jährlich veranstalteten zentralen Bandera-Gedenkfeier an dem sieben Meter hohen Ehrenmal in Lviv teil. Wobei der Inhalt seines Kommentars nahelegt, dass er den Kampf der Ukraine gegen Russland als Fortsetzung des Kampfes der OUN-B und ihres Anführers versteht. Indessen kann Bandera, da waren sich der Freiburger Historiker Dietmar Neutatz und der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Osteuropa-Kenner Gernot Erler im oben zitierten BZ Artikel einig, nicht als positive Bezugs- und Identifikationsfigur dienen: „Zu verstrickt war er in die Verbrechen der Nazis“.

Nach den Erfahrungen aus den 12 Jahren der NS-Herrschaft können wir als Antifaschist:innen dazu nicht schweigen – auch wenn es sich um eine befreundete Stadt in einem souveränen Staat handelt – und auch wenn uns bewusst ist, dass Wladimir Putin den Angriff auf die Ukraine unter anderem damit begründet, das Land entnazifizieren zu wollen. Dass das eine Propagandalüge ist, dass seine Ziele anderer Natur sind, daran dürfte es kaum Zweifel geben. Ebenso wenig wie darüber, dass die Ukraine völkerrechtlich legitimiert ist, sich selbst zu verteidigen.

Inzwischen ist jedoch tatsächlich ein zunehmend aggressiver Nationalismus auszumachen, der möglichen Bemühungen um Waffenstillstand, Verhandlungen und Friedenslösungen entgegensteht. Und dieser wachsende Ausschluss- und Überlegenheitsnationalismus, den auch das an der Seite der ukrainischen Streitkräfte agierende, offen faschistische Asov-Regiment vertritt, speist sich nach unseren Recherchen maßgeblich aus dem Bandera Kult, der wichtiger Bestandteil der offiziellen nationalen Erinnerungspolitik der Ukraine ist – und in Lviv offenbar ein Zentrum hat. Dazu ist anzumerken, dass es sich beim Banderismus nicht um eine Befreiungsbewegung handelt, die lediglich nationalstaatliche Einheit und Autonomie anstrebte. Vielmehr war die OUN-B von Anfang an durch eine aggressive Überlegenheitshaltung geprägt, die das eigene Land mit einer homogenen Volksgemeinschaft über alles stellt. Deshalb sehen wir die Ikonisierung Banderas und die Verehrung seiner mörderischen Mitstreiter, die an der Seite der Nazis zu den überzeugtesten Verfolgern ethnischer Minderheiten gehörten, als angebliche Unabhängigkeitsund Freiheitshelden als sehr gefährlich an. Und wir würden uns wünschen, dass es im Rahmen der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit innerhalb einer solidarischen Städtepartnerschaft möglich wäre, auch solche sicher nicht angenehmen Dinge anzusprechen und auf eine fundierte, von Mythen freie Auseinandersetzung mit der OUNB und ihrem heutigen ideologischen Einfluss hinzuwirken. Es wäre zu begrüßen, wenn der weitere Umgang der Stadt trotz aller Solidarität mit den Einwohner:innen Lvivs mit der nach unserer oben begründeten Auffassung höchst problematischen Bandera-Verehrung in der Partnerstadt Gegenstand der Beratungen einer Gemeinderatssitzung werden könnte. In diesem Zusammenhang wäre auch zu überlegen, wie sich Freiburg für die Aufnahme von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern öffnen kann – aus der Ukraine und aus Russland. Gerade diese Menschen brauchen unsere Solidarität und sichere Zufluchtsorte.

Für eine baldige Antwort sind wir dankbar.

Mit freundlichen Grüßen
Erika Weisser
Sprecherin der Kreisvereinigung VVN-BdA Freiburg

Jens Rüggeberg: Rede zur Antikriegskundgebung in Tübungen

27. Februar 2023

Antikriegskundgebung am Samstag, 25.2.2023, 12.05 Uhr, Tübingen, Holzmarkt

Jens Rüggeberg für die VVN-BdA Tübingen-Mössingen

Wir haben wieder Krieg in Europa. Die Zahl der Toten bisher kennen wir nicht, aber 200.000 können es sein. Millionen sind auf der Flucht. Zumindest die Ostukraine liegt in Trümmern. Die Chance, einen Waffenstillstand zu vereinbaren, war im Frühjahr 2022 groß, wurde aber vertan. Die westlichen Staaten wollten keine Beendigung des Krieges. Stattdessen liefern sie immer mehr und immer wirkungsvollere Waffen ins Kriegsgebiet.

Der Krieg wird von allen Beteiligten mit den Erfahrungen aus dem Faschismus gerechtfertigt. Da müssen wir als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ganz klar widersprechen:

Die russische Führung gab als Ziel ihres Einmarsches in die Ukraine unter anderem deren Denazifizierung an. In der Tat gibt es in der Ukraine inzwischen überall Bandera-Denkmäler. Bandera war ein Nazi-Kollaborateur. Seine Anhänger wirkten aktiv am Holocaust mit. Die Verehrung dieses Faschisten gehört inzwischen zur ukrainischen Staatsräson. Der langjährige ukrainische Botschafter in Berlin, Melnyk, war auch ein Bandera-Fan. Armee und Sicherheitsapparat in der Ukraine sind im Übrigen von Neonazis durchsetzt. Aber all das kann den russischen Angriff auf die Ukraine nicht rechtfertigen. Ein Regime-Change ist immer völkerrechtswidrig. Was wir als Friedensbewegung in Sachen Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Syrien ablehnten, lehnen wir auch jetzt ab, im Falle der Ukraine. Hinzukommt, dass die russische Führung am allerwenigsten das Recht hat, faschistische Tendenzen in der Ukraine zu kritisieren, lässt sie sich doch von großrussisch-chauvinistischen Ideologien leiten, deren Bezüge auf das neunzehnte Jahrhundert und das Zarenreich offensichtlich sind – als ob es die Sowjetunion niemals gegeben hätte.

Die NATO-Staaten berufen sich ebenfalls auf Erfahrungen aus dem und mit dem deutschen Faschismus. Sie erklären, das autokratische russische Regierungssystem müsse beseitigt und der russische Präsident abgesetzt und vor Gericht gestellt werden. Das Ziel der NATO-Staaten ist ebenfalls Regime-Change. Nur eben in Russland. Das macht die Sache nicht besser. Auch das lehnen wir ab. Obwohl wir die russische Regierung nicht gerade sympathisch finden – die ukrainische übrigens auch nicht. Die NATO-Staaten argumentieren, man müsse Putin entgegentreten, damit er nicht weitere Länder überfalle, so etwas wie das Münchener Abkommen 1938 dürfe sich nicht wiederholen. Deshalb dürfe man mit ihm auch nicht verhandeln. Er müsse besiegt und die Ukraine „befreit“ werden. Aber Putin ist nicht Hitler, genauso wenig wie damals Saddam Hussein. Wer Putin (oder Saddam Hussein) mit Hitler gleichsetzt, verharmlost die Nazis und ihre Verbrechen.

Der Krieg muss beendet werden! Sofort! Hoffentlich haben die brasilianische bzw. jetzt die chinesische Friedensinitiative Erfolg! Keine Waffenlieferungen an die Ukraine! Sie verlängern den Krieg, die Zerstörungen, das Leid. Auch die Sanktionen gegen Russland müssen beendet werden. Sie helfen weder den Menschen in der Ukraine noch den Menschen hier. Es ist ein Stellvertreterkrieg, den der Westen führt, die Ukraine führt ihn für den Westen, mit den Waffen, die der Westen liefert, denn die NATO-Staaten können den Krieg nicht selbst führen, weil Russland Atomwaffen hat und gegen sie einsetzen könnte. Am Ende wird Russland ausgeblutet und die Ukraine komplett zerstört und entvölkert sein. So sieht „wertebasierte Außenpolitik“ à la Baerbock aus. So sieht eine Außenpolitik aus, die wir ablehnen. Schluss damit!

Kein Knoten für Zetkin!

geschrieben von Anthony N. Cipriano

23. Februar 2023

Aktionsbündnis kritisiert Knotenverleihung der Geschichtskommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen

Bild: keinknoten.wordpress.com

Tübingen. Derzeit werden an den Trägerpfosten einiger Tübinger Straßennamen sehr prägnante Knoten geknüpft. Diese sollen die Benennung der Straßen in den öffentlichen Diskurs bringen. Grundlage für die Kennzeichnung bildet die Einschätzung der Geschichtskommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen, welche als Expertenkommission dazu dienen solle dem Gemeinderat und den Ortschaftsräten eine Handlungsempfehlung für die Umbenennung Tübinger Straßen vorzulegen.
Die Stadt Tübingen behauptet auf ihrer Website derzeit kontrovers über die Benennung von Straßen zu diskutieren, deren Namensgeber umstritten sind – weil sie biografisch im Zusammenhang mit Antisemitismus oder Kolonialismus stehen, weil sie Mittäter oder Profiteure des NS-Regimes waren oder weil sie aus anderen Gründen heutigen gesellschaftlichen, ethischen oder politischen Maßstäben nicht mehr genügen. Während aber korrekterweise nach den oben angeführten Mittätern und Profiteuren des NS-Regimes benannte Straßen öffentlich durch einen Knoten gekennzeichnet werden, so war es auch Entscheidung der Tübinger Geschichtskommission so einen auch an die Antifaschistin, Kommunistin, Frauenrechtlerin und Antimilitaristin Clara Zetkin zu vergeben.

Diese Entscheidung ist historisch untragbar und unbegründbar. Deswegen möchte das im Zuge dieser Ächtung einer weltberühmten Antifaschistin entstandene Aktionsbündnis “Kein Knoten für Zetkin” (zu finden unter “keinknoten.wordpress.com”) diese Entscheidung nicht einfach so hinnehmen und fordert gegenüber der Geschichtskommission diese Fehleinschätzung zu überdenken, gegenüber dem Gemeinderat sich dieser Brandmarkung zu widersetzen. Zu den Unterstützern dieses Bündnisses gehört neben der Clara-Zetkin-Gedenkstätte Birkenwerder, dem Waldheim Clara-Zetkin-Haus Stuttgart, der deutsch-französischen Journalistin und Frauenrechtlerin Dr. Florence Hervé sowie der Gesellschaft Kultur des Friedens und der Tübinger Linken selbstverständlich auch unsere Tübinger Kreisvereinigung, die VVN-BdA Kreisvereinigung Tübingen-Mössingen.

Die Tübinger Linke e.V. und Die Linke Kreisverband Tübingen kristallisierten in einer kurzen Stellungnahme heraus, weshalb es sich bei Zetkin keineswegs um eine Demokratiefeindin handelte und zeichnete die wesentlichen Meilensteine ihrer politischen Aktivität sorgfältig nach: “Clara Zetkin war nicht nur führende Vertreterin der sozialdemokratischen Frauenbewegung, sondern insbesondere auch Vorkämpferin für die Einführung des Frauenwahlrechts als zentralem Ziel des von ihr begründeten und bis heute begangenen internationalen Frauentags. Clara Zetkin wird daher von der Landeszentrale für Politische Bildung zu Recht als Wegbereiterin der Demokratie im Südwesten angeführt.”
Auch das Waldheim Clara Zetkin meldete sich zu Wort und betonte vor allem das antimilitaristische Engagement Zetkins zur Zeit des Ersten Weltkrieges sowie ihr frühes Erkennen der Gefahren des sich formierenden faschistischen Lagers im Nachkriegseuropa: “Immer wieder warnte sie bei allen Gelegenheiten vor dem Faschismus. Ihre letzte große Rede hielt sie als Alterspräsidentin am 30. August 1932 bei der konstituierenden Sitzung des Reichstags. Auch hier warnte sie eindringlich vor der Gefahr des Faschismus.”

Zwar konnte die IG Metall noch nicht als Mitglied des Aktionsbündnisses gewonnen werden, zu einer sehr klaren Stellungnahme war sie aber dennoch bereit: “Die IG Metall Reutlingen-Tübingen fordert die Streichung der Clara-Zetkin-Straße von der Liste kritisierter Straßennamen der Universitätsstadt Tübingen. Clara Zetkin gilt bis heute als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der proletarischen Frauen- und der Arbeiterbewegung.”

Als VVN-BdA Baden-Württemberg unterstützen wir dieses Anliegen und sagen in aller Deutlichkeit, dass jedwede Gleichstellung von Antifaschistinnen und Antifaschisten mit den Verbrechern und Profiteuren des Naziregimes eine untragbare und überaus gefährliche Form des Geschichtsrevisionismus darstellt. Die Clara-Zetkin-Straße muss bleiben – und darf auch unter heutigen gesellschaftlichen, ethischen oder politischen Maßstäben nicht als angeblich fragwürdig eingestuft und gebrandmarkt werden.

Anthony Cipriano: Rede im Gedenken an Hanau

20. Februar 2023

3 Jahre nach Hanau
Stuttgart, der 19. Februar 2023

Nun ist der Anschlag in Hanau mittlerweile drei Jahre her, die Ereignisse aber schocken uns selbstverständlich noch immer. Es schockt uns, wie so etwas passieren konnte, es schockt uns, wie Polizei und Behörden an diesem Abend versagt haben, und es schockt uns, wie mangelhaft die Aufklärung der Tat auch jetzt noch, drei Jahre nach dem Anschlag, daher geht. Das wirft viele Fragen auf, Fragen darüber weshalb Rassismus und rechtes Gedankengut in unserer Gesellschaft immer noch so verankert sind, weshalb auch die deutschen Behörden davon nicht verschont bleiben, weshalb es fast schon danach aussieht, als wäre eine Welt ohne Rassismus und rechtes Gedankengut unvorstellbar.

Als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, haben wir es uns zum Auftrag gemacht, die Wurzeln rechten Terrors aufzuarbeiten, uns mit der deutschen Geschichte und ihrer rechten Kontinuitäten zu befassen, aber auch das antifaschistische Erbe Deutschlands und das Vermächtnis des deutschen Widerstandes gegen den Nazismus zu wahren. Genau darum soll es heute auch in dieser Rede gehen, ich hoffe, sie bringt etwas Licht ins Dunkel.

Nach 1945 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR Nazis und Kriegsverbrecher verfolgt und aus dem Staatsdienst entfernt. Ehemalige Nazis und Mitläufer haben im Westen Nachkriegsdeutschlands allerdings die Möglichkeit gehabt, wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft wieder zu besetzen. Ein konsequenter Bruch mit den Inhalten und Werten des NS-Regimes wurde versäumt. Zwar wurde mit dem Grundgesetz eine durch-und-durch demokratische Verfassung dem westdeutschen Staat zu Grunde gelegt, doch sind gerade an der Verfassungstreue derer, die dieses Dokument ursprünglich schützen sollten, Zweifel zu hegen. So wanderte beispielsweise das NSDAP Mitglied Richard Gerken direkt vom Spionageapparat der NS-Diktatur als Leiter der Abteilung Spionageabwehr in das Bundesamt für Verfassungsschutz. Aus dem ehemaligen Generalmajor der Wehrmacht Reinhard Gehlen wurde dann der erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Es ist zudem bekannt, dass viele Naziverbrecher um 1945 versuchten aus der sowjetischen, aber auch aus der französischen Besatzungszone in die US Amerikanische zu emigrieren. Man erhoffte sich dort mit Sicherheit auch begründet mildere Strafen für seine Verbrechen, oder gar einer Bestrafung ganz aus dem Weg zu gehen.

Interessant ist auch ein Blick auf die deutsche Wirtschaft. Es ist kein Geheimnis, dass breite Teile des deutschen Monopolkapitals im Faschismus den Hoffnungsträger sahen, die Weimarer Wirtschaftskrise mit Mitteln einer brutalen Diktatur und eines imperialistischen Krieges zu überwinden. Während die gesamte Schwerindustrie Deutschlands durch die im Zuge der Kriegswirtschaft gestiegene Nachfrage an Schwermetallproduktion Profit mit dem Vernichtungskrieg schöpfte, haben auch unzählige Großkonzerne, wie etwa Opel – wohlgemerkt damals Untermarke der US-Amerikanischen General Motors – Zwangsarbeiter beschäftigt, welche etwa Teil der politisch, ethnisch oder religiös Verfolgten Opfergruppen des Hitlerfaschismus waren, oder aber auch aus der Kriegsgefangenschaft kamen. Andere Konzerne wie etwa die IG Farben AG produzierten direkt im Konzentrationslager Auschwitz, im Arbeitslager Monowitz. Es ist also kein Wunder, dass dann im Nachkriegsdeutschland beispielsweise beim sächsischen Volksentscheid über die Enteignung von Kriegs- und Naziverbrechern fast 80% der Wahlberechtigten mit “Ja” stimmten. Doch während in der sowjetischen Besatzungszone die Enteignung von Naziverbrechern und die Entmachtung der deutschen Monopole mit aller Härte vorangetrieben wurde, blieben Versuche, selbiges in Westdeutschland zu verwirklichen, trotz nahezu identischer Urabstimmung in Hessen, leider erfolglos. 1948 mobilisierte der Generalstreik für die Demokratisierung der Wirtschaft in den britischen und US-amerikanischen Besatzungszonen mehr als neun Millionen Arbeiter. Die Reaktion der späteren Bundesregierung auf die antifaschistische Arbeiterbewegung aber: Verbot des politischen Streiks.

All das macht uns also klar: Wir fordern lückenlose Aufklärung der Geschehnisse in Hanau. Der Bedarf an Aufarbeitung rechter und rassistischer Geschichte aber endet nicht in Hanau, nicht beim Verschwinden der NSU Akten, und auch nicht beim Aufdecken rechter Chatgruppen in Polizei und Bundeswehr. Denn: Die deutsche Geschichte ist zutiefst gespalten, in die der Täter und der Opfer, in die der Unterdrücker und der Unterdrückten, in die der Verbrecher, Steigbügelhalter, Profiteure und die des Widerstandes. Wir aber wissen, und ich bin mir sicher, da sind wir uns alle einig, wessen die Zukunft sein muss.

Kundgebung in Stuttgart: 3 Jahre nach Hanau

14. Februar 2023

Ankündigung der DIDF Jugend Stuttgart

Drei Jahre ist es her, seitdem Ferhat, Hamza, Said Nesar, Vili Viorel, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Sedat und Gökhan durch einen rassistischen Mörder aus dem Leben gerissen wurden. Noch immer gibt es keine Aufklärung der Tatnacht, des katastrophalem Polizeieinsatzes und der nicht funktionierenden Notrufleitungen. Immer noch gibt es keinerlei Konsequenzen für die Verantwortlichen.

Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir als antirassistische Initiativen und Antirassist:innen für die Aufklärung kämpfen. Eine gemeinsame Organisierung und der entschlossene Kampf gegen Rassismus und Faschismus sind dringender denn je und können nur durch die Verbindung unserer Kämpfe geschehen.

Denn: Erinnern heißt Kämpfen!

Ilse Kestin: Rede zu 90 Jahren Mössinger Generalstreik

13. Februar 2023

Ilse Kestin, Landessprecherin der VVN-BdA Baden-Württemberg

Siehe auch: 90 Jahre Mössinger Generalstreik

Liebe Kameradinnen und Kameraden,
liebe Freundinnen und Freunde,

do isch neana nons gwäa, als wia do, mit diesen Worten beschrieben Mössinger Bürger die Ereignisse am 31. Januar 1933. Vor 90 Jahren, am 30. Januar 1933 übertrug Reichspräsident Hindenburg Hitler die Macht in Deutschland und damit den Nazis. Damit ermöglichte er die systematische Zerstörung der noch jungen Weimarer Republik, er ermöglichte die Etablierung einer Gewaltherrschaft von bis dahin nicht gekannten Ausmaßes. Damit ebnete er den Weg für die Zerschlagung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung und führte Deutschland und die Welt letztendlich in einen Krieg mit 60 Millionen Toten.

Freundinnen und Freunde,

hier in Mössingen aber wurde 1933 Geschichte geschrieben. Mössingen war ein Arbeiter- und Bauerndorf. Durch die in Württemberg übliche Erbteilung wurden die bäuerlichen Höfe immer kleiner und die Bauern waren auf das Handwerk und die Fabriken als Erwerb angewiesen. Hauptsächlich Frauen arbeiteten in der Textilindustrie als Näherinnen, die Männer in den Webereien. Es gab drei große Arbeitgeber der Textilindustrie. Die Kolleginnen und Kollegen waren gewerkschaftlich unterschiedlich stark in den Betrieben organisiert, – übrigens wäre das heute der Betreuungsbereich der IG Metall, das nur so nebenbei. Die Menschen im pietistischen Württemberg hatten eine ausgeprägte Vorstellung, was rechtens und gerecht ist. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich die Mössinger Arbeiter und Handwerker zunächst in der Sozialdemokratie und später in der KPD organisierten. Aber ihr Marxismus war ein Mössinger Marxismus, geprägt durch die Werte, die in Württemberg galten und einen ebenso – vielleicht nicht immer- angebrachten – Pragmatismus. Daneben gab es hier aber auch eine breite bürgerliche Mittelschicht, die z. Bsp. im Gemeinderat, durchaus mit den Linken konstruktiv zusammenarbeitete.

Freundinnen und Freunde,

mit den immer stärker werdenden Nazis verhärteten sich die Fronten. Die bürgerlichen Parteien und die SPD verlieren ihre Wähler an die NSDAP. Und nur der KPD gelingt 1932 mit 32% ein akzeptables Ergebnis in Mössingen. Das sah 1933 schon anders aus, da erreichte die NSDAP bereits 55%. Nach den Erfahrungen des 1. Weltkrieges war besonders für die Linken klar: Es darf keinen neuen Krieg geben!

Während die bürgerlichen Parteien ihr Heil im Revanchismus sahen, war für die Kommunisten klar, dass dies der Weg in die Katastrophe sein würde. Im Vorfeld der erwarteten Machtübertragung auf die Faschisten rief die KPD zum Generealstreik in ganz Deutschland auf. Diesem Aufruf wurde in Mössingen Folge geleistet, nicht nur Kommunisten auch Sozialdemokraten und Parteilose unterstützen die antifaschistische Aktion. Besonders in den drei Großbetrieben sollte der Generalstreik etabliert werden. Von den Eigentümern gab es unterschiedliche Reaktionen: Pausa, ein Betrieb in jüdischem Besitz, gab seinen Mitarbeitern frei. Die Trikot Fabrik Merz wurde von den Streikenden besetzt. Der Besitzer versuchte die Demonstranten aus seinem Betrieb raus zu halten, was nicht gelang, da die örtliche Polizei nicht einschritt – es waren allerdings auch nur ein Landjäger und zwei Schutzleute. Eine Vielzahl der Beschäftigten schlossen sich nach längeren Diskussionen den Streikenden an. Der dritte Textilbetrieb – Burckhardt – wurde vom Eigentümer verrammelt mit allen Mitarbeitern darin. Es wurde weitergearbeitet. Als dann auf Betreiben des Fabrikanten Merz die sogenannte grüne Polizei aus Reutlingen eintraf war der Generalstreik beendet. Für die Organisatoren war klar: Auflösung! Und: wir sind allein, sonst hätte die Polizei aus Reutlingen nicht kommen können.

Freundinnen und Freunde,

die politische Linke war in ganz Deutschland zerstritten. Die politischen Einschätzungen zu den Nazis und Hitler waren unterschiedlich. Für die Kommunisten aber war klar: Hitler bedeutet Krieg!

Dass es nicht flächendeckend zu ähnlichen Aktionen wie in Mössingen gekommen ist, lag an dieser Zerstrittenheit. Damit war aber auch die letzte Gelegenheit verspielt, den Faschisten Einhalt zu gebieten. Mit unglaublicher Geschwindigkeit bereinigten die Nazis alle demokratischen Strukturen und anderes was ihnen im Wege stand. Bereits im Mai 1933 waren die Parteien verboten, die Gewerkschaftshäuser besetzt und möglichst viele Gegner inhaftiert. Für viele Mössinger Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dem Generalstreik hieß dies: Verhaftung, Anklage wegen Landfriedensbruch und Aufruf und Vorbereitung zum Hochverrat. Insgesamt wurden 98 Streikende angeklagt.

Freundinnen und Freunde,

zur Geschichte des Generalstreiks und seiner Aufarbeitung gäbe es sicher noch viel zu sagen, aber hier dazu nur so viel: Nach 1945 haben sich besonders die DKP und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten wider das Vergessen und für die Aufarbeitung der Geschehnisse eingesetzt. Das war nicht immer ganz einfach. Es gab Widerstände von Bürgern und von offizieller Seite. Mittlerweile hat aber auch die Gemeinde Mössingen erkannt, was für eine historische Botschaft im Mössinger Generalstreik steckt. Widerstand ist notwendig. Widerstand rettet Leben und Selbstachtung. Widerstand ist Solidarität und Respekt!

In der Feierstunde zum Gedenken an den Holocaust im Landtag wurde gestern der Mössinger Generalstreik mehrfach von verschiedenen Rednern als Beispiel für zivilen Widerstand genannt, dem das Gedenken gelten muss. Unsere Aufgabe als VVN ist die Erinnerung wach zu halten und zu mahnen. Rechtextremen Umtrieben entgegen zu treten und keine Verharmlosung zuzulassen.

Die Verbrechen der Nazis sind singulär!
Treten wir dem Geschichtsrevisionismus entgegen!

Es gilt immer noch: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

Für Demokratiefeinde wie Reichsbürger, Nazigruppierungen, Pegida, Antisemiten und nicht zuletzt für die AfD ist das sogenannte 3. Reich nicht untergegangen in ihnen ist Faschismus nach wie vor lebendig. Deshalb gilt es für uns als Opferorganisationen gegen jede Form von Rechtextremismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit anzukämpfen. Gleichzeitig gilt es aber auch die demokratische Freiheit im Blick zu behalten. Es ist genau so wichtig nicht zuzulassen, dass der demokratische Staat aufgrund dieser Faschismus Gefahr mit übersteigerter Härte reagiert. Eine wehrhafte Demokratie lebt vom Streitgespräch, von Information und nicht zuletzt von Bildung und Geschichtsarbeit und nicht von Verboten!

Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!

Und dies darf nie nur eine Phrase sein!

28. Januar 2023, Mössingen

90 Jahre Mössinger Generalstreik

geschrieben von Anthony N. Cipriano

13. Februar 2023

Da ist nirgends nichts gewesen außer hier!

So lautet der Titel des 1983 veröffentlichten Films des Regisseurs Jan Schütte über die Vorgeschichte, Ereignisse und Folgen des 31. Januar 1933 in Mössingen. 2012 erschien unter gleichem Namen das Sachbuch des Talheimer Verlags. Unmittelbar nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler durch Hindenburg, rief die Kommunistische Partei Deutschlands vor 90 Jahren reichsweit die Werktätigen zum Massenstreik gegen Hitler auf. Der württembergische Reichstagsabgeordnete Albert Buchmann unterzeichnete diesen Appell. Obgleich im Rest Deutschlands der Aufruf zum Generalstreik keinen nennenswerten Anklang fand, so kam es doch dazu, dass im kleinen schwäbischen Mössingen, die Arbeiter dreier Textilfabriken zwei Tage lang streikten. Diese Form des Erzwingungsstreiks kann als historisch bewährt betrachtet werden, gelang es zum Beispiel durch einen deutschlandweiten Generalstreik 1920 den Kapp-Putsch zu verhindern. Wie uns die Geschichte verrät, ist der Generalstreik gegen Hitler leider gescheitert. Beachtlich ist dennoch, dass in Mössingen 800 Werktätige, fast 20% der damaligen Einwohner, streikten. Die Geschehnisse in Mössingen gingen in der Geschichtsschreibung nahezu unter. Umso wichtiger ist es, dass auch 90 Jahre danach durch das von Gewerkschaften, VVN-BdA und den Linken im Steinlachtal (LiSt) getragene Bündnis an den Mössinger Widerstand gegen den Hitlerfaschismus erinnert wird. Am 28. Januar zogen nach einer kurzen Auftaktkundgebung, auf der unter anderem die Landessprecherin der VVN-BdA Baden-Württemberg, Ilse Kestin, eine Rede hielt (Link zur Rede), hunderte Antifaschistinnen und Antifaschisten durch Mössingen. Auch für die Stadtverwaltung ist der Mössinger Generalstreik ein wichtiger Teil der eigenen Geschichte. Die Demonstrationsteilnehmer wurden von der Stadt nach der Abschlusskundgebung eingeladen, gemeinsam den bereits erwähnten Dokumentarfilm im Mössinger Kino „Lichtspiele“ anzusehen.

1933 – Der Weg ins Dritte Reich

geschrieben von Dieter Lachenmayer

13. Februar 2023

Keine Machtergreifung!

Ulrich Schneider (Bild: beobachternews.de)

Diesen Januar präsentierte Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär der FIR und Bundessprecher der VVN-BdA,sowohl in Schorndorf als auch in Stuttgart sein neues Buch über das Jahr 1933. Die unmissverständliche Botschaft: Wider dem gängigen Irrglauben handelte es sich bei den Geschehnissen im Jahr 1933 nicht um eine Machtergreifung der Hitlerfaschisten sondern um eine Machtübertragung an sie. Die je knapp 30 Teilnehmer der Veranstaltungen erfuhren darüber, wie die Machtübertragung an die Faschisten durch die deutsche Monopolindustrie, aber auch konservativer Kräfte und der Reichswehr systematisch vorbereitet und vorangetrieben wurde. Ulrich Schneider belegt in seinem Buch wie in seinen Vorträgen, wie der Widerstand besonders aus der Arbeiterbewegung niedergeschlagen und innerhalb weniger Wochen ein terroristisches Herrschaftssystem errichtet wurde, wie gesellschaftliche und ideologische Gleichschaltung, politische Verfolgung und rassistische Ausgrenzung funktionierten – und wie von Anfang an auf einen neuen Krieg hingearbeitet wurde. Die Teilnehmer resümierten die Veranstaltungen als äußerst informativ. Es ist wichtig den Mythen der Geschichtsschreibung über das Jahr 1933 etwas entgegenzuhalten.

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