Wir trauern um Stefan Jerzy Zweig

geschrieben von Lothar Letsche

15. April 2024

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Wir trauern um Stefan Jerzy Zweig, der am 6. Februar 2024 mit 83 Jahren in Wien verstorben ist. Als dreijähriges Kind wurde er 1944 mit seinem Vater, nach verschiedenen Ghetto- und Lageraufenthalten, schließlich in das KZ Buchenwald verschleppt.

Zacharias Zweig (1901-1972), der 1961 einen Bericht über die Rettung seines Sohnes verfasste, schrieb später an den Mitgründer unserer Vereinigung Willi Bleicher (1907-1981): „Nirgends konnte ich solchen Kampf und hohen Einsatz der politischen Häftlinge wie in Buchenwald finden. Ich muss gestehen, man wollte mir nicht glauben, so gab ich ihnen den lebenden Beweis, meinen Sohn … Ja, Ihr habt … Du und Deine Freunde … in den schweren und grausamen Zeiten, in denen das Menschliche getreten und zerrüttet wurde und die Mehrheit der Völker und Staaten dazu geschwiegen hat, die Fahne der Menschlichkeit hoch gehalten.“ Stefan Jerzy Zweig schrieb nach dem Ableben Willi Bleichers: „Ich habe ihn geliebt, doch konnte ich ihn kaum verstehen. Denn er sprach Schwäbisch mit mir … So sagte er mir unter anderem, er wisse jetzt, wie der Hase laufe …“ (Klappentext des 2005 im Selbstverlag erschienenen Buches „Tränen allein genügen nicht“). „Der deutsche Gewerkschaftskongress fand im Sommer 1966 in Westberlin statt. In seiner Rede als IG-Metall-Vorsitzender von Stuttgart machte Willi Bleicher zum Schluss seines Referats eine Bemerkung, die sich auf das amtierende Staatsoberhaupt Heinrich Lübke [1894-1972] bezog, der während der Nazi-Zeit seine Hände bei der Planung und Einrichtung von Konzentrationslagern im Spiel hatte … Bleicher sagte: ‚Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken.’. Daraufhin entstand von Seiten des rechten Flügels der Gewerkschaft ein Tumult … In dem Moment, als … der Vorsitzende des DGB … eine schriftliche Entschuldigung Bleichers vorlesen wollte, … bat Stefan J. Zweig, um Einlass zum Kongresssaal am Funkturm. … Er nahm … unauffällig auf einem Stuhl zwischen Willi Bleicher und dem IG-Metall-Vorsitzenden Otto Brenner [1907-1972] Platz. Als Ludwig Rosenberg [1903-1977] mit der Verlesung des Entschuldigungsschreibens zu Ende war, stand Willi Bleicher auf seinem Platz auf und sagte lediglich fünf Worte: ‚Der Fisch stinkt aber doch.’“ (S. 149 jenes Buches)

Wir erinnern uns dankbar an Stefan Jerzy Zweig als Mahner und Zeitzeugen – auch bei gewerkschaftlichen Gedenkveranstaltungen in Baden-Württemberg. Der Stuttgarter Journalist Hermann G. Abmayr hat das „Buchenwald-Kind“ in seinem 2007 veröffentlichten Film über Willi Bleicher und seinem Nachruf in der Kontext Wochenzeitung (mit Link zum Film) ausführlich zu Wort kommen lassen und sein Schicksal gewürdigt.