Faschismus ist keine Naturkatastrophe
1. August 2024
AN24-3, Frieden, Sozialpolitik
…es liegt an uns, eine menschenwürdige Gesellschaft zu schaffen.
Für die überlebenden WiderstandskämpferInnen war das „Nie wieder“, das sie beschworen, nicht nur bittere Erkenntnis, sondern vor allem warnender und hoffnungsvoller Auftrag an die nachfolgenden Generationen.
Heute ist Lernen aus der Geschichte kaum mehr direkt von Überlebenden möglich. Jede Generation ist selbst zuständig und verantwortlich für die Gesellschaft, in der sie leben will, denn Herrschaftsformen sind weder Naturkatastrophen noch gottgewollte Ereignisse, denen der Mensch ausgeliefert ist. Vielmehr gilt es, den Aufstieg der Rechten einzuordnen in die Auswirkungen der kapitalistischen Gegenwart und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.
Antifaschismus sucht nach der Lösung der sozialen Frage. Der Kampf gegen den Aufstieg der Rechten, gegen Faschismus und Krieg wird erfolgreich sein, wenn er sich entscheidet, wofür er sich einsetzt.
Dass der Kapitalismus die soziale Frage nicht löst, hat er bewiesen: Arbeitende Menschen geraten zunehmend in prekäre Lebenslagen – das Einkommen reicht vielfach nicht zum Auskommen, Löhne, Gehälter, Renten werden von den ständig steigenden Lebenshaltungskosten aufgefressen.
Gesundheit und Wohnen werden zunehmend zu Luxusgütern, die immer weniger Menschen zur Verfügung stehen.
Bildung und Betreuung sind gekoppelt an Einkommen.
Rücksichtslose Umweltzerstörung und Ressourcenausbeutung vernichtet beschleunigt unseren Lebensraum.
Ist es da ein Wunder, dass die Menschen sauer sind, frustriert, orientierungslos, wütend und suchend?
Zunehmend stellen die Menschen das System in Frage, doch der Kapitalismus wehrt sich natürlich beharrlich, denn er möchte überleben, auch wenn sein Siechen uns schon an allen Ecken stinkt. Er sucht nach allen denkbaren Mitteln, sich zu halten und bedient sich – wie schon oft, wenn es ihm an den Kragen ging –der brutalen Herrschaftsform des Faschismus. Für die braucht es aber nicht nur bloße Gewalt wie bei einer Militärdiktatur, sondern auch eine Massenbasis. Und die will aufgebaut sein – rechtzeitig und zunächst unbemerkt als demagogisches Gift in die Gesellschaft eindringend.
Die gewählten Mittel zur Verteidigung des Systems, das dabei tunlichst nicht genannt werden möchte, sind erprobt: Sündenböcke suchen, Spaltung Arbeitender, Herabwürdigung Schwacher, Angriffe auf Minderheiten, Verunglimpfung von Gegnern, demagogische Nutzung von Massenmedien, Kapern und Umformen von Begriffen („Framing“), Eindringen in Gruppen, Hasskampagnen, Angriffe auf demokratische Institutionen, gewählte Personen und politische Gegner mit Gewalt und Terror.
Wie kann verhindert werden, dass die Rechten von der wachsenden Spaltung in der Gesellschaft profitieren? Wie kann verhindert werden, dass sich immer mehr Menschen von Demokratie und den Konsens des „Nie wieder“ abwenden? Wie kann trotz der unzureichenden Aufarbeitung der Geschichte nach 1945, trotz tiefgreifender Kontinuitäten in polizeilicher Arbeit und staatlicher Repression, eine antifaschistische Grundhaltung der Mehrheit der Gesellschaft erreicht werden?
Solange es keine „schweigende Mehrheit“ gibt, hat Faschismus keine Chance. Diese Lehre aus der Geschichte ist einfach zu verstehen, aber schwer umzusetzen. Der Faschismus hätte verhindert werden können, wenn alle, die ihn nicht wollten, einig und entschlossen gehandelt hätten. Die organisierte Arbeiterbewegung war stets Dreh- und Angelpunkt des antifaschistischen Widerstands, denn durch sie konnten die Menschen für ihre Interessen in Bewegung gebracht werden. Es ist auch heute an uns, nicht zu schweigen, sondern klar und deutlich sprechend, widersprechend, aufzeigend und Hoffnung gebend den Schweigenden zu helfen, ihre Sprache wiederzufinden. Antifaschismus braucht eine handelnde Mehrheit.
. Die konkrete Verbindung der sozialen Frage mit Antifaschismus entlarvt irrationale mediale Gegenwelten und Verschwörungsmythen. Der aktive Einsatz für eine humanistische Gesellschaft stützt Unsichere, stärkt die Allianz gegen rechts und verhindert die Bildung einer Massenbasis für den Faschismus. Menschen, die Bildung, Selbstwirksamkeit und Partizipation erfahren, können in und für die Gemeinschaft wachsen und stark werden. Dies in allen sozialen und politischen Prozessen zu organisieren und zu fördern, verhindert Faschismus und ermöglicht eine humanistische Gesellschaft.
Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat sich die Gemeinschaft der Völker 1948 die Grundlage geschaffen für eine soziale und internationale Ordnung, die ein friedliches Zusammenleben gewährleistet, die bürgerliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte breit formuliert, die Diskriminierung verbietet und die für ausnahmslos alle Menschen gilt. Es ist an uns, die Menschenrechte ständig konkret anzuwenden, umzusetzen und einzufordern – überall und jederzeit.
„Es gibt eine Million Gründe frustriert und wütend zu sein, aber keinen einzigen, Faschisten zu wählen!“ so der Kabarettist Max Uthoff am 18. Mai 2024 beim Fest gegen rechts in Stuttgart. Es ist an jedem von uns, den Faschismus, seine Hintermänner und-frauen, seine Handlanger, seine menschenfeindlichen Ziele zu entlarven – überall und jederzeit. Setzen wir uns am Arbeitsplatz und im gewerkschaftlichen Zusammenschluss aktiv und gemeinsam ein für ein auskömmliches Leben für alle Menschen, für lebenswerte Lebens- und Arbeitsbedingungen mit gesicherter Bildung, Betreuung und Versorgung aller Menschen in einer Menschen- und Umweltgerechten Infrastruktur unter Einbindung in gesellschaftliche Entscheidungen!
Den Kampf um Arbeit, um Wohnen und Ernährung, um Bildung und Betreuung, um Klima, Frieden und Gerechtigkeit gemeinsam auf der Grundlage der Menschenrechte zu führen, ist konkreter Antifaschismus, denn er entzieht den Faschisten die Möglichkeit, sich durch falsche Versprechungen einzuschmeicheln, durch unbewiesene Behauptungen zu täuschen, Kritiker schlecht zu machen, Menschen gegeneinander aufzuwiegeln und die Gesellschaft zu barbarisieren.
Es ist an uns, in jeder konkreten Situation antifaschistisches Denken und Handeln zu üben und anzuwenden:
Menschen, die den Mund aufmachen und zeigen, dass sie nicht einverstanden sind mit den menschenfeindlichen Zielen der Rechten, bilden die Grundlage einer breiten antifaschistischen Bewegung.
Menschen, die sich aktiv einsetzen für ein Verbot faschistischer Organisationen, für ihre Entwaffnung, für die Offenlegung und die Zerschlagung ihrer Netzwerke, für den Entzug ihrer Einnahmen, schützen vor dem Faschismus.
PolitikerInnen, die jegliche Zusammenarbeit mit rechten Parteien aktiv ablehnen und sich in breitem demokratischem Konsens gegen rechts zusammenschließen, verhindern, dass Faschisten an die Macht kommen und Gesetze ändern.
Menschen, die dagegen aufstehen, dass Kriege geführt werden, bei denen ein gewissenloser Wirtschaftszweig vom Tod zahlloser Menschen profitiert; Menschen, die die Teilnahme an Kriegen verweigern; Menschen, die Geflüchtete retten, aufnehmen, schützen, bilden durch ihre aktive Friedensarbeit ein Bollwerk gegen den Faschismus, der Völker gegeneinander aufhetzt und die Welt sogar mit Vernichtung durch Atomkrieg bedroht.
Schulleitungen und Lehrpersonen, die in der Schule Menschenrechts- und Friedensbildung umsetzen, die weder zur „Wehrtüchtigkeit“ noch zur „Kriegstüchtigkeit“ erziehen, öffnen weder der Bundeswehr noch rechten Parteien die Schule für die Anwerbung von Jugendlichen.
ErzieherInnen und LehrerInnen, die Menschenrechtsbildung als aktiven Teil ihres Erziehungs- und Bildungsauftrags wahrnehmen, tragen bei zur Wertschätzung von Vielfalt und Demokratie und zur freien Willensbildung.
AutomobilarbeiterInnen, die sich im Betrieb zusammenschließen und dabei die IG Metall im Einsatz für Arbeitnehmerrechte stärken, stellen ein Bollwerk dar gegen die Rechten des „Zentrum e.V.“.
ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen, die das Leben und die Gesundheit jedes Einzelnen über die finanziellen Belange von Pharmaindustrie und bürokratischer Verwaltung stellen, die sich gemeinsam für ein menschenwürdiges Gesundheitssystem organisieren, schützen vor der rechten Hetze von „Eindringlingen in unser Gesundheitssystem“.
JuristInnen, die geltendes Recht wahren und durchsetzen, können die faschistische Unterwanderung des Staats unterbinden.
Menschen, die den Schutz von WhistleblowerInnen gewährleisten, schützen die Gesellschaft durch ein menschliches „Frühwarnsystem“.
Menschen, die strukturellen Rassismus, rechte Netzwerke oder toxischen Corpsgeist in Institutionen aufdecken und öffentlich machen, unterbrechen weiteres Infiltrieren Rechter.
Menschen, die Trollfabriken, Fake-Accounts und rechte Memes entlarven, die Hass in den sozialen Netzwerken bekämpfen, schützen das Leben und die seelische Gesundheit junger Menschen, verschließen Einfallstore für Hass und faschistisches Gedankengut.
Menschen, die sich für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen engagieren, die aktiv Wege aus der Klimakrise suchen, die aufklären über die Profitinteressen der Umweltzerstörer, verhindern weiteren Raubbau an der Natur und den von der AfD geforderten Bau neuer AKWS und „Freie Fahrt für Verbrenner“.
WissenschaftlerInnen, die ihre Kompetenzen und Wirkmöglichkeit aufklärend nutzen, sich Irrationalitäten und Verschwörungsmythen entgegenstellen, verhindern, dass Unsichere rechten „Rattenfängern“ auf den Leim gehen.
Menschen, die sich in der „AG Rechte Tendenzen in der solidarischen Landwirtschaft“ engagieren, lassen nicht zu, dass Rechte den weltoffenen, friedlichen Ökolandbau mit völkischem Gedankengut unterwandern.
Menschen, die die Erinnerungskultur an den Widerstand von unten pflegen, indem sie im Zusammenhang zwischen sozialer Frage und Faschismus das Lernen aus der Vergangenheit in der Gegenwart für die Zukunft ermöglichen, verhindern aktiv Geschichtsrevisionismus.
JournalistInnen, die aufklärend berichten, obwohl sie massiv verbal beschimpft, als „Lügenpresse“ diffamiert, bedroht und körperlich angegriffen werden, schützen die Demokratie und ermöglichen freie Meinungsbildung.
Menschen, die sich einsetzen für umfassende Offenlegungen, Aufklärung und Dokumentation rechtsextremistischer Straftaten, für Meldestellen zu Hass- und Gewalttaten, für Beauftragte und Präventionsangebote, arbeiten am Lerngedächtnis der Geschichte.
Menschen, die sich in ihren Orten, Vereinen, Organisationen aktiv gegen demokratiefeindliches Denken einsetzen, Rassismus und Intoleranz ächten und auf die Umsetzung der Menschenrechte bestehen, bilden ein Bollwerk gegen völkische und faschistische Unterwanderung.
Menschen, die ihr Engagement im Naturschutz verbinden mit ihrem Engagement für Demokratie und Menschenrechte, die rechte und völkische Strömungen im Natur- und Umweltschutz identifizieren, verhindern durch ihre aktiver Bildungsarbeit die Radikalisierung – insbesondere von Kindern und Jugendlichen.
Menschen, die Städtepartnerschaften und Freundschaften über Ländergrenzen hinweg pflegen und aufbauen, verhindern ein Ausbreiten der rechten Neiddebatte des „Deutschland zuerst“ oder gar von SA-Losungen, deren Herkunft und Verbot weder der Faschist Björn Höcke noch die von ihm aus taktischen Gründen angezeigte Influencerin Cathy Hummels gekannt haben wollen.
Menschen, die sich in Rottenburg gegen den Verlag des rechten Brandstifters und ehemaligen Polizisten Kopp wehren, die von Land, Stadt, Kirche und Vereinen fordern, nicht mehr länger öffentliche Aufträge an die Baufirma Lautenschlager & Kopp zu vergeben, unterbrechen seine Rolle als Finanzier der extremen Rechten und der Verschwörungsszene.
Menschen, die gegen Hetzer Anzeige erstatten – wie in Stuttgart gegen das AfD-Wahlplakat “Schnelle Remigration schafft Wohnraum“ – stellen sich rechter Demagogie entgegen.
Breite antifaschistische Initiativen und Bündnisse ermöglichen das Lernen voneinander und Miteinander im gemeinsamen Agieren gegen rechts. Es ist an uns, das „Nie wieder“ Wirklichkeit werden zu lassen – jederzeit und überall.
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