Weißer Fleck in der Stadtgeschichte: Hinrichtungsort im Ludwigsburger Schießtal

9. Februar 2024

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Ludwigsburg beherbergt seit der Gründung im 18. Jahrhundert als Residenzstadt Württembergs eine Garnison. Während des 2. Weltkrieges war Ludwigsburg sowohl Ort der Militärgerichtsbarkeit als auch Hinrichtungsstätte. Mindestens 26 Todesurteile wurden wegen „Wehrkraftzersetzung, Desertion ausgesprochen und vollstreckt. Außerdem wurden in Ludwigsburg 17 belgische und 25 französische Widerstandskämpfer hingerichtet. Für die Stadtgesellschaft und den Gemeinderat in Ludwigsburg war die bisherige Recherche eine Überraschung. Diesen Opfern wird mit einem Mahn-Denk-Mal gedacht, das in räumlicher Nähe zum Schießplatz, an dem die Exekutionen vollzogen wurden, am vielbefahrenen Neckartal-Radweg aufgestellt wird.

Die Mühen der Recherche
Die mehr als 10-jährige Recherche zu den Opfern war und ist aufwändig. Da etwa zwei Drittel von ihnen unverheiratet und unter 25 Jahren waren, kamen als mögliche Nachkommen für weitere Auskünfte nur Neffen oder Nichten in Frage – oder bei Verheirateten mit Kindern gegebenenfalls auch Enkel. Leider gab es keine Reaktion oder Kontaktaufnahme der Verwandten. Das Thema scheint in Deutschland immer noch ein Tabu zu sein. Nur ein Enkel eines Deserteurs hat sich aufgrund eines Zeitungsartikels über das Mahn-Denk-Mal-Projekt gemeldet und hat weitere Details über die Folgen der Exekution für die Familie berichtet.

Ein Recherche-Zugang zu den belgischen und französischen Widerstandskämpfern waren die „Streiflichter aus Verfolgung und Widerstand 1939-45“ [1], die von der VVN-BdAKreisvereinigung Ludwigsburg von 1983 bis 2001 in mehreren Heften veröffentlicht wurden. Mit großem Engagement hatten die Herausgeber*innen Informationen beschafft, die bis dahin in der Öffentlichkeit unbekannt waren. Die Hefte gaben den Stand wieder, der zum damaligen Zeitpunkt möglich war. Zahlreiche Beiträge wurden ohne wissenschaftlichen Anspruch erstellt und sind damit auch oft ohne Quellenangaben. Die Anfragen bei den französischen Gemeindeverwaltungen waren sehr erfolgreich: meist wurden Scans von Geburtsund Heiratsurkunden und andere in den Archiven vorhandenen Dokumente ohne große Formalitäten zugeschickt. Viele französische Gemeinden haben auf ihren Websites das Gedenken an die örtlichen Résistance-Kämpfer mit Biographien veröffentlicht, einschließlich Links zu den Websites von Résistance-Organisationen. [2] Die belgischen Gemeindeverwaltungen (insbesondere im flämischen Landesteil) waren nicht so auskunftsfreudig wie ihre französischen Kolleginnen. Da aber viele der in Ludwigsburg Hingerichteten Teil des Netzwerkes „Comète“ waren, konnten über deren Website [3] weitere Informationen gewonnen werden. Eine Wikipedia- Recherche ergab, dass der Brüsseler Gemeindeangestellte Octave Mondo, der ebenfalls in Ludwigsburg exekutiert wurde, in der Gedenkstätte „Yad Vashem“ als „Gerechter unter den Völkern“ geführt wird. Für die belgischen und französischen Opfer waren die Arolsen Archives ITS (International Tracing Service) ein weitere ergiebige Quelle. Dort sind inzwischen alle Dokumente, die digitalisiert sind, im kostenlosen Onlinezugriff. Namen auf Sammellisten werden durch Freiwillige verlinkt und sind über die Suchfunktion erschließbar.

Militärjustiz
In den Urteilen gegen die erschossenen deutschen Soldaten ist festzustellen, dass in den Todesurteilen oft Standesdünkel und soziale Klassenunterschiede zum Ausdruck kommen. Einige Hingerichtete hatten Vorstrafen für Delikte der Armen (Diebstahl, Betrug, KZ-Haft als „Asoziale“ o.ä.). Dies wurde von den Richtern ausdrücklich strafverschärfend gewertet und war damit ausschlaggebend für die Todesstrafe; in vergleichbaren Fällen von gesellschaftlich Höhergestellten wurden Gefängnisaufenthalte verhängt. Ein unerforschtes Thema ist dabei noch die „Täter“-Seite, d.h. die Geschichte der Richter, die in der Regel nach Kriegsende in der Justiz wieder Karriere machen konnten. So wurde beispielsweise ein Richter, der einige Monate Im Wehrmachtsgericht der Division 465 in Ludwigsburg auch an Todesurteilen beteiligt war, später Senatspräsident am Bundesarbeitsgericht.

Mahn-Denk-Mal auch für die heutige Zeit
Die umgekehrten Pfeile am Mahn-Denk-Mal zeigen auf, wo die Heimat der Erschossenen war. Die Pfeilspitze zeigt zum Ort der Erschießung. Aus gestalterischen Gründen sind nicht 68 Pfeile hier umgesetzt, sondern 13 Pfeile anteilmäßig für die Opfergruppen. Ein weiteres Schild nimmt in der Form eines Stoppschildes die Verkehrszeichensymbolik wieder auf. Es weist die vorbeikommenden Radfahrer auf die Hintergründe der Skulptur hin und leitet mit QR-Codes auf die laufend aktualisierte Homepage. Dort erhält man nähere Informationen zum Leben der Opfer. Vieles ist uns dazu noch unbekannt, von einigen Opfern haben wir nicht einmal Bilder. Die Recherchen dieses Work-in-Progress werden laufend aktualisiert [4]

Wir leben einer Zeit, in der in allen Ländern der Nationalismus zunimmt und rechte Parteien und Bewegungen wieder erstarken. Wir hier in Deutschland, deren Vorfahren einen mörderischen Krieg gegen ganz Europa geführt haben, haben eine besondere Verantwortung. Es kann uns nicht egal sein, wenn ein Fünftel des Wahlvolkes der Partei folgen will, die diese Zeit des Faschismus wieder hoffähig machen will – sei es, dass sie das Mahnmal gegen die Vernichtung der Juden als Denkmal der Schande bezeichnet oder die Zeit des Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte. Wir als Demokraten müssen deshalb jetzt dagegen aufstehen: „Nie wieder ist jetzt!“ Deshalb hat das Projekt gerade auch heute eine wichtige Funktion.

[1] https://stolpersteine-ludwigsburg.de/streiflichter
[2 Beispielhaft: http://www.afmd-allier.com/PBCPPlayer.asp?ID=533676
[3] http://www.cometeline.org/cometmembresmortpourlacause.htm
[4] www.mahn-denk-mal-lb.de