Plädoyers für wirkliche Selbstbestimmung

geschrieben von Erika Weisser

29. Oktober 2024

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Janka Kluge, © Melanie Grande

Seit Jahrzehnten ist Janka Kluge eine streitbare Aktivistin. Lange war sie als Sprecherin der VVN-BdA Baden-Württemberg unterwegs, danach war sie Landesgeschäftsführerin. Bekannt ist sie indessen nicht nur in antifaschistischen Kreisen, sondern auch in der trans*Community und darüber hinaus. Überregional von sich reden machte sie zuletzt im Juli 2023, als sie einen Prozess gegen Julian Reichelt gewann:  Der frühere Chefredakteur der Bildzeitung hatte die Transfrau in seinem Blog als Mann bezeichnet, sie hatte ihn daraufhin wegen der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte per Eilantrag beim Landgericht Frankfurt verklagt – und ein paar Monate darauf Recht bekommen. Ein Erfolg, der außer für sie persönlich auch für alle trans*Personen ein wichtiger Schritt war.

Beruflich betätigt sich Janka als Journalistin, Autorin und Herausgeberin. Ihre jüngste Veröffentlichung: „Einfach selbst bestimmt“. Diese von verschiedenen Autor*innen verfassten „Texte zur Lebensrealität jenseits der Geschlechternormen“ hat sie zusammen mit ihrer Mitstreiter*in Julia Monro organisiert und in Buchform gebracht. Darin tritt sie nicht nur als Mitverfasserin des Vorworts auf, das die Problematik der der trans*Menschen sehr präzise auf den Punkt bringt. Nämlich, dass es sich bei ihnen um eine gesellschaftliche Minderheit handelt, der das verfassungsmäßige Recht auf Selbstbestimmung bisher nicht in vollem Umfang zugestanden wird.

Sie zeigt sich auch als gleichermaßen kompetente wie einfühlsame und vor allem sehr ehrliche Gesprächspartnerin. In ihren Interviews mit einem 14-jährigen trans*Mädchen und deren Eltern sowie mit der Mutter zweier Trans*Kinder macht sie die Leser*innen zunächst auf die vielfältigen Nöte junger trans*Menschen und deren Familien aufmerksam. Dabei offenbart sie viel von sich selbst, von ihrem eigenen schwierigen und von massiver väterlicher Gewalt geprägten Werdegang.

Geht es in diesen Gesprächen um den oft noch praktizierten Zwang zum Durchleben der „falschen Pubertät“ oder um die Hilfen und die Unterstützung, aber auch um Trauerprozesse seitens der Eltern,  so hat Jankas drittes Interview die Schutzräume für Frauen zum Thema: Katrin Frank arbeitet im Vorstand der Frauenhauskoordinierung (FHK), die viele bundesweit agierende Verbände und deren Einrichtungen im Bereich Frauengewaltschutz vernetzt. Und sie wiederlegt die von reaktionärer Seite oft geäußerte Behauptung, dass die im neuen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) vorgesehenen Erleichterungen bei der Geschlechtsanpassung dazu führen könne, dass als trans*Frauen getarnte Männer ungehindert in Räume gelängen, die nur für Frauen da seien. 

Kurz nach Erscheinen des Buchs im April 2024 verabschiedete der Bundestag dieses Gesetz. Es löst das „unsägliche Transsexuellengesetz“ von 1981 ab, mit dem trans*Menschen hierzulande „in eine psychopathologische Ecke gestellt“ wurden, wie Julia Monro schreibt. Das SBGG, so ihr Fazit, sei ein erster Schritt auf dem Weg zur wirklichen Gleichstellung und Selbstbestimmung – dem aber viele weitere folgen müssten.

Sämtliche Beiträge dieses augenöffnenden Buchs sind ein Plädoyer für eben dieses Recht – und gegen jede Kategorisierung, jede ausgrenzende Einteilung in Gruppen, die im Zweifels- oder Krisenfall der Diffamierung und der Verfolgung preisgegeben werden können. Eine Gesellschaft, schreibt Monro, sei „daran zu messen, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht“. Das ist ein wichtiger Satz, der für alle Mitglieder dieser Gesellschaft gelten und Leitlinie für ihr Handeln sein sollte.  

Janka Kluge & Julia Monro (Hrsg.):
Einfach selbst bestimmt –
Texte zur Lebensrealität jenseits der Geschlechternormen
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2024
304 Seiten, Taschenbuch; Preis: 15 Euro