Freiburg: Offener Brief zur Klage der AfD gegen OB Martin Horn beim Verwaltungsgericht

geschrieben von Kreisvereinigung Freiburg

29. Januar 2024

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Äußerst alarmiert und entsetzt entnahmen wir der Badischen Zeitung vom Donnerstag, 25. Januar 2024, dass die AfD per Eilantrag beim Verwaltungsgericht eine Klage gegen Oberbürgermeister Martin Horn eingereicht hat. Vorwurf: Er habe beim Neujahrsempfang der Stadt Freiburg mit seinem Aufruf, Rechtsextremisten „keine Stimme“ zu geben, gegen seine Neutralitätspflicht und das Sachlichkeitsgebot verstoßen.

Wir wenden und entschieden gegen einen derart fadenscheinigen Versuch, den OB zum Schweigen zu bringen. Gerade im Wahljahr 2024 kommt es auf jede öffentliche Stimme an, die davor warnt, dass neue und alte Nazis, Faschisten und Rechtsextreme auf parlamentarischem Wege wieder an der politischen Macht beteiligt werden und sie schließlich ganz übernehmen könnten.

Heute jährt sich die Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee als Teil der militärischen Anti-Hitler-Koalition. An diesem Holocaust-Gedenktag erinnern wir an die Menschheitsverbrechen der Nazis – mit der Mahnung, dass es nie wieder geschehen möge. Wir sollten aber auch an den Aufstieg der NSDAP erinnern – und wie sie es schaffte, am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ohne absolute Mehrheit und ohne Koalition an die Macht zu gelangen.

Ähnlich wie die zumindest in Teilen als rechtsextremistisch eingestufte AfD heute hatten sich  Funktionäre und Mitglieder der historischen Nazipartei sowohl mit geschickten demagogischen Mitteln als auch mit massiven Drohgebärden und offener Gewalt eine große Anhängerschaft verschafft. Heute nenne soe das „schweigende Mehrheit“. So verschleierten sie ihr völkisch-nationales und gegenüber allen zu Nicht-Ariern erklärten Menschen eliminatorisches Programm mit dem Begriff „sozialistisch“ und fischten genau in den Milieus nach Stimmen, in denen die AfD dies heute tut: Sie versprachen und versprechen,  sich der Anliegen „des kleinen Mannes“ anzunehmen und mit den „Eliten“ aufzuräumen.

Und die Menschen, die sich ihnen entgegenstellten, terrorisierten, attackierten oder (er)schlugen sie. Sie brandmarkten, denunzierten und diffamierten sie – mit der Drohung, dass der Tag der Vergeltung kommen werde. Dieser „Tag“ dauerte dann 12 Jahre und war von Anfang an von der gnadenlosen Ausgrenzung und Verfolgung derer bestimmt, die nach Nazi-Definition nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörten. Sofort und massenhaft wurden die politischen Gegner in die schnell errichteten frühen KZs gesteckt (darunter der Freiburger SPD-Reichstagsabgeordnete Stefan Meier) und ihre Organisationen verboten. Aus ursprünglich gehegten Deportationsplänen – etwa von 2 Millionen jüdischer Menschen in den „Musterstaat“ Madagaskar – wurden bald Vernichtungskonzepte, die skrupellos umgesetzt wurden.

Inzwischen fühlen sich Rechtsextreme aller Couleur – nicht nur angesichts der Umfragewerte der AfD – wieder so stark und siegesgewiss, dass sie auf die Methoden von damals zurückgreifen: Einschüchterung, Denunziation, Drohung. Das geschah am 6. Januar in Lahr, wo bei den Protesten gegen die Eröffnung eines AfD-Ideologie-Bildungs-Zentrums eine örtliche AfD-Stadträtin dem anwesenden Bürgermeister „Konsequenzen“ ankündigte.

Und das geschieht jetzt in Freiburg, wo die AfD dem OB auf juristischem Weg daran hindern will, vor Rechtsextremisten zu warnen, da diese „die Demokratie zerstören“. Dabei hat er die AfD nicht einmal erwähnt, weder beim Neujahrsempfang noch am 17. Januar auf dem Platz der Alten Synagoge bei der von den parteipolitischen Jugendverbänden von JU bis Linksjugend getragenen Demo „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“, wo er seinen Aufruf  öffentlich wiederholte. Obwohl er zuvor von einem offenbar der AfD nahestehenden Kölner Anwalt unter Druck gesetzt worden war, eine entsprechende Unterlassungserklärung abzugeben. Unter Androhung von „Bußgeld“.

Da Horn dies verweigerte, zieht die AfD nun vor Gericht. Mit einem Vorwurf, der uns an die von der AfD vor einigen Jahren initiierten Kampagne denken lässt. Damals forderten sie Schüler:innen auf, ihnen Lehrer:innen zu melden, die sich im Unterricht mit heutigen rechtsextremen Gruppierungen auseinandersetzten, die also die „verdächtig“ waren, sich nicht an das „Neutralitätsgebot“ zu halten. Anschwärzen nennt man das. Oder denunzieren. Alles, was zur Aufklärung über die wahren Ziele von AfD & Co beiträgt, soll kriminalisiert werden.

Dabei ist es die geradezu selbstverständliche Pflicht aller, und insbesondere der staatlichen oder kommunalen Repräsentanten, vor Bewegungen zu warnen, die mit demokratischen Mitteln an die Macht kommen wollen, um eben diese Demokratie abzuschaffen. Wie Recht Martin Horn mit seiner Mahnung hat, dass „sie die Demokratie zerstören wollen, zeigt folgende Passage aus einem Artikel von Joseph Goebbels im „Völkischen Beobachter“ am 30. April 1928:

„Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns aus dem Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen (…) Wenn es uns gelingt, bei diesen Wahlen 60 bis 70 Agitatoren und Organisatoren unserer Partei in die verschiedenen Parlamente hineinzustecken, so wird der Staat selbst in Zukunft unseren Kampfapparat ausstatten und besolden (…)Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“

Genau diese Einstellung ist auch heute bei der extremen Rechten zu finden. Und die AfD ist in allen Parlamenten vertreten – und bedient sich bestens an den genannten Arsenalen und Geldquellen. Mit dem Ziel, den demokratischen Staat abzuschaffen. Daraus machen auch die heutigen Nazis keinen Hehl.

Und sie haben offenbar auch in der Zivilgesellschaft schon so viel Einfluss, dass es schon als mutig angesehen werden muss, das nach den Erfahrungen der Nazizeit zum Selbstverständlichsten der Welt aufzufordern: ihrer Abwehr.

Das wagt nicht mehr jede:r. OB Martin Horn hat diesen Mut aufgebracht. Deshalb wollen wir uns als Verband, der 1947 von vorwiegend politisch Verfolgten des Naziregimes gegründet wurde, ausdrücklich an seine Seite stellen und ihm unsere Unterstützung und Solidarität zusichern.

Nur mit der Gemeinsamkeit aller Demokraten und Antifaschisten ist die erneute faschistische Gefahr zurückzudrängen.

Mit freundlichen Grüßen
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist:innen, Ortsvereinigung Freiburg
gez. Erika Weisser, Sprecherin