Keine Scheu vor Inhalten!

geschrieben von Karl-Martin Matt

9. Februar 2024

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Maxi Schneiders Artikel „Als es keine Brandmauer gab“ löste eine kontroverse Debatte aus, in der es im wesentlichen um die Frage ging wieso es der Arbeiterbewegung, politisch hauptsächlich in SPD und KPD organisiert, nicht gelang den Faschismus zu verhindern. Eine Frage, die fast genauso alt ist, wie die antifaschistische Bewegung selbst. Derzeit ist diese Debatte stark geprägt von Begriffen und Formulierungen wie „Brandmauer“, „Querfront“, „rechts offen“, „Dammbruch“, „der Hauptfeind steht im eigenen Land“.

Diese Begriffe oder Bilder trüben den Blick auf die eigentliche Sache. Wie treten wir als AntifaschistInnen an die Menschen heran? Worin liegen die Ursachen der Rechtsentwicklung? Welche Politikfelder erfordern unsere Aktivität? Und natürlich: Wie kommen wir in eine solidarische Diskussion? Wie vermitteln wir unsere Inhalte nach innen wie nach außen? Diese Fragen müssen für uns im Vordergrund stehen.

Ein Beispiel: Als es die ersten Proteste gegen die Coronamaßnahmen gab, wurden die DemonstrantInnen recht schnell und pauschal als „Covidioten“ und „Schwurbler“ bezeichnet. Sicherlich, auf deren Demos, Kundgebungen und in ihren Publikationen wurde mehrheitlich recht krudes Zeug behauptet. Und wir AntifaschistInnen standen u.a. auch vor Aufgabe auf die Versuche der Nazis, die Demos für sich zu benutzen, aufmerksam zu machen. Jedoch die Frage: Was erreichen wir mit diesem Bashing? Es ist bei der Informationspolitik der Regierung kein Wunder gewesen, das viele Menschen mit ihren Sorgen auf die Straße gegangen sind. Diese Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik ist Nährboden für Protest. Dieser schlägt aber nicht zwingend in eine fortschrittliche beziehungsweise reaktionäre Richtung um. Fraglich ist aber, ob wir als fortschrittliche Bewegung von den Menschen überhaupt als mögliche Richtung wahrgenommen werden können, wenn wir AntifaschistInnen uns fast schon staatstragend verhalten. Über diese inhaltliche Angelegenheit müssten wir eigentlich diskutieren. Es gibt viele Publikationen und Aktionen in denen über die Lügen und Absichten der AfD aufgeklärt wird; trotzdem erfährt sie wachsende Zustimmung. Die AfD ist nicht Ursache sondern Folge der gesellschaftlichen Verwerfungen der neoliberalen Gesellschaftsgestaltung. Es müssen also die Ursachen der Rechtsentwicklung im Mittelpunkt antifaschistischer Strategien stehen. Derzeit gehen Hunderttausende
auf die Straße um gegen die AfD zu demonstrieren. Das ist angenehm zu sehen, wenn auch die Ursachen für Rassismus, Nationalismus und Krieg nur wenig thematisiert werden. Ob ein Verbot der AfD zu fordern uns im Kampf gegen Rechts weiterbringt ist fraglich. Wenn es dazu führt, dass sie weniger Geld für ihre rassistische Hetze zur Verfügung haben, soll es uns recht sein.

Und dennoch: Die Herrschenden haben ihre Agenturen und Medien, um ihre Ideologie des Neoliberalismus in die Köpfe zu bringen – und sie sind erfolgreich. Sollten wir ihre Begrifflichkeiten unreflektiert übernehmen? Unser Sprechen sollte in der Diskussion um antifaschistische Strategien berücksichtigt werden.

Da wäre zum Beispiel die „Demokratieerziehung“. Der Deutschlandfunk berichtete vor einigen Jahren von einer Mitarbeiterin bei Real, alleinerziehend, beschäftigt für etwa 1300 Euro. Die Konzernspitze entschied auf eigene Faust aus dem Arbeitgeberverband auszusteigen und stellte sie vor die Wahl: Kündigung oder für 980 Euro weiterarbeiten. Demokratie? Wenn man die Menschen für die Demokratie gewinnen will, dann muss sie erfahrbar werden. Demokratie erzieht als Demokratie nicht als erziehende Demokratie.

Dann wäre da zum Beispiel die „Wertegemeinschaft“. An den EU-Außengrenzen sitzen abertausende Menschen wie Tiere eingepfercht in überfüllten Lagern und die deutsche Regierung rüstet auf für die Verteidigung der Zugänge zu Rohstoffen und Absatzmärkten ohne Rücksicht auf Verluste, zumindest menschliche. Werte? Wenn wir als AntifaschistInnen Werte wie „Frieden“ und „Solidarität“ hochhalten, müssen wir eben diese gegen die Kriegs- und Asylpolitik der Herrschenden erkämpfen.

Es ist heuchlerisch, wenn in den Medien von Demokratieund Wertebildung die Rede ist, wir AntifaschistInnen haben aber natürlich den Auftrag eben diese zu leisten. Es muss bei unserer Bildung aber darum gehen den Menschen die wirklichen Verhältnisse aufzuzeigen und die Mittel sie zu überwinden:

„Die Verhältnisse nicht als Ergebnis natürlicher Gesetzmäßigkeit wahrzunehmen, erfordert mehr als berufliche Qualifikation. Allgemeine Bildung ist notwendig. Sie ist (und war stets) eine wichtige Voraussetzung für Opposition. Denn wie sonst wird eine Mehrheit dazu kommen können, es – beispielsweise – eine Absurdität zu nennen, wenn aufgrund des technischen Fortschritts zwar in einer Arbeitsstunde immer mehr hergestellt werden kann, gleichzeitig aber die Armut zunimmt?“ Herbert Schui, 2014