»Revival der Berufsverbote?«
11. Februar 2025

So nannte sich eine Veranstaltung mit den Betroffenen Luca Schäfer und Benjamin Ruß an der Uni Göttingen. Unser Kamerad Lothar Letsche sprach mit beiden über ihre Repressionsfälle, die aktuellen Angriffe gegen unsere Bewegung sowie Perspektiven sich zu wehren.
Letsche: Stellt bitte kurz eure beiden „Fälle“ vor und berichtet von Solidarität, Einschüchterung, Erfolgen und Niederlagen.
Luca Schäfer: Am 1 Mai 2021 – Hochphase der Corona-Pandemie – zog eine bunte Demonstration zwei Stunden durch Frankfurt am Main. Es kam zum Abbrennen von Pyrotechnik; die Polizei griff martialisch die Demonstrierenden an. Im eng bebauten Gallus-Viertel verlor ich meine Gruppe aus den Augen. Vor mir lag ein am Kopf stark blutender Schwerverletzter – mit Schädelbasisbruch, stellte sich dann heraus. Um ihn zu schützen, entfernte ich achtlos – in Manier eines Bowlingspielers – einen rauchenden Gegenstand. Monate später ging eine Anklage bei mir ein. Ich sollte mich u.a. wegen „schwerer Körperverletzung“ verantworten. Angeblich soll der Gegenstand einen Polizeibeamten – in der ersten Version: an der Schulter, später: am Knie, dann nur noch: im Nahbereich von einem Meter – „getroffen“ haben. Präsentiert wurde der angeblich verletzte Polizist nie. Leider habe ich mich nicht sofort mit allen juristischen Mitteln gewehrt.
Ich studierte damals Lehramt, hatte gerade mein erstes Staatsexamen fertig, unterrichtete im Angestelltenverhältnis. Ich wurde wegen des von der Staatsanwaltschaft angestrengten Prozesses, der zu einer Verurteilung führte, dreimal zur Einstellung in den Vorbereitungsdienst, das Referendariat, abgelehnt. Mein laufender Vertrag an einer Frankfurter Gesamtschule wurde nicht verlängert. Zwischendurch ein seltsamer Anruf vom „Verfassungsschutz“ bei mir. Ich lehnte jeden Kontakt ab.
Juristisch wurde ich am Ende zu 7 Monaten Haft (!), ausgesetzt zur „Bewährung“, verurteilt. Es wurde immer klarer, dass es fernab jeder „Straftat“ um nichts anderes als meine politische Gesinnung und meine politisch-gewerkschaftliche Organisation geht. Im letzten Urteil heißt es, dass ich mir zu einem unerkannt gebliebenen Zeitpunkt eine den Staat und seine Organisationen ablehnende Grundhaltung zugelegt hätte. Als Referenz wurde vom Staatsanwalt ein „Reichsbürgerfall“ herangezogen, wo ein Polizeibeamter durch eine geschlossene Wohnungstür erschossen wurde.
Ich klage mit GEW-Rechtsschutz auf Einstellung beim Land Hessen. Eine große Welle der Solidarität unterstützt mich: Die Kosten des Strafverfahrens kamen durch eine Spendensammlung herein.
Benjamin Ruß: Ich bin Geoinformatiker, bewarb mich im Januar 2022 erfolgreich an der Technischen Universität München (TUM), sollte am Lehrstuhl für Kartographie und visuelle Analytik als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt werden. Formal fehlte nur die Zustimmung der Personalabteilung. Doch kam im April 2022 eine Aufforderung zur Stellungnahme, da beim „Verfassungsschutz“ etwas vorliege. Ich bin politisch aktives ver.di-Mitglied, ehemals bei SDS und RIO organisiert, bis heute bei der Roten Hilfe und der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften. Meine politischen Ansichten habe ich auf Kundgebungen, Demonstrationen und in online-Plattformen kundgetan. Wie bei Luca wurde auch mir vorgeworfen, ich hätte Polizeibeamte angegriffen – was sich bei Überprüfung durch die Anwälte als so haltlos erfunden erwies, dass es mir seinerzeit nicht einmal mitgeteilt und das Verfahren eingestellt worden war. Allen Ernstes lautete ein Vorwurf, dass ich mich solcher Begriffe wie Kapitalismus, Polizeigewalt und Rassismus bediente – was typisch für „Verfassungsfeinde“ sei. Nach sechsmonatigem Schriftverkehr beurteilte TUM-Kanzler Berger mich als ungeeignet für die Stelle. Die war inzwischen ohne Hinweis anderweitig besetzt worden. Darum reichte ich über den ver.di-Rechtschutz und die ehemalige Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Klage beim Arbeitsgericht München ein. Im August 2024 wies das Münchner Arbeitsgericht diese Klage ab. Formal hätte ich eingestellt werden müssen, aber die 30-seitige Begründung übernimmt teilweise krude politische Argumente des bayerischen „Verfassungsschutzes“ und versucht sich gar an einer Marx-Exegese. Wer die Demokratisierung von Betrieben und konsequente Streiks fordere, wer Staatskritik übe und gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen wolle, sei „Verfassungsfeind“ und dürfe nicht im öffentlichen Dienst arbeiten. Das ergebe sich aus der „Treuepflicht“ laut § 3 des Tarifvertrags der Länder („… müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“).
…was auch die Gewerkschaften unterschrieben haben. Bei früheren Berufsverboten – auch meinem eigenen ab 1977 – ging es angeblich immer nur um die besonderen Anforderungen des Beamtenstatus. Nach diesem Urteil wären nun alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – egal in welcher Funktion – verschärft treuepflichtige Staatsdiener. Seid ihr dagegen in Berufung gegangen?
Benjamin Ruß: Nein. Das ist eine Entscheidung, die dem Rechtsschutz, den Anwälten und mir echt schwergefallen ist. So ein Arbeitsgerichtsurteil erster Instanz ist wirklich schlimm, eine unglaubliche Anmaßung. Danach wäre es auch Albert Einstein, Autor der Schrift „Why socialism?“, verboten, an einer bayerischen Universität zu forschen und zu lehren. Aber was wäre, wenn so etwas im Urteil eines Landesarbeitsgerichts stünde? Noch schlimmer! Darauf würden sich die neu in den Startlöchern sitzenden Berufsverbieter sofort überall berufen. Genau mit einem solchen Urteil müsste in Bayern leider gerechnet werden, wenn wir das Verfahren weiter betrieben hätten. Nicht umsonst wurde die andere Seite von einer teuren Star-Kanzlei vertreten. ver.di hat in der Mitgliederzeitung publik eine ganze Seite über meinen „Fall“ berichtet.
Wie ordnen sich eure „Fälle“ ein in eine Entwicklung nach rechts und den Widerstand dagegen?
Luca Schäfer: Darf eine Lehrkraft auf einer Demonstration anwesend sein? Gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Ausbildung? In meinem Fall wird beides mit Füßen getreten. Eine versuchte Kriminalisierung von linken Perspektiven im Lehramt und im Staatsdienst. Um so wichtiger ist die gewerkschaftliche Solidarität. Wir lassen uns in dieser Zeit weder vom Kapital, noch von rechter Hetze oder Repressionen auseinanderdividieren.
Benjamin Ruß: Das Münchner Arbeitsgericht interpretiert das Grundgesetz äußerst gewerkschaftsfeindlich. Es geht gegen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, aber auch grundlegende Gewerkschaftspositionen. Demokratisierung von Betrieben, politische Streiks und „Erzwingungsstreiks“ sollen „rechtswidrige“ Mittel und „Nötigungshandlungen“ sein. Anwaltskanzleien, die sich auf Union Busting spezialisieren, Angriffen auf aktive und besonders gewerkschaftliche Betriebsratsmitglieder – da passt diese Rechtsprechung hinein in eine neue Politik der inneren und äußeren „Sicherheit“.
Das Interview führte Lothar Letsche, selbst Berufsverbotsbetroffener und Betreiber der Seite „berufsverbote.de“. Weitere Informationen zu den beiden Repressionsfällen sowie Möglichkeiten zu unterstützen sind dort zu finden.