Im Osten nichts Neues …? – Teil 2

geschrieben von Rüdiger Jungkind

10. Juni 2025

, ,

In der vorletzten Ausgabe (Oktober 24) der Antifa Nachrichten erschien der erste Teil eines Artikels zum Ukraine-Krieg von Rüdiger Jungkind. Zentrale Aussage war, dass – wie bei jedem Krieg – zwischen Anlass und Ursache unterschieden werden muss. Dabei ist es im konkreten Fall leichter, die Ursachen des Krieges herauszuarbeiten.

Der Autor beleuchtete, warum die Vision vom „Gemeinsamen Haus Europa“ gescheitert ist. Obwohl sie nach 1990 als realistisch und auch als erstrebenswert angesehen wurde („Friedensdividende“). Insbesondere ging er auf Strategien ein, die Ukraine vom russischen bzw. sowjetischen Einfluss zu lösen, um Russland als europäische Macht auszuschalten. Für diese Strategie stehen sowohl die vor allem von Paul Rohrbach (*1869) postulierten Ziele des deutschen sowie des US-amerikanischen Imperialismus, der  Mitte der 1990er-Jahre etwa von Zigbiniew Brzezinsky und Samuel Huntington vertreten wurde.

Die Nennung dieser drei Namen bedeutet ausdrücklich nicht, dass die Liste der „Vordenker“ damit erschöpft wäre. Sie bedeutet auch nicht, dass großrussische Nationalisten dem nicht eigene Modelle entgegengesetzt hätten. Maßgeblich ist hier die Tatsache, dass sich aufgrund der wirtschaftlichen und militärischen Stärke des „Westens“ deren „Denker“ durchgesetzt haben. Dies zeigt ein simpler Vergleich der Landkarten von 1990 und 2025 insbesondere dann, wenn diese Karten um die seither abgebauten oder neu installierten militärischen Einrichtungen ergänzt werden.

Es bedarf keiner allzu großen geistigen Anstrengung, zu erkennen, dass sich die westlichen „Vordenker“ noch lange nicht am Ziel sehen. Es ist auch zu erkennen, dass diese Strategie insbesondere in Russland auf erbitterte Gegenwehr stoßen wird. Die Änderung der russischen Atomdoktrin am 25.September 2024 ist hier nur ein weiterer Beleg. Und nebenbei: die NATO hat sich in ihrer Militärdoktrin schon immer den Ersteinsatz von Atomwaffen vorbehalten.

Die Katze wird aus dem Sack gelassen

Am 25.Februar verfügte US-Präsident Donald Trump das Einfrieren der Finanzierung des „National Endowment for Democracy“ (NED). Damit wird die Existenz dieser vom 1983 vom damaligen US-Präsident Ronald Reagan gegründeten Denkfabrik in Frage gestellt. Es ist bemerkenswert, dass das offiziell als „Non Government Organisation“ (NGO) geltende NED durch den Entzug der staatlichen Mittel um die Existenz ringt. Mit der Unabhängigkeit kann es also nicht weit her sein. Dazu passt, dass über die konkreten Projekte dieser „NGO“ nur sehr vage Informationen erhältlich sind. Abrufbar ist aber, dass diese „Stiftung“ sowohl bei der sogenannten „Orangenen Revolution“ als auch bei den „Maidan-Protesten“ in den Jahren 2013/2014 ihre Finger im Spiel hatte.

Die Neue Zürcher Zeitung fasst zusammen: „Keine Organisation verkörpert das amerikanische Sendungsbewusstsein so sehr wie das National Endowment for Democracy. Wo immer die Zivilbevölkerung gegen ein autoritäres Regime mobilisierte, spielte das Endowment im Hintergrund mit: Es stützte […] und ukrainische Gruppen während der Maidan-Revolution. Historiker gestehen ihm eine wichtige Rolle bei der Beendigung des Kalten Kriegs zu.“

Die Destabilisierung der Ukraine

Infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist eine unübersehbare Anzahl an Literatur erschienen. Bemerkenswert ist, dass es nach dem 24. Februar 2022 praktisch keine Veröffentlichung gibt, die einen „neutralen Blick“ auf das Geschehen wirft. Deshalb ist es hilfreich, sich mit älteren Abhandlungen durchaus auch konservativer Natur zu beschäftigen. Dort werden Einschätzungen vorgenommen, die Hypothesen widersprechen, die heute allzu sehr ideologisch gefärbt werden. Das gilt etwa für den „Holodymor“, dessen Ausmaße zum Teil so überzeichnet werden, dass er „schlimmer als der Holocaust“ ist.

Manche Ereignisse finden in einigen Büchern schlicht nicht statt. Hier seien nur zwei Beispiele genannt. Jörg Kronauers „Ukraine über alles“ erwähnt den Giftanschlag auf Juschtschenko im Vorfeld der Wahl im Herbst 2004 nicht. Bei Steffen Dobberts „Ukraine verstehen“ wird das Minsk II – Abkommen nicht erwähnt. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich lohnt, widersprüchliche Werke zu lesen: Die Entwicklung in Osteuropa verläuft so komplex, dass es für das Gesamtverständnis förderlich ist, sich mit unterschiedlichen Standpunkten auseinanderzusetzen. Insbesondere wird in einigen Werken ausgeführt, das prorussische Aktionen und Aktive ebenfalls finanziell unterstützt wurden. Jedenfalls spricht gerade unter diesen Widersprüchlichkeiten sehr viel dafür, dass der letztendlich zum Krieg eskalierte Konflikt um die Ukraine durchaus als „Stellvertreterkrieg“ zwischen der NATO und Russland anzusehen ist.

Seitens des „Westens“ lässt sich sagen, dass man die Geister, die in der Ukraine eigens hochgepäppelt wurden, nicht mehr loswurde. Eine „Brandmauer gegen rechts“ gab es spätestens nach 2014 nicht mehr. Westliche Politiker*innen haben sich wiederholt mit Politikern getroffen, bei denen ein offen faschistischer Hintergrund nachweisbar ist. Da bildeten die „Ampel-Parteien“ keine Ausnahme. Trotz des Einflusses faschistischer Kräfte kann aber keinesfalls unterstellt werden, die Ukraine wäre derzeit ein faschistischer Staat.

Was war nun der Anlass für den Einmarsch Russlands am 24. Februar 2022?

Eine mögliche Erklärung liefert die Anzahl der von der OSZE-Beobachtermission gezählten Explosionen im Donbass, die sich von rund 50 am 14. Februar 2002 auf über 1.400 am 22. Februar 2022 vervielfachten. Wie so oft in diesem Konflikt sind aber auch hier die genauen Hintergründe unklar. Russland hat sich darauf berufen, es fände ein Völkermord statt. Diese Behauptung ist zumindest spekulativ. Nicht spekulativ ist hingegen die Aussage, dass diese Zunahme von Explosionen im Donbass auf westlicher Seite nicht thematisiert, geschweige denn, dass deren Untersuchung gefordert wurde.

Es widerspricht dem Völkerrecht, ein fremdes Territorium anzugreifen und diesen Angriff einseitig mit „dem Recht auf Selbstverteidigung“ oder „Minderheitenschutz“ zu begründen. Im Hinblick auf die Erfahrungen mit dem Münchner Abkommen von 1938 wollte die UNO nach 1945 genau das ausschließen. Dies gilt aber nicht nur für den russischen Angriffskrieg, sondern für alle „Selbstverteidigungsaktionen“ oder ähnliche Rechtfertigungen, die für militärische Handlungen gegen die territoriale Integrität anderer Staaten propagiert werden …

Schlussfolgerungen

Auf der internationalen Ebene lassen sich drei mögliche Szenarien entwickeln: Andauernde Konfrontation, Regime Change oder aber eine neue Entspannungspolitik.

Diese drei Szenarien spielen dabei keine gleichgewichtige Rolle. Deutlich ist, dass die ersten beiden Strategien seitens des „Westens“ deutlich bevorzugt werden. Aus antifaschistischer Sicht kann eigentlich nur die dritte Möglichkeit zielführend sein. Ein von außen inszenierter „Regime Change“ ist politisch problematisch und mit ungewissen Risiken verbunden.

Auf der EU- bzw. der bundesdeutschen Ebene wird die Hochrüstung als einzige „offizielle“ Alternative präsentiert. Die Folgen dieser Hochrüstung sind klar vorhersehbar: Inflation und Sozialabbau, keine ökologische Trendwende, verstärkte Migration, Zunahme der faschistischen Demagogie aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Spannungen, Aufbau von „halblegalen“ Strukturen für die Rechten, insbesondere in Polizei und Bundeswehr, sowie die Verstärkung einer antidemokratischen Putschgefahr.

Wenn diese Entwicklung Fahrt aufnimmt, werden auch wir die Geister, die „wir“ riefen, nicht mehr los.

Aufforderung zu Eigenrecherche

Antifaschismus war noch nie einfach. Als Beispiel nennen wir hier nur den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom August 1939. Auch wenn den damaligen Zeitzeug*innen dessen geheimes Zusatzprotokoll unbekannt war, hat dieser Vertrag schon vorher bestehende Meinungsverschiedenheiten unter Antifaschist*innen noch verschärft.

Das kann uns nur als Mahnung dienen, nicht leichtgläubig zu sein und selbstständig weiter zu recherchieren.

Bei diesem hier abgedruckten Artikel handelt es sich um eine gekürzte Version. Die Originalfassung des Autors mitsamt Zeittafeln und Rechercheempfehlungen lässt sich auf unserer Homepage nachlesen.