Ein Sinto als Namensgeber

geschrieben von Bernhard Edin

9. Februar 2024

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Die Ausstellung „Vinzenz Rose. Einer von uns!? Mensch! Sinto! KZ-Häftling! Bürger.Rechtler!“

1. Ziel des Projekts
Das Ziel des Projekts war und ist es, die Realschule Obrigheim nach Vinzenz Rose zu benennen. Vinzenz Rose war Sinto und KZ-Häftling, unter anderem im KZ Neckarelz, wo er in einem Rüstungsverlagerungsprojekt im Gipsstollen Obrigheim Zwangsarbeit für Daimler Benz leisten musste. Hier besteht der lokale Bezug zum Schulort. Nach 1945 wurde Vinzenz Rose zum Pionier und Begründer der Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti. In beidem besteht der Bezug zu dem Namensgeber des
Preises Alfred Hausser. Initiiert wurde dieses Projekt von der KZ-Gedenkstätte Neckarelz. In den Prozess sollten aber von Anfang an Schülerinnen und Schüler im Rahmen der bestehenden Bildungspartnerschaft mit der Realschule Obrigheim einbezogen werden, sie sollten demokratische Verfahrensweisen und Entscheidungsprozesse auf kommunaler Ebene handlungsorientiert kennenlernen und sich als selbstwirksame politische Subjekte erfahren.

Aufgrund der Widerstände gegen das Ziel des Projekts in der Schulgemeinschaft und ganz besonders auf Seiten des Schulträgers, in erster Linie muss hier der Gemeinderat als letztlich beschlussfassendes Gremium genannt werden, beschlossen KZ-Gedenkstätte und Schule, eine Geschichte-AG zu installieren, die eine Ausstellung über Vinzenz Rose erstellen sollte, die allen Beteiligten als Informationsgrundlage im Meinungsbildungsprozess dienen sollte. Die Ausstellung, gedacht als Mittel zum Zweck, Schulgemeinschaft und Gemeinderat von Vinzenz Rose als passendem Namensgeber für die Realschule Obrigheim zu überzeugen, ist inzwischen zum Zweck selbst geworden. Sie erreichte, dass in Schule und lokaler Öffentlichkeit das Thema kontrovers diskutiert wird.

2. Genese und Durchführung des Projekts
Im Dezember 2020 machte ich den Bürgermeister Obrigheims mit der Idee des Projekts bekannt. Im Zentrum der Idee stand der Gedanke, Erinnerungsarbeit und Engagement für Demokratie und Toleranz zu verbinden. Meines Wissens ist bis heute keine Schule nach einem KZ-Häftling der Neckarlager benannt und Vinzenz Rose wäre der erste Angehörige der Minderheit der Sinti und Roma, nach dem in Deutschland eine Schule bewusst benannt würde. Im Schuljahr 2021/2022 gründete sich dann eine Arbeitsgemeinschaft von SchülerInnen, die sich mit der Projektidee befasste und zunächst Quellen sichtete und Texte verfasste. Im Schuljahr 2022/2023 besuchte die AG in einund mehrtägigen Exkursionen Orte der Verfolgungsgeschichte von Vinzenz Rose (Auschwitz, Natzweiler), aber auch Orte, an denen er als Bürgerrechtler wirkte. Die AG erstellte auf der Basis der Vorarbeit des vergangenen Jahres Inhalte der Ausstellungsfahnen und setzte sie grafisch um. Das Konzept der 14 thematischen Fahnen sieht eine Dreiteilung vor: Im Zentrum steht Vinzenz Rose als „Ich-Erzähler“ seines Lebens. Die einzelnen Fahnen sind biografisch-chronologisch aufgebaut. Zu jedem Thema gibt es einen Blick in die Region, der den Fokus darauf richtet, was zu der Zeit oder bezogen auf das Thema in Obrigheim oder der Region passierte. Der dritte Bereich beleuchtet den politischen Hintergrund und erklärt, welche Gesetze oder Entscheidungen das Leben von Vinzenz Rose und der Sinti und Roma in der Region Obrigheims bestimmt haben.

Eine besondere Bedeutung kommt der letzten Ausstellungsfahne mit dem Titel „Einer von uns!“ zu. Auf ihr wird in verdichteter, plakativer Form ein Bezug zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Erinnerungskultur und der Lebenswelt der SchülerInnen hergestellt. Sie stellen ihre Werte denen von Vinzenz Rose gegenüber und begründen, warum sie ihn für einen zeitgemäßen Namensgeber halten. Dafür stehen die SchülerInnen mit Namen und Gesicht auf der Fahne ein. Diese Fahne ist insofern die zentrale Essenz der Ausstellung und soll die Schulgemeinschaft ins Gespräch bringen, ob die Benennung der Schule nach Vinzenz Rose nicht Ausdruck einer Haltung gegen Antiziganismus, ein Statement gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist. Die SchülerInnen der AG führten Schulklassen eigenständig durch die Ausstellung und legten dabei den Fokus nicht auf die historischen Fakten, sondern auf die Frage nach der Idee hinter dem Namen. Sie zeigten auf, welche Bedeutung die Werte „Gleichheit“, „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ im Leben Roses hatten und stellten einen Bezug zu ihren eigenen Werten her.

Im Juli 2023 wurde die Initiative mit dem Alfred-Hausser- Preis des VVN BW ausgezeichnet. In ihrer Laudatio sagte die Landessprecherin Erika Weisser: „Vor allem aber habt ihr dafür gesorgt, dass Vinzenz Rose in Obrigheim nun in vieler Munde ist – und ihr habt auch erkundet, was euer Heimatort während der NS-Zeit für ein Ort war.“

3. Ausblick
Im Schuljahr 2023/2024 ist die Ausstellung weiter zu sehen. Sie wurde im Bildungshaus von Ver.di in Mosbach und in der KZ-Gedenkstätte Neckarelz gezeigt. Im Februar 2024 wird sie im Dokumentationszentrum der deutschen Sinti und Roma in Heidelberg präsentiert werden. Derzeit befindet sich das Projekt in der politischen Entscheidungsphase. Dabei müssen sich die SchülerInnen auch mit politischem Gegenwind auseinandersetzen. Beispielhaft sei hier eine Petition genannt, die die Umbenennung verhindern will. Aber es gibt auch eine Petition, die die Initiative der AG unterstützt. Für diese sammelt die AG Unterschriften. In der Regionalzeitung tobt immer nach Berichten eine Leserbriefschlacht. Auch die schulischen Gremien haben sich unterschiedlich positioniert, die Lehrerkonferenz der Schule hat sich hinter das Projekt gestellt, die Schulkonferenz nicht. Bislang verweigern Bürgermeister und der Gemeinderat als Gremium jedes Gespräch. Angebote, auch vermittelnde, werden ignoriert. Wenn der Gemeinderat nicht doch noch mit der AG ins Gespräch geht, wird er sich mit einem Antrag zur Benennung der Realschule Obrigheim nach Vinzenz Rose beschäftigen müssen. Es ist politisch nicht vorstellbar, dass er das ignoriert. Dazu hat die Ausstellung schon zu viel Aufmerksamkeit erregt. Es ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat nicht mit Zustimmung zu rechnen. Aber eines hat die Initiative schon erreicht: Es wird über das Thema in den Familien, auf den Sportplätzen und Dorffesten, überall im Einzugsbereich der Schule diskutiert.

Die Broschüre über Alfred Hausser trägt ein Zitat von ihm im Titel: „Nur wer sich aufgibt, ist schon verloren.“ Wir geben nicht auf! Wir werden nicht verlieren! Selbst wenn der Gemeinderat nicht zustimmen sollte …