Im Industrieclub von Düsseldorf wurde Hitler der Wegzur Macht geebnet
8. Februar 2024
Im Zuge der NPD-Verbotskampagne veröffentlichte die VVN-BdA folgenden Text auf der Kampagnenwebsite, welcher erstmals 2007 in der „Unsere Zeit“ erschien. Unser 2010 verstorbener Kamerad Jupp Angenfort war zu diesem Zeitpunkt Sprecher der Landesvereinigung NRW. Wir möchten seinen Text über den Industrieclub von Düsseldorf nun auch in diesem Magazin nachdrucken, da er treffend den Zusammenhang zwischen Faschismus und Großkapital darstellt und auch heute nützlicher Impuls für eine antifaschistische Strategiekonzeption ist.
Um sich zu erinnern, wie der deutsche Faschismus an die Macht kam, müssen wir bis weit vor den 30. Januar 1933 zurückgehen. Spätestens der 26. Januar 1932 war ein entscheidendes Datum für die Machtübertragung an die Faschisten. Im Industrieclub in Düsseldorf trafen sich an diesem Tage NS-Führung und Industrie zu einer Versammlung, bei der die Weichen gestellt wurden.
Der Präsident des Industrieklubs, einer Vereinigung von Großindustriellen, war damals Jost Henkel, der Persil-Boss. Er hat Hitler zu diesem Tag zu einem Vortrag in den Industrieclub eingeladen. Die Industriellen wollten Hitlers Programm kennen lernen. Hitler kam gerne und brachte Hermann Göring und den damaligen Führer der Terrortruppe SA, Ernst Röhm, mit.
Das Treffen Hitlers mit den Industriellen war bekannt geworden. Arbeiter, Gewerkschafter, Kommunisten und Sozialdemokraten zogen protestierend zum Industrie-Club im Park-Hotel. Unter ihnen war der leider bereits verstorbene Fritz Hollstein. Ich zitiere aus seiner Schilderung der Ereignisse: „Als wir Jung-Gewerkschaftler im Zentralverband der Angestellten davon erfuhren, waren wir entsetzt. Uns war aus den Studien bekannt, was Hitler in seinem Buch ‚Mein Kampf‘ proklamiert hatte: Antisemitismus und Gewalt. Wir zogen also zum Industrie-Club, um die Unternehmer zu warnen. Auf dem Wege dorthin begegnete uns eine marschierende SA-Kolonne mit Hakenkreuz-Fahne, die sang: ‚Wenn‘s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht‘s noch mal so gut!‘. Viele Demonstranten hatten sich vor Parkhotel und Industrie-Club eingefunden. Vom benachbarten Arbeitsamt kamen eine Anzahl Arbeitslose hinzu. Die Polizei, teils zu Pferd, wurde gegen uns eingesetzt, weil wir warnend riefen: ‚Hitler – das ist der Krieg!‘. Wir wurden verprügelt, manche in den Keller des benachbarten Opernhauses eingesperrt.“
Im Industrie-Club waren annähernd 650 Industrielle und Bankiers versammelt. Der Oberbürgermeister von Düsseldorf, Dr. Robert Lehr, begrüßte Hitler. Der selbe Robert Lehr wurde nach dem Krieg in der Regierung Adenauer Innenminister.
Hitler legte in einer Rede seine Konzeption vor. Er versprach, den Marxismus auszurotten, die Gewerkschaften zu zerschlagen, die Demokratie abzuschaffen: „Ich sehe zwei Prinzipien, die sich schroff gegenüberstehen: Das Prinzip der Demokratie, das überall, wo es sich praktisch auswirkt, das Prinzip der Zerstörung ist. Und das Prinzip der Autorität der Persönlichkeit, das ich als das Leistungsprinzip bezeichnen möchte.“ Bedroht werde dieses Leistungsprinzip vor allem durch die Arbeiterbewegung. „Wenn wir nicht wären, gäbe es schon heute in Deutschland kein Bürgertum mehr,“ biederte Hitler sich an. Hitler versprach, die Reichswehr auszubauen, aufzurüsten und „Lebensraum im Osten“ zu erobern. Die Armee gelte es zum Vorbild im „Machtstaat“ zu machen, die Wirtschaft allein könne Deutschland nicht zum führenden europäischen Exporteur machen. Da bedürfe es der Armee, sie müsse „unter Aufrechterhaltung des absolut antidemokratischen Grundsatzes unbedingter Autorität“ gestärkt werden. Das „Führungsprinzip der Wirtschaft“ sei in keiner politischen Organisation außer der NSDAP verwirklicht.
Gern hörten die Industriellen auch Hitlers Herrenmenschenthesen an: „Die weiße Rasse kann (…) ihre Stellung nur dann praktisch aufrechterhalten, wenn die Verschiedenartigkeit der Lebensstandards in der Welt aufrecht erhalten bleibt.“ Es sollte die Möglichkeit, billigste Rohstoffe zu erlangen, erhalten bleiben und die Ausplünderung der abhängig gehaltenen Länder fortbestehen, – was ja in heutigen Globalisierungszeiten recht aktuell klingt. Industrielle und Bankiers dankten, wie Presse und Augenzeugen berichteten, mit lang anhaltendem Dauerbeifall. Über die „sozialistischen“ Phrasen der NSDAP sahen sie hinweg, die waren für die Massen, nicht für Eliten bestimmt. Die „Herrenmenschentheorie“ Hitlers sagte ihnen zu, – heute sagen sie vornehm „Werte der westlichen Zivilisation“ dazu.
Nicht erst seit jetzt, aber nun noch reichlicher flossen riesige Spenden der Banker und Industriellen an die Nazipartei.
Unter den Arbeiterinnen und Arbeitern, die vor dem Industrie-Club protestierten, war auch die Kommunistin Maria Wachter. In ihren Vorträgen als Zeitzeugin vor der Jugend führt Maria Wachter, sie ist bereits 96 Jahre alt, aus: „Es müsste im Industrie-Club eine Tafel angebracht werden mit dem Text: ‚Hier bekam Hitler von Großindustriellen und Bankiers Beifall und Geld, hier wurden die Weichen zum Krieg gestellt!‘“ Maria Wachter wurde für ihren Widerstand fünf Jahre ins Zuchthaus gesperrt. Jost Henkel aber, der Persil-Boss, der Hitler zum Industrie-Club eingeladen hatte, wurde Wehrwirtschaftsführer.
Nach dem Vortrag Hitlers vor den Industriellen im Industrieclub war die Angelegenheit noch nicht beendet. Am nächsten Tag, am 27. Januar 1932, traf sich Hitler auf Schloss Landsberg, das dem Großindustriellen Fritz Thyssen gehörte, mit eben diesem Thyssen und dem Großindustriellen Ernst Poensgen, Vereinigte Stahlwerke. Hier wurde konkret über die Finanzierung der Nazipartei gesprochen. Fritz Thyssen, schon lange Großspender für Hitlers Bewegung, hat die Finanzierung später in seinem Buch „I paid Hitler“ (Ich bezahlte Hitler) geschildert. Die Nazis zeigten sich später auch gegenüber dem Großindustriellen Poensgen dankbar. Er wurde ebenfalls Wehrwirtschaftsführer. Die Nazis taten noch mehr in Düsseldorf: Sie gaben 1941 der Ronsdorfer Straße in Flingern den Namen „Ernst-Poensgen-Allee“. Das wurde später geändert. Aber die Stadtwaldstraße in Grafenberg erhielt bald wieder den Namen „Ernst-Poensgen-Allee“. Sie trägt ihn heute noch. Sie führt vom Staufenplatz bis zum Mörsenbroicher Weg.
Die Tagung vom 26. Januar 1932 im Industrieclub wirft einen Schatten, der bis in die heutigen Tage reicht. Als sollte der Gesprächsfaden vom Industrie-Club 1932 wieder aufgenommen werden, erklärte der ehemalige Industriellen-Präsident und noch heute einflussreiche Michael Rogowski (BDI), der Rüstungsetat müsse vergrößert werden. Die NPD, so Rogowski, sei nicht so beunruhigend wie die PDS. Das „Phänomen Rechtsextremismus“ solle nicht überbewertet werden. („Freie Presse“, Chemnitz, 20.09.2004) Und das Bundeswehr-Weißbuch von 2006 sieht ja die Erlangung von Rohstoffen auch als militärisches Ziel vor – ganz wie schon 1932 konzipiert.
Doch wie ging es unmittelbar nach dem Januar 1932 weiter? Erinnert sei an den Sturz der preußischen Regierung (SPD) durch den späteren Hitler-Minister Franz von Papen (damals noch Zentrumsmitglied, dann Deutsche Nationale Volkspartei). Dieser Putsch im Frühjahr 1932 führte nicht zur demokratischen und antifaschistischen Gegenwehr der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften; diese verwiesen auf das höchste Reichsgericht und auf die nächsten Wahlen. So verstrich wertvolle Zeit, die nicht zum Schutz der Republik genutzt wurde. Erinnert sei weiter an die Eingaben von Industriellen beim Reichspräsidenten Paul von Hindenburg mit der Forderung, Hitler an die Macht zu lassen, denn sein Einfluss bei Wahlen hatte den Zenit überschritten. Hindenburg war der Mann der reaktionärsten Militärs, die vielfach ebenfalls für die Machtübertragung an die Faschisten wirkten. Er war im übrigen erpressbar, denn er hatte sich aus „Osthilfe“-Fonds bedienen lassen. Die bekannteste Eingabe der Wirtschaftseliten war das Schreiben vom 19. November 1932. Die Behauptung, hier hätten nur „subalterne Kräfte“ und Mittelständler unterzeichnet, ist falsch. Man findet die Unterschriften von Bankern, Stahlindustriellen, Großreedern, Großagrariern und Chemieindustriellen, darunter Hjalmar Schacht und Fritz Thyssen.
Außer dem Düsseldorfer Industrieclub hat auch der Westfälische Industrieklub in Dortmund seine Rolle bei der Machtübertragung an Hitler gespielt. Auch dieser Klub, der sich früher Ruhrlade nannte, war eine jener Stätten, an denen 1932/33 die Würfel zugunsten jenes „Dritten Reiches“ fielen, das nicht möglich werden konnte ohne die Zustimmung der Eliten, vor allem der ökonomischen. In Dortmund trug der Sitz des Westfälischen Industrieklubs lange den Namen „Albert Vögler Haus“. Antifaschisten erinnern bei Aktionen an das Treffen der Wegbereiter Hitlers Franz von Papen (Ex-Kanzler und Ex-Zentrumspolitiker), Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) und Fritz Springorum (Hoesch) im Januar 1933 in Dortmund. Diese und andere Herren der geheimen diktatorischen „Ruhrlade“ beschlossen, die Hitler-Diktatur mit zu etablieren und zu finanzieren. Papen war gerade vom Treffen mit NS-Führer Hitler und Bankier von Schroeder in Köln gekommen, wo die Entscheidung zugunsten der Kanzlerschaft Hitlers fiel. Am 30. Januar 1933 wurde dann der Führer der Nazipartei an die Macht geschoben. Seinem Kabinett gehörten nur drei Nazis, ansonsten nur Herren aus den konservativen und militärischen Eliten an.
In der Gedenkhalle Oberhausen steht der Satz „Faschismus kommt nicht über Nacht, er wird vom Kapital gemacht“. Gemeint ist der Faschismus an der Macht, der vom Kapital gemacht wird. Der Faschismus als Bewegung hat auch andere als ökonomischen Wurzeln, und dass der Kapitalismus zwangsläufig in den Faschismus einmünden muß, ist widerlegt. Der Faschismus hätte verhindert werden können durch den demokratischen massenhaften Protest von einheitlich handelnder Linken und aller Demokraten. Vor allem ist es erforderlich, dem Groß- und Finanzkapital den Weg der Faschisierung zu versperren.
Stets und mahnend muß an die Komplizenschaft von maßgeblichen Teilen des Konservatismus und der Industrie wie auch der Banken und der Großagrarier mit Hitler erinnert werden.
Auch heute gibt es Teile des Bürgertums und des Kapitals, die selbst äußerst rechts agieren und auf das Zusammengehen mit den äußerst rechten Kräften setzen. Diese kapitalistischen Kreise sind zwar nicht dominierend, aber sie formieren sich. Der nordrhein-westfälische Bund der Selbständigen mit Sitz in Dortmund, ist so ein Zentrum der Rechten. Der Vorsitzende des Verbandes kommt stets aus den Reihen des CDU-Wirtschaftsrates, der zweite Vorsitzende dieses Verbandes der mittelständischen Kapitalisten heißt Martin Hohmann, bis vor einiger Zeit Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion. Er hatte in einer antisemitischen Rede angemerkt, dass man die Juden „mit einiger Berechtigung“ als „Tätervolk“ bezeichnen könnte. Hohmann sagte über die Neonazibanden, die unsere Städte mit Aufmärschen belästigen und ängstigen, sie versammelten sich unter den „Symbolen des Guten“. CSU-Chef Edmund Stoiber distanzierte sich zwar von Hohmann, unterhielt aber gute Kontakte zu dem Bund der Selbständigen, und er bekam einen Preis der Zeitschrift dieses Bundes, genannt „DS-Magazin“, ein Glied in der Kette rechter Publikationen. Und reaktionäre Bundeswehroffiziere gehören zum Umfeld des „Bundes der Selbständigen“ im Rahmen der nahestehenden Organisationen „Stimme der Mehrheit“ und „Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft“.
Heutzutage wird die Rolle der ökonomischen und konservativen Eliten an der Machtübertragung an Hitler gern verschwiegen, gar geleugnet. Keiner der Hitler-Filme, die uns in letzter Zeit geboten wurden, handelt davon. Der „Untergang“ Hitlers, wie er im gleichnamigen Film geschildert wird, stellte nicht den Untergang der wirtschaftlichen Machteliten dar, die schon bald nach 1945 wieder in Staat und Gesellschaft dominierten. Bisher können diese Eliten ohne faschistische Helfer auskommen, aber weil es einmal anders kommen kann, sollte alles daran gesetzt werden, die Demokratie zu schützen und die faschistischen Parteien und Organisationen – wie die NPD – auszuschalten.