Die Rechte Welle Brechen
19. April 2024
Aufgerufen hatte ein sehr breites Bündnis, initiiert durch „Stuttgart gegen Rechts“, zu dem sich über 80 Organisationen zusammengeschlossen hatten. Nach der Riesenkundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz, zu der Zehntausende gekommen waren und nach den ebenfalls von mehreren tausend Teilnehmer/Innen frequentierten Stadtteil-Kundgebungen in Stuttgart-Ost, Heslach und Cannstatt, versammelten sich am 24. Februar erneut über 10.000 Menschen, diesmal auf dem Marktplatz, unter dem Motto „die rechte Welle brechen“. Schon auf den Zufahrtswegen drängten sich Leute, die es nicht bis zum Kundgebungsplatz schafften und sich später von dortaus dem riesigen Demonstrationszug anschlossen. Große Beachtung fand auch unser VVN-BdA-Infostand. Am Ende war fast all unser Info-Material weg. Einige Interessent/Innen hatten Ihre Kontaktdaten hinterlassen um künftig Einladungen und Informationen zu bekommen. Es hätten sogar mehr sein können, wenn wir das organisierter und offensiver angegangen wären. Die Stimmung war kämpferisch und bunt. Unzählige selbst gebastelte Schilder, Plakate, Transparente, Sprechchöre „Alerta, alerta, antifascista“ – „Wir sind alle Antifaschist/Innen“ – und „Alle zusammen gegen den Faschismus“, und „hoch die internationale Solidarität“, unterstützten die zahlreichen Reden und die kulturellen Beiträge.
Anders als bei manchen ähnlichen Veranstaltungen bundesweit, wo rechte Politiker/Innen von Ampel bis zur CDU/CSU versuchten sich selbst als Antifaschist/Innen in Szene zu setzen, wurden diese aber bei den Stuttgarter Kundgebungen sehr kritisch hinterfragt. Die „Eliten“, die Konzern-Vertreter, die Hindenburg aufforderten Hitler an die Macht zu hieven, waren keine Antifaschisten, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle organisierte Faschisten waren. Diejenigen, die die Stuttgart 21-Bewegung niederknüppeln ließen, waren keine Demokrat/Innen, auch wenn sie Angehörige von Parteien sind die das Wort demokratisch im Namen führen, ebenso wenig wie die, die Polizisten auf die Stuttgarter DGB-Erste Mai Demonstration einprügeln ließen. Zunehmende Repression staatlicher Behörden und meinungsfreiheitsbeschränkende Gerichtsurteile sind nicht demokratisch, auch wenn sie angeblich die Demokratie schützen. Das Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Bundeswehr beschreibt um was es wirklich geht. Um Sicherung der geostrategischen Großmachtambitionen, um Rohstoffquellen und Absatzmärkte weltweit, um Verkehrswege und Einflusszonen. Weltweite Bundeswehreinsätze sind heute schon ein Vorgeschmack. Die Möglichkeit friedlichen Zusammenlebens, eines ausbeutungsfreien Welthandels wird scheinbar gar nicht mehr in Erwägung gezogen. Wer, wie Lindner fordert, noch mehr Sozialausgaben zugunsten von immer mehr Rüstung zu streichen, wer die kommunale Infrastruktur und die gesamte öffentliche Daseinsvorsorge vom Gesundheits- und Bildungswesen bis zum ÖPNV kaputtspart, leitet Wasser auf AfD- Mühlen. Antifaschismus darf nicht nur die AfD bekämpfen. Wer die AfD-Demagog/Innen entlarven will, darf die Demagog/innen der „Bürgerlichen Mitte“ nicht schonen. Die Parole, „Lasst uns jetzt die Faschisten stoppen – über alles andere streiten wir später“ verkennt diese Dynamik. Wer jetzt den Sozial- und Demokratieabbau und den Rüstungswahn nicht stoppt, wird die Katastrophe nicht verhindern, gleich ob sie im AfD-Gewand daherkommt oder in den sich selbst beweihräuchernden Schein-Demokraten.
Unter großem Beifall kritisierten fast alle Sprecher/Innen wer, wie Kanzler Scholz „Abschiebungen in großem Stil“ proklamiere und praktiziere, mache doch genau das, was die AfD fordert. Wer das Land kriegstüchtig machen wolle, sei doch seelenverwand mit denen, die eine Großmacht Deutschland herbeiphantasieren. Wenn die AfD mehr Rüstung fordert, sei sie doch auf der gleichen Wellenlänge wie Pistorius, Baerbock, Strack-Zimmermann, Hofreiter, und der restlichen ganz großen Ampel-CDU/CSU-Koalition.
Die Demagogen der AfD klagen scheinheilig über Missstände, die sie gar nicht wirklich abschaffen wollen. Sie klagen über die Inflationstreiberei, fordern aber gleichauf mit CDU und Ampel die „Stärkung der Deutschen Wirtschaft“, verheimlichend, dass die Steuerquote der Reichsten, der DAX-Konzerne, allein von 1988 bis 2020 um 50,6% gesunken ist, verheimlichend, dass diese sich sogar noch z.B. durch vielfältige Subventionen aus den öffentlichen Kassen bereichern. Sie kritisieren nicht, dass sie jetzt wieder mit dem Wachstumschancengesetz in dieselben Kassen greifen, Steuergelder nur effektiv würden wenn Privatkapitalisten sich einen großen Teil davon abgreifen. Sie klagen über Sparmaßnahmen in allen Sozialbereichen, haben aber immer für mehr Rüstungsausgaben gestimmt. Sie beklagen die Wohnungsnot, machen diese aber nicht an der Wohnungsbaupolitik fest, sondern an „Asylanten“. Wenn sie gegen Waffenlieferungen an die Ukraine polemisieren, dann mit dem Argument „Wir brauchen unsere Waffen selber“, vor dem Hintergrund eigenen Großmachtstrebens. Die Beispiele ließen sich fortsetzen, Die Missstände die sie anprangern sind real – die Absichten die dahinter stehen bleiben verborgen. Das schafft ihnen gewaltigen Zulauf der brandgefährlich ist.
Umso wichtiger also, dass auf der Kundgebung auch in zahlreichen Reden betont wurde, der asoziale Raubzug auf Kosten der Masse der Bevölkerung sei es doch, der der AfD „die Schafe in den Stall treibe“. Wer diese Zustände abstreite, verharmlose oder schlimmer noch als alternativlos verteidige und vorantreibe sei schuld, dass die Menschen mit Ihren Sorgen, Ängsten und realen Nöten rechte Auswege suchen, wenn keine glaubhaften linken Alternativen erkennbar wären.
Widerstand gegen rechts kann eine Dynamik für den Kampf um echte Demokratie entfalten. Die Stuttgarter Kundgebungen haben gezeigt, dass Kampf gegen Rechtsaußen nicht zwangsläufig zur Solidarisierung mit den gegenwärtigen Haupttreiber/Innen rechter Politik führt.
Abertausende wehrten sich zugleich gegen Sozial- und Demokratieabbau und gegen die faschistische Gefahr. Es waren enorm viele Menschen die neu zu dieser Bewegung gestoßen sind, die angefangen haben tiefer nachzudenken und die mit ihrem zustimmenden Beifall auch eigene Entwicklungsprozesse signalisierten. Abertausende, die ihrerseits wieder meinungsbildend in ihrem Umfeld wirksam werden können. Und die Masse der Menschen, die auf anderen „staatstragenden“ Kundgebungen waren, haben die gleichen Ängste, Sorgen und Nöte. Sie können zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Es kommt eben auch darauf an mit welchen Argumenten sie konfrontiert werden. Das ist für uns Antifaschist/Innen Chance und Herausforderung zugleich.