Berufsverbote – sie kommen wieder oder sind schon da

geschrieben von Lothar Letsche

10. Juni 2025

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Ein unvollständiger aktueller Rundblick durch die Bundesrepublik

Niedersachsen: „Dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen“ und „dass die Umsetzung des sogenannten Radikalenerlasses ein unrühmliches Kapitel … darstellt“, beschloss der Niedersächsische Landtag am 16.12.2016 mit den Stimmen der damaligen Regierungsparteien SPD/ GRÜNE. Die damals eingesetzte „Landesbeauftragte“ hatte gerade ein Jahr Zeit, um für die politische Bildungsarbeit eine Dokumentation erstellen zu lassen. Im August 2017 trat eine über die GRÜNEN-Landesliste ins Amt gelangte Abgeordnete zur CDU über, was Neuwahlen auslöste. Ab November 2017 wurde das Land fünf Jahre lang von einer Großen Koalition aus SPD/CDU regiert – Funkstille zum Thema. Jetzt ist eine SPD/GRÜNE-Regierung im Amt. Doch Petitionen von Betroffenen, die auf Wiedergutmachung zielen, werden vom Petitionsausschuss seit 2 Jahren nicht beantwortet. Nein, Innenministerin Daniela Behrens (SPD) „will härter gegen radikale Beamte vorgehen“ und dafür das Disziplinarrecht ändern. Wer ein solches Etikett umgehängt bekommt, wird dann erst mal an die Luft gesetzt und kann sich dann wieder hinein klagen. Natürlich halten die Gewerkschaften davon gar nichts und verweisen darauf, dass Bürgermeister und Landräte mit Trump-Allüren sich genau dieses Instruments gerne bedienen würden.

Hamburg: Im Stadtstaat, von dem 1971/72 die Wiederbelebung der Berufsverbote ausging, sind die Abläufe gut aufgearbeitet: ein dickes wissenschaftliches Buch, eine Ausstellung, die im Rathaus gezeigt wurde, und ein Beschluss der Bürgerschaft vom 20.07.2018, der auch von einem „unrühmlichen Kapitel“ spricht, das „ausdrücklich bedauert“ wird, und auch er „spricht den aus heutiger Sicht zu Unrecht Betroffenen […] Respekt und […] Anerkennung aus“. Kein Hinderungsgrund für die SPD- und GRÜNE-Fraktion, am 15.01.2025 einen Antrag mit dem Titel „Resilienz des öffentlichen Dienstes gegen Verfassungsfeinde stärken“ einzubringen. Das Landesparlament soll sich „in geeigneter Weise über den Erkenntnisstand der Sicherheitsbehörden zu Art und Umfang des Eindringens von Verfassungsfeinden in den Hamburger öffentlichen Dienst … unterrichten sowie einen Regelungsvorschlag … erarbeiten, um eine Berücksichtigung der Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise vor Einstellung in den öffentlichen Dienst zu ermöglichen und damit eine gezielte Tätigkeit von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst zu verhindern“. Im Klartext: Wieder den „Verfassungsschutz“, wie gehabt und gerade hier reichhaltig dokumentiert, zur Einstellungsbehörde machen.

Nebenbei erfahren wir in der Antragsbegründung, dass „Konferenzen der Innenminister:innen und der Justizminister:innen von Bund und Ländern […] hierzu wichtige Beschlüsse gefasst [haben], um unser Staatswesen besser vor Einflüssen von Verfassungsfeinden zu schützen.“

Schleswig-Holstein: Kieler Nachrichten 19.01.2025: „Die schwarz-grüne Landesregierung will einenneuartigen Radikalenerlass einführen.Das geht aus einem Schreiben von Innenstaatssekretärin Magdalena Finke (CDU) an den Finanzausschuss des Landtags hervor. Demnach sollen in Schleswig-Holstein künftig Lehrkräfte, Polizisten und andere Landesbeschäftigte vor ihrer Einstellung auf Verfassungstreue überprüft werden.“

In Brandenburg blieb es nicht beim „Erlass“ – ein „Verfassungstreuecheckgesetz“ zwecks Geheimdienst-Regelanfrage, plus Änderung des Disziplinarrechts, wurde schon im letzten Sommer durch den Potsdamer Landtag gepusht. Kleiner Lichtblick: BSW, neuer SPD-Koalitionspartner, hat durchgesetzt, dass dieses Gesetz nun sehr rasch „evaluiert“ werden soll.

In Bayern hat es eigentlich nie aufgehört. Auf dem Fragebogen, wo Bewerber/innen des öffentlichen Dienstes Angaben über Zugehörigkeiten machen müssen, stand bekanntlich immer auch die VVN-BdA. Wir berichteten über das Urteil des Arbeitsgerichts München in Sachen Benjamin Ruß. Dass das noch steigerungsfähig ist und System hat, beweist u.a. der neue „Fall“ der Münchner Klima-Aktivistin Lisa Poettinger. Sie darf ihre Lehramtsausbildung nicht abschließen. Dazu die GEW: „Lisa hatte mit dem Abitur eine Auszeichnung für besonderes ehrenamtliches Engagement durch ihren Einsatz für Geflüchtete erhalten. Die über die Jahre ihres Aktivismus gewachsene Erkenntnis, dass unendliches Wachstum auf einer Erde mit begrenzten Ressourcen nicht möglich ist, führte sie zum Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München, wo sie sich auch während ihres Studiums weiter engagierte. Dieses organisierte zum Beispiel eine Kampagne im von Armut betroffenen Münchner Viertel Hasenbergl gegen eine Autobahn durch Parks und Spielplätze oder Proteste gegen die Automobilmesse IAA. Deshalb wirft das bayerische Kultusministerium Lisa nun u. a. vor, eine Verfassungsfeindin zu sein.“ Ihre Anwältin: Hier „liegt ein staatliches Ausbildungsverbot vor. Die Staatsregierung verstößt damit grob gegen das Grundrecht auf freie Berufswahl, Art. 12 Abs. 1 GG.“ Und noch vieles andere mehr. Der 105seitige Ablehnungsschriftsatz, der als Erkenntnisquelle eigentlich nur den „Verfassungsschutz“ zitiert, wäre eine gute Kabarettvorlage – ist aber bitterer, die berufliche Existenz zerstörender Ernst! Nur ein Beispiel: Lisa hatte beim Protest gegen die Internationale Automobil-Ausstellung den Begriff „Profitmaximierung“ verwendet. Der stamme „aus dem Kommunismus und wertet Gewinnstreben in der Wirtschaft ab“. Dass auch der bayerische Gesundheitsminister meint, „das Streben nach Profitmaximierung steht in einem Zielkonflikt mit einer am Wohl der Patientinnen und Patienten ausgerichteten Versorgung“, weiß man beim „Verfassungsschutz“ offenbar nicht.

Kapitalismuskritiker, Befürworter gewerkschaftlicher Kampfformen sind in dieser Geheimdienst-Welt „Extremisten“. Der Lack ist ab von den Beteuerungen, es gehe bei den „neuen“ Berufsverboten „eigentlich“ um verkappte Neonazis oder „Islamisten“. Wir können es nicht oft genug betonen: Unrecht wird nicht dadurch zu Recht, dass es die vermeintlich „Richtigen“ trifft. International verbindliche Grundnormen des Arbeitsrechts und die Menschenrechte gelten für alle – auch das Verbot politischer Diskriminierung im Beruf. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die Umsetzung entsprechender völkerrechtlicher Verpflichtungen, muss tatsächlich gelebt werden. Auch und gerade im öffentlichen Dienst. Auch und nicht nur in Bayern.