Rede zum Hiroshima Gedenken

geschrieben von Rüdiger Jungkind

23. September 2025

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Buchen Sie Europa, so lange es noch steht! Die Lebenden werden die Toten beneiden!

Foto: Rolf Neff

Am 6. August 1945 also heute vor 80 Jahren wurde in Hiroshima das erste Mal eine Atom­bombe für militärische Zwecke eingesetzt.

Am 9. August wurde die zweite Atombombe in Nagasaki abgeworfen.

Die Folgen: 100.000 Menschen – fast ausschließlich Zivilisten und nach Japan verschleppte Zwangsarbeitende – starben sofort. Bis zum Jahresende 1945 starben weitere 130.000 Men­schen. Zu diesen kalten Zahlen kommen ungezählte weitere Tote nach 1945: langsam da­hinsiechende, Krebserkrankungen Jahre später. Genetische Schäden führen bis heute zu Fehlgeburten und schwer geschädigten Neugeborenen.

Die Lebenden werden die Toten beneiden!

Der US-Präsident Harry S. Truman befahl am 26. Juli 1945 den Abwurf der Atombomben „little boy“ und „ fat man“. Begründung: so könne Japan schnell zur Kapitulation gezwungen und Men­schenleben … damit war natürlich amerikanisches gemeint … könnten gerettet werden.

Das ist nur ein Teil der Wahrheit. In der Tat war der weitere Verlauf des Krieges in Ostasien un­klar. Es gab Szenarien, dass die Besetzung Japans bis zu 300.000 amerikanische Soldaten das Leben kosten könnte. Wie oft bei militärischen Einsätzen gibt es eine offizielle Erklärung und Hintergrün­de, über die nicht so gerne geredet wird.

So ist es nicht richtig, dass der zweite Weltkrieg am 1. September 1939 begann. Das ist nur unse­re typische europäische Perspektive. Tatsächlich begann der zweite Weltkrieg in Ostasien. Am 7. Juli 1937 fiel Japan in China ein. In den Vereinigten Staaten wurde die Expansion Japans mit Sorge betrachtet. Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es politisch einflussreiche Kräfte, die einen „pivot to asia“ forderten. Die Philippinen waren seit 1901 amerikanische Kolonie. In den USA wur­den zunehmend Vorbereitungen für ein Eingreifen gegen Japan getroffen. Die  Kriegsstimmung in den USA war jedoch insgesamt noch wenig ausgeprägt.

Bekanntlich änderte sich das. Die japanische Luftwaffe griff die US-amerikanische Pazifikflotte auf Pearl Harbour in Hawaii an. Am 8. Dezember 1941 erklärte die US-Regierung unter Franklin D. Roo­sevelt Japan den Krieg.

Soweit die bekannten historischen Abläufe.

International waren Befürchtungen berechtigt, dass die Nazifaschisten in der Lage sein könnten, eine Atombombe zu bauen. 1938 war Otto Hahn … die gezielte Kernspaltung gelungen. Deutsche Physiker wie Willi Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker gehörten zu den inter­national be­kanntesten. Einige von ihnen, darunter Albert Einstein, emigrierten vor oder nach der Machtü­bertragung an die Nazis meist in die USA. Der hier wichtigs­te Physiker hingegen, J. Robert Op­penheimer, war allerdings 1904 als Sohn deutscher Einwanderer in den USA geboren, hatte aber auch Kontakte nach Deutschland.

Die Situation war so besorgniserregend, dass viele demokratisch gesinnte Wissenschaftler aktiv wurden. Die Geschichte entwickelte sich mit einer Dramatik, die den spannendsten Kriminalroman in den Schatten stellt.

So wurde der dänische Atomphysiker Niels Bohr im September 1943 aus dem deutsch besetzten Kopenhagen ins neutrale Schweden geschmuggelt. Von dort wurde er mit einem getarnten Flugzeug nach Schottland ausgeflogen, dann weiter in die USA. Niels Bohr wurde im De­zember 1943 nach Los Alamos in den USA gebracht.

Dort arbeiten unter größter Geheimhaltungs­stufe seit dem Vorjahr amerikanische Atomwissen­schaftler mit ausländischen Kollegen unter Lei­tung von J. Robert Oppenheimer daran, den Deut­schen beim Bau der Atomwaffe zuvorzukommen. Indessen stieg aber Niels Bohr im März 1944 mit der interessanten Begründung wieder aus, die deutschen Wissenschaftler wären nicht in der Lage, ein Atomwaffenprogramm zu realisieren.

Die Arbeiten in gingen weiter. Schließlich konnte am 16. Juli 1945 in der neu-mexikanischen Wüste eine Testbombe erfolgreich gezündet werden. Die verheerenden Auswirkungen dieses Testes waren deutlich erkennbar.

Wir müssen jetzt wieder nach Europa blicken, um das weitere Geschehen vollständig zu verstehen.

Bei der Konferenz von Jalta hatte die Sowjetunion im Februar 1945 zugesagt, dass sie drei Mo­nate nach der Kapitulation Nazideutschlands Japan angreifen würden. Es war sehr bald erkennbar, dass die durch den Krieg in Europa stark zerstörte UdSSR Wort halten würde: Im April 1945 kün­digte sie das 1941 mit Japan geschlossene Neutralitätsabkommen. Am 28. Mai, seit der deutschen Ka­pitulation waren also noch nicht einmal drei Wochen vergangen, informierte der US-Botschaf­ter aus Moskau die Truman-Regierung, dass die Sowjetunion in der Mandschurei Truppen gegen Ja­pan zusammengezogen hätte. Der Botschafter empfahl, das weitere Vorgehen mit der sowjetischen Regierung abzustimmen.

Seine Empfehlung wurde ignoriert.

Am 9. Juli 1945 bat der japanische Botschafter in Moskau um Friedensverhandlungen.

Truman wurde zu Beginn der Konferenz von Potsdam (17. Juli bis 2. August 1945) über den erfolg­reichen Test in Neu-Mexiko informiert. Über die Konferenz von Potsdam stellt der damalige  briti­sche Premierminister Churchill in seinen Memoiren fest: „Jetzt war mit einem Mal dieser Alb­traum vorüber, und an seine Stelle trat die helle und tröstliche Aussicht, ein oder zwei zerschmet­ternde Schläge könnten den Krieg beenden […] Ob die Atombombe anzuwenden sei oder nicht, darüber wurde überhaupt nicht gesprochen.“

Im Gegensatz dazu stellt der US-General und spätere Präsident Eisenhower fest: Die Entschei­dung zum Einsatz der beiden Atombomben hat am 16. Juli bereits festgestanden. Er habe Tru­man davon abgeraten, weil die Japaner kapitulationsbereit waren und die Vereinigten Staaten solche Waffen nicht als erste einsetzen sollten.

Der Kriegseintritt der Sowjetunion war für die US-Regierung nun unerwünscht. Am 26. Juli gab Truman den Befehl zum Abwurf der Atombomben.

So weit eine sehr kurze Darstellung der damaligen Geschehnisse. Es lohnt sich heute noch, sich ein­gehend damit zu befassen.

Nachfolgend gab es Bestrebungen, den Einsatz von Atomwaffen künftig völkerrechtlich zu äch­ten. An der Spitze dieser Forderung stellten sich insbesondere Atomwissenschaftler. Genannt seien hier Niels Bohr, Albert Einstein und auch J. Robert Oppenheimer. Wir wissen, dass dieser Appell vergeb­lich war. Die US-Regierung wollte an ihrem Atomwaffenmonopol festhalten. Auch diese Ab­sicht scheiterte jedoch. Schon 1949 wurde das Atomwaffenmonopol durch die UdSSR gebrochen: Das Zeitalter des „Gleichgewicht des Schreckens“ begann.

„Buchen Sie Europa, so lange es noch steht!“

Mit diesem Text warb 1983 ein US-amerikanisches Reisebüro. Dazu hatte es allen Grund. Auf dem Höhepunkt des damaligen „Kalten Krieges“ entwarf der britsch-amerikanische Militär­berater Colin S. Gray im Dezember 1980 das Szenario vom führbaren und gewinnbaren Atomkrieg. So absurd sich das anhört: Daran sollten wir immer denken.

Wir sind also gewarnt: Nie wieder Hiroshima, nie wieder Nagasaki! Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg.

Ich danke Euch!