Waffen ‘runter, Löhne ‘rauf!

geschrieben von Norbert Heckl

29. Oktober 2024

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Die „mächtigen geopolitischen Verschiebungen ebenso wie die gesellschaftliche Krisensituation in der Bundesrepublik“ besser zu verstehen und damit einen orientierenden Beitrag zur innergewerkschaftlichen Diskussion zu leisten war das Ziel der friedenspolitischen Gewerkschaftskonferenz am 14./15.6. in Stuttgart.

Während die Vorgängerkonferenz in Hanau im vergangenen Jahr von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit der dortigen IG Metall-Verwaltungsstelle durchgeführt wurde, war der gewerkschaftliche Träger der Stuttgarter Konferenz der ver.di-Bezirk. Das drückte sich auch in der Zusammensetzung der Teilnehmer aus, von denen ein großer Teil aus dem ver.di-Bereich kam.

Die Hanauer Konferenz fand vor den Gewerkschaftstagen von ver.di und IG Metall statt. Die Stuttgarter Konferenz bezog sich in vielen Beiträgen auf die Beschlüsse und Diskussionen auf diesen beiden Konferenzen, und auch auf das unsägliche „Kerner-Papier“ von IG Metall, SPD-Wirtschaftsforum und dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie: ein Aufrüstungspakt von Teilen der IG Metall mit dem militärindustrie-politischen Komplex, in dem als Ziel festgehalten wird, die „Verteidigungsfähigkeiten in den Bereichen Land, Luft und See weiterzuentwickeln“.

Um die „geopolitischen Verschiebungen“ ging es gleich im Eingangsreferat von Ingar Solty von der Luxemburg-Stiftung. Unter dem Titel „Klima, Krise, Krieg – Dynamiken und Zusammenhänge in der Vielfachkrise“ stellte er 11 Thesen vor, mit denen die gegenwärtige (welt-)politische Situation und auch der Krieg in der Ukraine besser zu verstehen seien. Seit der Finanzmarktkrise sei der Kapitalismus in einer Dauerkrise, die auch zu einer „Krise der Repräsentation und der liberalen Demokratie“ geführt habe. Der Großkonflikt des 21. Jahrhunderts sei der zwischen den USA und China, ohne den der Ukraine-Krieg nicht zu begreifen sei, also der Konflikt zwischen den relativ absteigenden USA und dem aufsteigenden China. Ebenso bekomme der „globale Süden“ mehr Gewicht, das „Zentrum der Welt“ verschiebe sich entsprechend. Die Reaktion „des Westens“ darauf lässt die Gefahr eines Kriegs zwischen USA/NATO und China/Russland dramatisch wachsen:  die kapitalistischen Staaten des Westens wollen mit allen Mitteln ihre von ihnen selbst aufgestellte „regelbasierte internationale Ordnung“ aufrechterhalten, während immer mehr Staaten, auch des „globalen Südens“, diese ablehnen – darauf wurde auch in der Diskussion zu seinem Referat hingewiesen.

Vor diesem Hintergrund sprach Ulrike Eifler, IGM-Sekretärin in Würzburg und eine der Mitinitiatorinnen des Kongresses, darüber, dass ein Rückzug auf tarifliche Bereiche die Gewerkschaften längerfristig schwächen würde – gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland in fünf Jahren „kriegstüchtig“ sein solle, sei das politische bzw. friedens-politische Mandat der Gewerkschaften umso wichtiger. Dass Krieg und Aufrüstungskurs die Tarifpolitik mitbestimmen, war unter den Teilnehmern unumstritten, und auch daraus ergebe sich die Notwendigkeit, Gewerkschafts- und Friedensbewegung zusammenzuführen.

In einer ersten Diskussionsrunde, u.a. mit der Ver.di-Bezirksvorsitzenden Claudia Häussler, wurde dieser Zusammenhang vertieft; gerade Tarifrunden im Öffentlichen Dienst müssten diesen Zusammenhang herausarbeiten und in den Betrieben zur Diskussion stellen. Wer mehr Geld für Soziales wolle, müsse gegen die Milliarden für die Rüstung auftreten, und dafür verschieden Bewegungen zusammenführen, wie Oktay Demirel vom Bundesvorstand der DIDF betonte.

In einer folgenden Podiumsrunde, zu der der bekannte Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler einen inhaltlichen Aufschlag machte, diskutierten Reiner Braun vom „International Peace Bureau“, Özlem Demirel, wiedergewähltes Mitglied des EU-Parlaments und Gewerkschaftssekretärin bei ver.di und der 1. Bevollmächtigte der IGM Frankfurt, Michael Erhardt. Ihr Thema: Keine Umverteilung ohne Entspannungspolitik.  Dabei wurden auch die Beschlüsse der Kongresse von ver.di und IGM zur Friedensfrage kritisch betrachtet. Demirel stellte heraus, dass ökonomische Interessen auch militärisch durchgesetzt werden sollen. Reiner Braun forderte, dass die Friedensbewegung an der Seite des „Globalen Südens“ stehen müsse und mahnte mehr Aktionen der Friedens-bewegung an. Unter anderem rief er zu einer bundesweiten Demonstration am 3. Oktober in Berlin auf. Michael Erhardt stellte die Aufgabe, mobilisierende Elemente und Ideen für die Betriebe zu entwickeln. Es komme darauf an, die „Hegemonie in den Köpfen“ zu erreichen. Einig waren sich alle Teilnehmer, dass alles getan werden muss, um die Frage von Krieg und Frieden in die Betriebe zu tragen – eine Aufgabe vor allem, aber nicht nur für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. 

Der zweite Tag begann mit einer Podiumsdiskussion zur Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Friedensbewegung und Umweltaktivisten. Der New Yorker Sean Sweeny von der „Trade Union for Energy Democracy“ stellte den Zusammenhang her: Wenn die Menschen die Natur verteidigen, verteidigen sie damit sich selbst als Teil der Natur. Darüber müsse es programmatische Klarheit, auch über die Ziele, geben, und dafür sei die Gewerkschafts- und auch die sozialistische Bewegung – in der die Gewerkschaften ja ihre Wurzeln haben – unabdingbar. „Die Gewerkschaften brauchen Dialog und Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen, der Friedensbewegung und der Umweltbewegung!“ betonte Kai Burmeister, der DGB-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg. Soziales dürfe nicht gegen Umwelt ausgespielt werden, es brauche Druck von der Straße auf die Regierung. Zum Ukraine-Krieg stellte er die Frage, wie wir mit der imperialistischen russischen Politik umgehen müssten. Tobias Pflüger von IMI-Institut Tübingen war es wichtig herauszustellen, dass die Bundesregierung mit ihrer Politik der „Zeitenwende“ nicht auf den russischen Angriff auf die Ukraine reagiere, sondern die Gelegenheit genutzt habe für eine schon lange geplante Aufrüstung. Ajla Salatovic, eine junge Aktivistin von Fridays for Future berichtete über die Zusammenarbeit mit den Beschäftigten im ÖPNV während der Tarifrunde im Rahmen der Kampagne „Wir fahren zusammen“, und meinte, die Gewerkschaften sollten konfliktbereiter und politischer werden. Gleichzeitig gelte es, Rückhalt für gewerkschaftliche Auseinandersetzungen in der „Zivilgesellschaft“ zu schaffen. Elvis Capece, Sekretär bei der Gewerkschaft NGG, sprach über den Zusammenhang von Umweltbedingungen und Lebensmittelversorgung und die zunehmende Bedeutung von großen Lebensmittelkonzernen im Lebensmittelbereich. In vielen Tarifrunden, in denen relativ hohe Abschlüsse erreicht werden konnten, wurde offensiv angesprochen, dass es keine Zugeständnisse wegen der Kriegs- und Aufrüstungslasten geben dürfe.

Eine teilweise sehr emotionale und zugespitzte Saaldiskussion schloss sich an, in der die Position der Gewerkschaften und des DGB heftig kritisiert wurden, vor allem auch das öffentliche Schweigen der Vorstände in der Kriegs- und Aufrüstungsdiskussion. Allerdings seien dafür nicht nur die „Spitzen“, sondern auch die „Basis“ entscheidend. In einem Redebeitrag hatte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft IG BAU darauf hingewiesen, dass es „die Gewerkschaften“ nicht gebe. In einer Situation, in der es darum gehe, einen Weltkrieg zu verhindern, müssen wir uns entschieden gegen die Kriegspolitik wenden; für Soziales könne man anders nicht eintreten. Auch der Gazakrieg wurde angesprochen: es gebe eindeutige Stellungnahmen internationaler Gewerkschaftsverbände, von den deutschen Gewerkschaften höre man nichts dazu. In einer Antwort auf diese Kritiken hielt Kai Burmeister fest, dass es gelte, einen Kriegseintritt Deutschlands zu verhindern, und auch die Auseinandersetzungen in den Betrieben zu politisieren – Aussagen, an die linke Gewerkschafter/innen anknüpfen können und müssen.

In drei gut besuchten Arbeitsgruppen wurde über „Die Rolle der Gewerkschaften im Kampf für Frieden – ein historischer Rückblick“, den „Aufstieg des Militarismus und die Rechtsentwicklung der Bundesrepublik“ und „Warum der Atomkrieg eine reale Gefahr ist“ gesprochen.

Den Abschluss bildete ein international besetztes Podium mit Rudi Kennes, einem gerade neugewählten Europaparlamentarier von der belgischen Partei der Arbeit,  früher, vor der Schließung, Betriebsratsvorsitzender des Opel-Werks in Antwerpen. Er prangerte den geplanten Aufbau eines europäischen Militär-industriellen Komplexes an, wies darauf hin, dass sich die Länder des „Globale Südens“ nicht mehr länger unterordnen wollen und zunehmend selbstbewusster, auch gestützt durch die BRICS-Staaten, ihre Interessen wahrnehmen. Gleichzeitig forderte er die linken Kräfte auf, ebenfalls selbstbewusster zu sein. Bela Galgoczi vom (unabhängigen) Forschungsinstitut der Europäischen Gewerkschaften (ETUI) sprach über ein „zersplittertes Europa“, in dem es ganz unterschiedliche wirtschaftliche nationale Strategien gebe, im Gegensatz zur einheitlichen Strategie Chinas. Europa stecke in einer doppelten Klemme: In einer „Austeritätsklemme“, aus der sich nur völlig unzureichende Mittel für die sozialökologische Transformation ergeben, und in einer Klemme zwischen den USA und China. Die griechische Gewerkschafterin Yota Lazaropoulou von Trade-Union Network Europe, beruflich im Bankwesen tätig, wies vor dem Hintergrund, dass Griechenland eine Fregatte ins Rote Meer schickt („zur Sicherung der Handelswege“), darauf hin, dass ihr Land schon seit langem 3% des BIP für Rüstung ausgebe. 

 Abgerundet wurde die Konferenz von einem hochkarätigen Kulturprogramm: jeweils zum Auftakt der beiden Tage trat Bernd Köhler mit EWO 2 auf, mit textlich und musikalisch anspruchsvollen Friedensliedern. Den Freitagabend beschloss Rolf Becker mit einem sehr eindrucksvollen Rezitationsprogramm mit Texten von Carl von Ossietzky, ein Programm, das für Friedensveranstaltungen nur empfohlen werden kann!

An der Konferenz nahmen an beiden Tagen insgesamt etwa 200 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter teil – etwas weniger, als wir uns erhofft hatten. Ob der Beginn der Fußball-EM daran schuld war, darüber lässt sich nur spekulieren. Einige Hundert waren über den Livestream mit dabei. Ob das Ziel, einen „orientierenden Beitrag zur innergewerkschaftlichen Diskussion“ zu leisten, erreicht wurde, müssen die nächsten Monate zeigen.