Mahnung zur Einheit
11. Februar 2025

„Unsere Eltern haben versagt, denn sie haben nicht zusammengefunden, um den Faschismus rechtzeitig zu bekämpfen. Dafür gibt es nur eine Entschuldigung: sie wussten nicht, was Faschismus an der Macht bedeutet. Für uns gilt diese Entschuldigung nicht.“
Kaum ein Gedanke ist so zentral für unser Selbstverständnis als Antifaschistinnen und Antifaschisten wie der, den Peter Gingold hier zum Ausdruck brachte. Der Faschismus hätte verhindert werden können, wenn alle, die an ihm nichts zu gewinnen hatten, ihn gemeinsam bekämpft hätten. Dieser Leitgedanke motivierte die Bildung antifaschistischer Volksausschüsse in der Nachkriegszeit, die Wiedergründung antifaschistischer Einheitsgewerkschaften, auch die Gründung der VVN und ihrer Vorläuferorganisationen.
Die Voraussetzungen, den Faschismus zu verhindern waren gegeben. Die SPD war nicht nur zahlenmäßig stärkste Kraft innerhalb der Weimarer Koalition. Die KPD war seit den Reichstagswahlen 1930 konstant ein nennenswerter politischer Faktor. Auch wenn im Zuge der Wirtschaftskrise die KPD vor allem unter Arbeitslosen große Verankerung genoss, gab es kaum einen Industriearbeiter, der nicht gewerkschaftlich organisiert war, Streikerfahrung und die Bereitschaft zu Handeln miteingeschlossen. Mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und dem Rotfrontkämpferbund existierten schlagkräftige paramilitärische Massenorganisationen.
Diese Tatsache schürt nicht gerade Optimismus, gab es doch damals mehr organisierte Antifaschisten als heute. Nicht an Saalschlachten hat es gemangelt, nicht an paramilitärischen Formationen, nicht an Wahlalternativen, nicht an Aktionen, nicht an Gewerkschaftern, nicht an Aktivisten. Weshalb konnte der Faschismus trotzdem nicht verhindert werden?
Bruderkämpfe in der Arbeiterbewegung
Die konkret vom Faschismus ausgehende Gefahr wurde innerhalb der Arbeiterbewegung bekanntermaßen lange Zeit unterschätzt. Innerhalb der Sozialdemokratie gab es stets auch die Illusion, man könne den Faschismus auf parlamentarischem Weg verhindern. Letztlich setzte sich bei führenden Sozialdemokraten der Gedanke durch, man könne einer NSDAP-Regierung sogar Kompromisse abschlagen und durch Anbiederung das Schlimmste verhindern, so zum Beispiel bei der Unterstützung des faschistischen „Tag der nationalen Arbeit“ durch den ADGB. Die Quittung für den Verzicht auf einen kämpferischen 1. Mai 1933, brachte dann gleich schon der folgende Tag. Für die auf Angleichung an die herrschenden Bedingungen abzielende Sozialdemokratie stellte die KPD keinen Bündnispartner dar, sondern einen erbitterten Feind, der zeitweise sogar auf eine Stufe mit den Hitlerfaschisten gestellt wurde. Die Erfahrungen mit dem Terror rechter SPD-Führer – zum Beispiel mit der blutigen Niederschlagung des Spartakusaufstandes durch den nominell-sozialdemokratischen späteren Reichswehrminister Gustav Noske – wiederum motivierte die Kommunisten dazu, die sogenannte „Sozialfaschismusthese“ aufzustellen, welche schlussendlich auch einer gemeinsamen Front gegen Hitler im Wege stand.
Spät erst fruchtete die Erkenntnis, dass die Besinnung auf den gemeinsamen Feind notwendig war, um den Faschismus zu verhindern. Doch auch nachdem weite Teile der organsierten Arbeiterbewegung diese Notwendigkeit gemeinsam zu Handeln erkannten, gestaltete sich die gemeinsame Aktion äußert schwierig.
Keine Einheit an der Spitze
Auch während der Machtübertragung an die Hitlerfaschisten, war die Kampfbereitschaft unter sozialdemokratischen Arbeitern noch groß. Dass es keine breite gewerkschaftliche Massenmobilisierung gegen den Faschismus gegeben hatte, lag nicht an mangelnder Bereitschaft an der Basis, sondern am herrschenden Kurs der sozialdemokratischen Massenorganisationen, aus Sorge vor den Konsequenzen lieber die Füße still zu halten. Seitens der KPD wiederum gab es den Versuch, durch den reichsweiten Aufruf zum Massenstreik gegen Hitler noch im Januar 1933 die Nazibande zu stürzen. Dass weder die SPD noch die sozialdemokratisch dominierten ADGB-Gewerkschaften den Streikaufruf unterstützten, ist der Grund dafür, dass nicht das ganze Reich von Massenmobilisierungen erschüttert wurde, sondern nur das kleine Mössingen.
Schlussendlich gab es während der gesamten Weimarer Zeit immer sowohl eine herrschaftskonforme als auch eine kämpferisch-antifaschistische Strömung innerhalb der Sozialdemokratie, ja auch innerhalb der SPD. Da gab es den Berliner Parteivorstand, dessen Parlamentsabgeordnete Hitlers sogenannter „Friedensresolution“ zustimmten, auf der einen Seite, auf der anderen den Exilvorstand und sein Prager Manifest. In fast allen Kämpfen der Weimarer Zeit aber fanden sich SPD-Mitglieder auf beiden Seiten der Barrikaden. Zumindest die SPD-Führung aber war kein zuverlässiger Bündnispartner im Kampf gegen Militarisierung und Staatsumbau als Vorboten der Faschisierung. Heute steht es allen Sozialdemokraten selbst frei, zu entscheiden, welcher dieser Traditionslinien sie sich zuordnen möchten.
Getrennt marschieren – vereint schlagen?
Die Aktionseinheit aller antifaschistischen Kräfte ist unstrittig nur unter Zurückstellung aller weltanschaulichen Unterschiede möglich. Gleichzeitig aber wäre es naiv zu glauben, sie könne ohne intensive Diskussion um ihre taktische Orientierung bestehen. Historische und leider auch aktuelle Beweise dafür gibt es genug. Für Peter Gingold war es vollkommen klar, was darunter zu verstehen wäre, wenn alle Antifaschistinnen und Antifaschisten zusammengefunden hätten:
„Wenn die starke SPD, deren Anhänger klassenbewusst und kämpferisch waren, mit ihrer paramilitärischen Formation ‚Reichsbanner‘ und die KPD mit ihrem ‚Rotfrontkämpferbund‘ und die starken Gewerkschaften zusammengestanden hätten, wäre Hitler 1933 nicht an die Macht gekommen. Es gab zu der Zeit kaum einen Industriearbeiter, der nicht in der Gewerkschaft organisiert war. Selbst nach Hitlers Machtergreifung erwarteten die meisten Sozialdemokraten und Gewerkschafter den Aufruf zum Generalstreik. Sie standen ‚Gewehr bei Fuß‘. Aber der Aufruf kam nicht, obwohl es bereits vor allem in der Stuttgarter Region zu politischen Streiks gekommen war. Heute weiß man: Als nach dem 30. Januar zum ersten Mal die Hitlerregierung zusammentrat – mit Hugenberg von der Deutschnationalen Volkspartei noch eine Koalitionsregierung –, war der erste Punkt auf der Tagesordnung die Frage, ob es zum Generalstreik kommen werde. Davor zitterte Hitler. Deshalb erkläre ich in meinen Reden: 1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet.“