Wir nehmen Abschied von Traudl Kuppe-Loew
20. Juli 2020
Ein kämpferisches Herz hat aufgehört zu schlagen
Nachruf auf Traudl Kuppe-Loew – 1921 bis 2020
Mit Traudl Kuppe-Loew verliert der einst als Landesverband Württemberg-Baden gegründete Teil der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) wohl eines seiner frühesten und treuesten Mitglieder. Im hohen Alter von 98 Jahren ist Traudl am 24. April dieses Jahres in ihrer nach 1945 gewählten Heimatstadt Stuttgart verstorben, nur drei Haltestellen mit der Linie 15 entfernt von ihrer Wohnung in der Gerokstraße 16, in dem anthroposophisch geführten Haus Morgenstern. Traudl starb inmitten des Lockdowns, jedoch nicht an Covid-19, sondern an einer nicht verarbeiteten, nach einem Sturz notwendig gewordenen Hüftoperation.
Geistig rege und politisierend war Traudl beinahe bis zum Schluss. Ihre Tochter Patsy hatte es zu organisieren verstanden, dass sie nahezu täglich Besuch bekam, und nicht von Gruppenbesuchen an Wochenenden überfordert wurde.
Traudl, wie sie sich nannte, und wie sie sich auch mir vorgestellt hatte, der Name Gertraud klang ihr zu „deutsch“, wurde am 20. Dezember 1921 in Kempten im Allgäu als jüngere Tochter einer assimilierten jüdischen Familie geboren. Ihr Vater Albert, „Paps“, war ein wohlhabender Viehhändler, die Mutter Hedwig, eine geborene Herz, entstammte dem Nürnberger Bildungsbürgertum. Tante Ida war die Archivarin von Thomas Mann.
Traudl besuchte das Lyzeum in Kempten, eine „städtische höhere Töchterschule“, wie das damals hieß, vergleichbar vielleicht mit der heutigen Realschule. Dort lernte sie schon früh, wie schmerzhaft Diskriminierung und Ausgrenzung sein können. Die antijüdischen Maßnahmen der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft trafen sie inmitten der Pubertät, einer der prägendsten Phasen des Lebens. Als die Novemberpogrome Deutschland beschämten, war Traudl 16 Jahre alt. 1939 kam sie noch mit einem der letzten Kindertransporte nach England. Ihre, um ein Jahr ältere Schwester Lucy, war schon dort.
Letzten Endes überlebte ihre ganze Familie die Shoah in London. Traudl finanzierte sich ihre ersehnte Ballett-Ausbildung als Krankenschwester für an Tuberkulose Erkrankte und als Mechanikerin für Autos der Marke Austin. In ihrer freien Zeit war sie in einer Gruppe exilierter Juden unterwegs und spielte Akkordeon in der „Tube“, Londons U-Bahn. Ihre Schwester Lucy heiratete einen Kommunisten, ihr Vater Albert, der wie die meisten deutschen Juden noch für Kaiser und Vaterland in den Ersten Weltkrieg gezogen war, reparierte in London nun Puppenköpfe, und Mutter Hedwig arbeitete als Köchin für Großbetriebe. Besser als Birkenau, sollte die Mutter später noch häufig in Erinnerung rufen, und dass sie es eigentlich gut hatten, und dabei auch sehr viel Glück.
Nach Kriegsende kehrte Traudl nach Deutschland zurück und ging des Broterwerbs wegen nach Stuttgart, wo sie auch Alfred Hausser kennen lernte, dem sie bis zu ihrem Tode immer in Wärme und Liebe eng verbunden blieb. Alfred war es denn auch, der sie zur VVN brachte, deren Mitglied sie werden und bis zu ihrem Lebensende auch bleiben sollte. Alfred war Traudls persönlicher „Held“, wie ihre Tochter Patsy sich gerne erinnert.
Über fünfzig Jahre leitete Traudl eine von ihr gegründete Ballettschule im Marquardt-Bau am Schlossplatz in Stuttgart, bis ihr vom Besitzer im Jahre 2004 plötzlich und ohne Angabe von Gründen gekündigt wurde; eine schmerzliche Erfahrung, die sie nie ganz verwinden sollte.
Zeitlebens trat Traudl ein gegen jegliche Art von Diskriminierung oder Ausgrenzung und für die Marginalisierten dieser Welt. Doch bis in ihr hohes Alter wollte sie nicht gerne als Jüdin geoutet werden, war da immer sehr zurückhaltend. Anders ihre 1958 geborene Tochter Patsy, in den Fußstapfen ihrer Mutter selbst Ballettmeisterin und international tätig, heute in Zaragoza in Nordspanien lebend, und ihrer Mutter bis zuletzt aufs Äußerste eng verbunden. Patsy bekennt sich ganz offensiv zu ihrem jüdisch Sein. Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es ja auch.
Patsy verdanke ich viele Hintergrundinformationen. Für Traudl wollte ich schreiben.
Volger Kucher am 6. Juli 20