Der Zweite Weltkrieg auf fünf Kontinenten – Teil 1
11. Februar 2025
Betrachten wir die kriegführenden Mächte, Waffenschmieden und Zufluchtsorte, Spionageeinsätze, Beschießungen und versuchten Landungsoperationen, hat sich der Zweite Weltkrieg tatsächlich auf fünf Kontinenten (mitsamt Weltmeeren und Inseln) abgespielt. In Zeiten globaler Kriegsgefahr schien es mir nicht verkehrt, einige weniger bekannte und beachtete Schlaglichter des damaligen Geschehens zu vergegenwärtigen.
Was am 1. September 1939 begann und am 8. Mai 1945 endete, war die Beteiligung Deutschlands – der deutschen Streitkräfte, der deutschen Nazis mit ihren unvorstellbar grausamen Verbrechen, bis hin zur industriemäßigen Vernichtung von Menschen. Es macht Sinn, dass gerade diese Tage in unserer Gedenkkultur eine besondere Rolle spielen, und dass wir die im „2+4“-Vertrag von 1990 enthaltene Verpflichtung betonen, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen“ und „Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung [nach der Angriffskriege verboten sind] und der Charta der Vereinten Nationen“.
Doch sollten wir bei der Betrachtung des „Welt“kriegs weder die „Vorspiele“ noch die anderen damaligen faschistischen „Achsenmächte“ Italien und Japan ausblenden. 1945 nahm neben den alliierten Befreiern Deutschlands auch China am Tisch der Siegermächte Platz. Dort spricht man heute vom „Widerstandskrieg des chinesischen Volkes gegen die japanische Aggression und im weltweiten antifaschistischen Krieg“ (Rechenschaftsbericht des KPCh-Parteitags 2022). Der begann allerdings schon mehr als ein Jahr vor der Machtübergabe an Hitler in Deutschland.
Japan in China und im „Pazifikkrieg“
Ab 18. September 1931 versuchten die Japaner, denen die Bahnlinie nach Korea gehörte, sich nach dem „Mukden-Zwischenfall“ (einer Sprengstoffattentat-Provokation) dauerhaft im Nordosten Chinas – der Mandschurei – festzusetzen.
1932 etablierten die Japaner den nur von 23 Staaten der Welt anerkannten Marionettenstaat „Mandschukuo“, nominell unter dem letzten „Kaiser von China“. Er grenzte direkt an die Sowjetunion und an Korea, das von Japan bereits 1910 annektiert worden war.
Am 7. Juli 1937 begann mit dem „Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke“ (15 Kilometer südwestlich von Peking) der als „Zweiter Japanisch-Chinesischer Krieg“ oder „Pazifikkrieg“ bezeichnete umfassende Krieg der Japaner in und gegen China. Am 13. Dezember 1937 nahmen sie die damalige chinesische Hauptstadt Nanking ein und veranstalteten ein unvorstellbar grausames Massaker.
Am 13. April 1941 wurde trotzdem ein japanisch-sowjetischer Neutralitätspakt geschlossen. Er wurde von Japan im entscheidenden Moment tatsächlich eingehalten: Das Land schloss sich trotz Hitlers Drängen dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion nicht an.
Am 7. Dezember 1941 erfolgte jedoch – ohne Kriegserklärung – der Überraschungsangriff der japanischen Luftwaffe auf die in Pearl Harbor (Hawaii) vor Anker liegende Kriegsflotte der USA. Auch Deutschland und Italien erklärten dann den USA den Krieg. 1942/43 fanden japanische Luftangriffe auf dem fünften Kontinent Australien statt.
Am 6. und 9. August 1945wurden von den USA Atombomben in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt – mit den bekannten fürchterlichen Folgen. Am gleichen Tag – drei Monate nach dem Kriegsende in Europa – beendete die Sowjetunion vorzeitig den Neutralitätspakt mit Kampfhandlungen in Nordchina und Korea. Das war auf der Konferenz der „Großen Drei“ (Churchill, Roosevelt, Stalin) in Jalta im Februar 1945 in einem Geheimprotokoll so vereinbart worden. Am 2. September 1945 kapitulierte das Japanische Kaiserreich, seine in China und Südost-Asien kämpfenden, rund eine Million Mann umfassenden Streitkräfte schließlich am 9. Und . 12 September..
In einem Beitrag von Berthold Seewald in der WELT vom 4.11.2023 heißt es dazu:
„Während der Zweite Weltkrieg im Pazifik aus europäischer Perspektive eher zu einem Nebenkriegsschauplatz gerinnt, stellt er sich in China und Japan als eine Auseinandersetzung dar, die selbst den deutschen Vernichtungskrieg im Osten in den Schatten stellt. 15 Jahre lang führte Japan seinen Eroberungskrieg in China, einen Krieg, in dem alle bekannten Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden (biologische und chemische Waffen von der japanischen Armee, die Atombombe von den USA). Bis zuletzt kämpfte die überwiegende Mehrzahl der japanischen Division[en] in China. Und auch die Brutalität der Kriegführung und die Verluste können es mit den Killing Fields in Osteuropa aufnehmen. Dieser Krieg war ungeheuer grausam, wurde von rassistischen Ideologien angetrieben und forderte allein in China mindestens 15 Millionen Tote – und er ist weit von jeglicher Aufarbeitung durch die Beteiligten entfernt. (…) Der unerwartete Widerstand und die hohen Verluste steigerten die Gewaltbereitschaft der japanischen Truppen. Deren rassistisch und kulturell motivierte Verachtung der Chinesen hatte schon in den Jahren zuvor wiederholt zu Exzessen geführt. Was sich aber bei der Einnahme der Kuomintang-Hauptstadt Nanking abspielte, war unbeschreiblich. …“ Der Autor schildert Details – ich mag sie nicht wiederholen.
Wegen der Atombomben wird Japan bei uns heute eher als Opfer des Zweiten Weltkriegs wahrgenommen; meist ausgeblendet wird die Rolle seiner Herrschenden als Kriegstreiber und seiner Kriegsverbrecher. Letzterer wird heute noch in im Yasukuni-Schrein in Tokio gedacht – in Deutschland (glücklicherweise!) unvorstellbar. Doch der Einsatz der Atomwaffen war militärisch sinnlos. Das japanische Oberkommando hatte bereits Waffenstillstandsgespräche vorbereitet und suchte die Vermittlung der formal noch neutralen Sowjetunion. Ihr vor allem sollte von den USA schon damals demonstriert werden: Ab jetzt haben wir das Sagen. Doch bereits 1949 hatte auch sie ihre Atombombe – rechtzeitig vor dem in seinen Folgen bis heute nachwirkenden Koreakrieg 1950-53, wo über einen Einsatz solcher Waffen ernsthaft laut nachgedacht wurde. Heute haben neun Staaten der Welt sie, und es herrscht das fürchterliche „Gleichgewicht des Schreckens“.
Nazideutschland und Italien auf dem Weg in den großen Krieg
1934 hatte das seit 1922 faschistische Italien das in einem zehnjährigen Eroberungskrieg besetzte Libyen zu seiner Kolonie erklärt. 1935 überfiel Mussolini – wiederum auf dem afrikanischen Kontinent – Äthiopien, mit chemischen Massenvernichtungswaffen und Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung.1936 schloss Italien dann einen Freundschaftsvertrag mit Nazideutschland, als Vorstufe zur späteren „Achse Berlin-Rom-Tokio“.
1936-39 schickten die italienischen und deutschen Faschisten militärische Unterstützung zu dem faschistischen Putsch-General Franco nach Spanien. Auch deutsche Soldaten wurden in italienischen Uniformen nach Spanien gebracht. Vor allem aber errichtete die deutsche „Legion Condor“die erste Luftbrücke der Welt und führte die ersten größeren Luftangriffe der Geschichte gegen die Zivilbevölkerung eines europäischen Landes durch. Diese Bombenflugzeuge trugen keine Hoheitsabzeichen. Das von ihnen zerstörte Gernika im Baskenland wurde sozusagen zum Vorbild für Coventry in England (nach der Zerstörung dieser Stadt am 19.11.1940 sprach Goebbels von „coventrieren“) und später dann auch für deutsche Städte wie Dresden, Hamburg, Pforzheim.
Unterstützung bekam die Volksfrontregierung Spaniens nur von der Sowjetunion, die Kriegsmaterial und Berater schickte, und von internationalen Freiwilligen. Als am 9. September 1936 erstmals ein von Großbritannien und Frankreich installiertes „Nichteinmischungskomitee“ tagte, wurde bereits Madrid bombardiert. Dringend benötigte Hilfe für die spanische Republik wurde behindert, die internationalen Brigaden mussten aufgelöst werden. Absoluter Tiefpunkt dieser „Appeasement“-Politik war dann das Münchner Abkommen, ausgehandelt in der Nacht 29./30. September 1938. Die nicht eingeladenen tschechoslowakischen Repräsentanten erfuhren am Morgen, dass ihr Land – mit Zustimmung Großbritanniens und Frankreichs – innerhalb von zehn Tagen seine Randgebiete einschließlich aller Grenzbefestigungen zu räumen und an „Großdeutschland“ abzutreten hatte. (Der „Anschluss“ Österreichs war bereits am 12. März 1938 erfolgt.) Auch die Sowjetunion, die mit der CSR einen Beistandsvertrag hatte (aber damals keine territoriale Grenze), konnte nicht helfen. Einen Tag später marschierten deutsche Truppen im Sudetengebiet ein. Churchill schrieb später in seinen Memoiren, Polen habe sich an der Aufteilung der Tschechoslowakei „mit dem Appetit einer Hyäne“ beteiligt – es annektierte das Olsagebiet, einen Teil des „Teschener Lands“, durch das die wichtigste Bahnlinie zwischen dem tschechischen und slowakischen Landesteil verlief. Nachdem letzterer sich am 14. März 1939 (nach einem deutschen Ultimatum) für formal selbstständig erklärt hatte, erreichte Hitler am folgenden Tag durch die Androhung einer Bombardierung Prags, dass der bisherige tschechoslowakische Staatspräsident sein Land „dem Schutz des Deutschen Reiches“ unterstellte. Das „Protektorat Böhmen und Mähren“ entstand.
Mussolini besetzte im April 1939 auch noch Albanien.
Wie agierte die Sowjetunion?
Die Führung des nach der Oktoberrevolution mehrmals von Interventionsarmeen heimgesuchten riesigen Landes verfolgte natürlich besonders aufmerksam das Agieren ihrer Anrainer, aber auch der damals führenden Westmächte. Die heimliche Zusammenarbeit mit der (durch den Versailler Vertrag gestutzten) deutschen Reichswehr, die es in der Weimarer Republik tatsächlich gegeben hatte, wurde nach dem Machtantritt der Nazis beendet.
Mit der Mongolischen Volksrepublik (der 1921 selbstständig gewordenen Äußeren Mongolei) wurde 1936 ein militärisches Beistandsabkommen geschlossen – wichtig, um den japanischen Militaristen die Lust auf einen Überfall in Richtung Sowjetunion und die Naturschätze Sibiriens zu nehmen. Ein Test in dieser Richtung war im Juli/August 1938 die „Schlacht am Chasansee“, ein von den Japanern in „Mandschukuo“ provozierter Grenzzwischenfall 130 km südwestlich von Wladiwostok. Als entscheidend erwies sich die „Schlacht am Chalchin Gol“ ab Mai 1939, einem Grenzfluss zwischen der MVR und „Mandschukuo“. Unter dem legendären General Georgi Schukow wurde zwischen dem 23. und 30. August 1939 die japanische 6. Armee völlig aufgerieben.
Exakt zu diesem Zeitpunkt verhandelten in Moskau – angesichts Hitlers offensichtlicher Kriegsvorbereitungen – die sowjetischen Topmilitärs mit Abgesandten Großbritanniens und Frankreichs. Deren Delegationen – niederen Rangs, auf dem langsamsten Weg angereist – versuchten Zeit zu schinden, hatten keine Vollmachten und konnten nicht beantworten, wie ein militärisches Zusammenspiel funktionieren sollte. Die nach dem Kollaps der „Appeasement“-Politik abgegebenen Garantieerklärungen dieser Mächte nützten den Polen nach dem deutschen Überfall nichts. Militärische Beistandszusagen der Sowjetunion (die im Angriffsfall die polnische Grenze hätte überschreiten müssen, um die Angreifer aufzuhalten) wollte die damalige polnische Regierung partout nicht haben. Als nach Meinung der sowjetischen Führung alle Alternativen ausgereizt waren – sie in eine Falle gelockt werden sollte, – wurde am 23. August1939, für viele überraschend, der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag unterzeichnet und sofort in Kraft gesetzt. Auch antifaschistische Zeitgenossen waren verwirrt und schockiert (in Memoiren kann man es nachlesen), vieles heute Veröffentlichte war damals nicht bekannt.
In der nächsten Ausgabe (April 2025) folgen Fortsetzung und Schluss des Artikels.