Überforderung der Gesellschaft oder verfehlte Regierungspolitik?
9. Februar 2024
AN24-1, Asyl, Landesvereinigung
Landesvorstand der VVN-BdA Baden-Württemberg zur Asyl-Debatte
Foto: UNO-Flüchtlingshilfe
Medial und auf allen politischen Ebenen wird nun wieder einmal die „Flüchtlingskrise“ ausgerufen, die Gefahr der Überforderung herbei geschrieben und mit rassistischer Hetze gegen Migranten verbunden. Diese menschenverachtende Politik ist eng verbunden mit einem gesellschaftlichen Rechtsruck der bürgerlichen Mitte und mit zunehmendem Autoritarismus.
Vor dem Hintergrund der aufeinander folgenden Krisen – Finanzkrise, Coronapolitik, Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, Energie- und Klimakrise sowie Inflation – und der Abwälzung ihrer Folgen und Lasten auf die Mehrheit der Bevölkerung, erleben die Menschen hautnah, dass in diesem Land vieles nicht mehr funktioniert und die grundlegende Daseinsvorsorge erodiert.
Stichpunkte sind: Die Infrastruktur – Bahn, Straßen, Brücken – wurde über Jahre vernachlässigt; die Folge sind ausfallende und verspätete Züge oder Staus. Dazu kommen Schwimmbadschließungen, Lehrermangel, geschlossene oder mit reduzierten Öffnungszeiten arbeitende Kitas, Schließungen von Krankenhäusern und Pflegeheimen und nicht zuletzt der eklatante Mangel an bezahlbarem Wohnraum. All das bricht gerade geballt über viele Menschen herein und sie erkennen zu Recht: Es funktioniert gar nichts mehr! Geschlossene Kitas, ausfallender Schulunterricht und fehlender Wohnraum werden indessen nicht von den Geflüchteten verursacht, sondern von einer verfehlten Regierungspolitik, die die Ursachen der Krisen nicht angeht. Diese Erkenntnis wird jedoch durch die anhaltende Debatte zur angeblichen Überforderung verhindert. Es muss auch erwähnt werden, dass die große Mehrheit der Asylsuchenden in Deutschland vor deutschen Waffen oder deutschen Sanktionen flieht: Waffenexporte in Kriegsgebiete gehören zum Tagesgeschäft der Ampel-Regierung.
In einem Überbietungswettbewerb haben alle bürgerlichen Parteien in rasantem Tempo immer schärfere asylfeindliche Positionen übernommen. Die Ampelregierung hat dabei wesentliche Grundsätze ihres Koalitionskoalitionsvertrags über Bord geworfen. Gerne wird dabei die AfD als Stichwortgeber genutzt: So sprach die AfD 2017 erstmals von „Irregulärer Migration“; inzwischen wird der Begriff von Politikern von der CDU bis zu den Grünen regelmäßig verwendet.
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck forderte „Spielräume zu entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen.“ Jens Spahn sprach sich für die Anwendung auch von „direkter physischer Gewalt“ an den EU-Außengrenzen aus. In Stuttgart kündigte die CDU im Juli den Konsens bei der Flüchtlingsunterbringung auf und stimmte zusammen mit der AfD gegen den Bau neuer Unterkünfte. Von der AfD war dazu zu hören, dass sie sich freue, „wenn eine andere Partei sich uns politisch wie inhaltlich annähert.“ Auf dem Landesparteitag der CDU forderte der neue Landesvorsitzende Manuel Hagel eine 180-Grad-Wende in der Migrationspolitik: „Die Migrationspolitik, die wir seit Jahren machen, die ist am Ende.“ Der Zuzug müsse schnell und effektiv begrenzt, die Einwanderung in den Arbeitsmarkt verhindert werden. Dazu beschloss der Landesverband einen Antrag zur Abschaffung des individuellen Asylrechts und der Auslagerung von Asylverfahren.
Bundeskanzler Olaf Scholz will „Abschiebungen im großen Stil“. Grünen-Chefin Ricarda Lang und MP Wilfried Kretschmann sprachen sich für einen „neuen demokratischen Grundkonsens in der Migrationspolitik, einschließlich Abschiebungen aus. Beim Grünen-Parteitag probte die Jugend den Aufstand gegen den Verrat der Parteiführung an einer humanen Asylpolitik, ließ sich aber durch den massiven Druck der Parteivorsitzenden und dem Wunsch Regierungspartei zu bleiben, wieder einfangen.
All dies wird begleitet von massiver Hetze und Falschmeldungen, mit denen die Zustimmung der Bevölkerung für die Verschiebung nach rechts geschaffen werden soll, beispielsweise die Lügen von CDU-Chef Friedrich Merz über die Zahnarztbesuche von Geflüchteten.
Worauf zielt diese Politik ab, was wird bewirkt?
Mit dieser Politik soll nicht nur verhindert werden, dass Geflüchtete von ihrem Asylrecht Gebrauch machen. Es soll auch bezweckt werden, dass Menschen sich nicht mehr mit Schutzsuchenden solidarisieren, Geflüchtete sollen nur noch als Problem für unsere Gesellschaft gesehen werden. Jede politische Verschärfung, jede Verletzung der Grundrechte soll hingenommen werden, die Geflüchteten sind ja nur „irreguläre Migranten“. Geflüchtete sollen als Sündenbock dienen für alles, was schiefläuft, für fehlende Infrastruktur, überteuerte Wohnungen, Personalmangel. Die bürgerlichen Parteien können damit von ihrem Versagen in der Sozial- und Bildungspolitik ablenken. Rechte Krisenlösungen werden in der Mitte verankert, die gesamte Politik wird immer weiter nach rechts verschoben. Wenn Kanzler Scholz die „irreguläre Migration“ zur Chefsache macht, die Asylzahlen verringern will und davon spricht, dass „wir in großem Stil abschieben müssen“, werden Positionen der AfD übernommen. So wird sie bestätigt und aufgewertet und kann ihren Einfluss weiter ausbauen, um bei den kommenden Wahlen noch mehr Stimmen gewinnen.
Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen!
Die Rechtsentwicklung im Asylrecht ist nicht im Vakuum zu betrachten, sondern geht Hand in Hand mit Sozial- und Demokratieabbau in anderen gesellschaftlichen Bereichen. So bekundete beispielsweise die nordrheinwestfälische FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit stehe nur deutschen Staatsbürgern zu. Jenen Worten Taten folgen zu lassen, hätte nicht nur Auswirkungen auf Geflüchtete, sondern auf all unsere Mitbürger ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses der Antifa Nachrichten diskutierte die Innenministerkonferenz über weitere Verschärfungen im Asylrecht, u.a. über die Einführung eines überwachbaren Chipkartensystems statt der Bargeldausgabe an Geflüchtete. Es ist zu befürchten, dass jene Reformen dann auch. auf das „Bürgergeld“ ausgeweitet werden.
Es ist also wichtig, dass wir uns gemeinsam dieser Aushöhlung demokratischer Rechte entgegenstellen und dass wir uns nicht wegen der Herkunft oder irgendwelcher anderer Kriterien gegeneinander ausspielen lassen. Asylrecht geht uns alle an!