Für Vielfalt und für gute Tarife eintreten!

geschrieben von Ralf Bogen

1. August 2024

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„The times, they are a changing…“… würde Bob Dylan singen. In der AIDS-Krise der 80er Jahre gab es die Sorge männerliebender Männer, in der Arbeitswelt ausgegrenzt zu werden. Panik vor der damals noch tödlich verlaufenden Immunschwächekrankheit AIDS machte auch nicht vor Betriebstoren Halt. Auch wenn sie gar nicht HIV-positiv waren, empfahlen damals Aids-Hilfen schwulen Männern sich in der Probezeit bei der Arbeit lieber nicht zu outen. Und heute? Die LGBT*-Emanzipationsbewegung hat in den letzten Jahrzehnten viel erreicht und ist mittlerweile auch längst in der Arbeitswelt angekommen. In einigen Großunternehmen konnten sich LGBT*-Netzwerke gründen, die sich während der Arbeitszeit treffen können. In mehreren Betrieben wurden Menschen, die geschlechtlichen und/oder sexuellen Minderheiten zugehören, erstmals sichtbar. Zu Themen wie Intergeschlechtlichkeit oder Transsexualität konnten in manchen Großunternehmen wichtige Infoveranstaltungen initiiert und dadurch in den Belegschaften subtil weiterwirkende Vorurteile abgebaut werden. Noch gibt es viel an Aufklärungsarbeit zu leisten. Dass beispielsweise Transsexualität seit 2018 offiziell von der Weltgesundheitsbehörde nicht mehr als psychische Störung gilt und dass es keine freie Entscheidung zur oder gegen Transsexualität gibt, so wenig wie es eine freie Entscheidung zur oder gegen eine hetero- oder homosexuellen Veranlagung gibt, wissen allerdings noch immer viele nicht.

Diversity-Management ist in westeuropäischen Standorten „in“

Mehrere Personalabteilungen unterstützen die Teilnahme ihrer firmenbezogenen LGBT*-Netzwerke an CSDs. Die Großunternehmen verbinden ihre Unterstützung mit einer eigenen Imagepflege sowie mit Nachwuchswerbung. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit verwenden zunehmend mehr Konzerne im Monat Juni, dem internationalen „Pride-Month“ der weltweiten CSD-Emanzipationsbewegung, Regenbogenflaggen im Profil. Zumindest an den westeuropäischen und nordamerikanischen Standorten liegt Diversity-Management bei nahezu allen internationalen Großkonzernen derzeit im Trend. Dies nicht zuletzt deshalb, weil mehrere Studien belegen, dass durch Gleichstellung bislang benachteiligter Beschäftigtengruppen auch die Produktivität in ihren Unternehmen gesteigert wird.

#Stolzmonat – eine gezielte rechtspopulistische Social Media Kampagne gegen den Pride Month

stolzmonat.cc

Begrüßenswert ist zweifellos, wenn zahlreiche Menschen heute in der Arbeitswelt klar Position gegen Homo- und Transphobie und weitere Formen der Diskriminierung beziehen. Dies vor allem in Zeiten, in denen AfD-Politiker:innen wie Björn Höcke oder Martin Sellner von der identitären Bewegung sowie weitere extrem Rechte den Monat Juni zum „Stolzmonat“ als Gegenpol zum „Pride Month“ ausgerufen haben und wenn auf Webseiten wie „stolzmonat.cc“ mit Parolen wie „Gegen Regenbogenmist und Genderirrsinn“ agitiert wird. Dass gerade die AfD trotz einer lesbischen Politikerin in führender Position zunehmend aggressiver und queerfeindlicher unterwegs ist, kommt beispielsweise in Posts wie die von der Fraktionsvizechefin Beatrix von Storch zum Ausdruck: „#PrideMonth in die Tonne! Schluss mit diesem zwanghaften Minderheitendiktat. Runter mit der #Regenbogenfahne“. AfD-Landeschef von Thüringen Björn Höcke hat angekündigt, dass er als Ministerpräsident als seine erste Amtshandlung alle Gelder im Kampf gegen rechts streichen werde. Höcke und seine Kreise wollen Gender-Professuren nicht mehr nachbesetzen und Frauen- sowie LGBT*-(Forschungs-)Projekte nicht verlängern. Entsprechend dem „Teile und herrsche“-Motto versuchen sie ärmeren Rentner:innen und Arbeitslosen zu suggerieren, dass dann mehr finanzielle Mittel für sie vorhanden wären. Als ob sich AfD-Politiker:innen jemals für die Interessen der breiten Masse der Rentner:innen und Arbeitslosen eingesetzt hätten und als ob sie für eine höhere Besteuerung der Multimillionäre eintreten würden.

Krasse Klassenunterschiede wie noch nie in der Bundesrepublik

So erfreulich es ist, dass heute LGBT*-Menschen in der Arbeitswelt selbstbewusster, angstfreier und sichtbarer geworden sind, so hat eine Entwicklung, bei der mehr Daimler- oder Bosch-Kolleg:innen am CSD als am 1. Mai teilnehmen, auch Schattenseiten. Die soziale Ungleichheit ist hierzulande besonders krass geworden. Wir haben heute eine kapitalistische Klassengesellschaft, in der der gesellschaftlich erarbeitete Reichtum kaum noch ungerechter verteilt werden kann: Die reichsten 10 Prozent verfügen mittlerweile bereits über 67,3 Prozent des Gesamtvermögens. Bitte liebe Lesende einmal kurz die Augen schließen und schätzen, wie hoch hingegen der Anteil ist, den die Hälfte der Bevölkerung an diesem Gesamtvermögen hat. Und dann erst weiterlesen.
Richtig geschätzt? Es sind nicht mal mehr wie 1,3 Prozent! In Deutschland leben mittlerweile bereits 16,8 Prozent der Bevölkerung, also nahezu jeder Fünfte, in Armut! Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sind in den letzten Jahren rechtspopulistische bis neofaschistische Kräfte erstarkt.

Dank an alle, die sich für Vielfalt und gute Tarife einsetzen!

Es sind auch Diversity-Firmen, die durch Umstrukturierungen noch tarifgebundene Arbeitsplätze zugunsten nicht tarifgebundener Arbeitsplätze abbauen. Es ist davon auszugehen, dass die Geschäftsleitungen dieser Firmen nur zu gut wissen, dass Vollzeitbeschäftigte in tariflosen Betrieben im Mittel wöchentlich 54 Minuten länger arbeiten und trotzdem 11 Prozent weniger als Beschäftigte in Betrieben mit Tarifbindung verdienen, die sich hinsichtlich der Betriebsgröße, des Wirtschaftszweiges, der Qualifikationsstruktur der Beschäftigten und des Standes ihrer technischen Anlagen nicht voneinander unterscheiden. (Hans-Böckler-Stiftung) Die AfD will noch mehr Arbeitsplätze und Belegschaften aus der Tarifbindung drängen. Dass wurde und wird beispielsweise durch ihren Antrag im Landtag von Baden-Württemberg „Gesetz zur Aufhebung des Tariftreue- und Mindestlohngesetzes für öffentliche Aufträge in Baden-Württemberg“ im März 2023 deutlich. Doch wie die letzten Streikbewegungen gezeigt haben, gibt es zunehmend mehr Kolleg:innen, die diesen Kurs des „Klassenkampfes von oben“ nicht mitmachen. Es gibt Aktive, die in Betrieb und Gesellschaft kämpferische Initiativen gleichermaßen für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und für gute Tarife und gegen die Armut in Deutschland ergreifen und mutig gegen Spaltung und rechte Hetze gegen Minderheiten die Stimme ergreifen. Vor allem bei diesen möchte ich mich für ihr Engagement herzlich bedanken.