Streiken gegen Hitler

geschrieben von Anthony Cipriano

10. Juni 2025

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Für das Demokratieverständnis der bürgerlichen Revolutionen war von Anfang an die Frage der Gleichheit im rechtlichen Sinne zentral. Das bürgerliche Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet bekanntermaßen Reich wie Arm unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen. Für die werktätige Bevölkerungsmehrheit bedeutete diese Freiheit nach dem Gesetz stets, frei von einem Herrn wie auch frei von Besitz zu sein. War die ländliche Bevölkerung durch ihren Grundherren mehr oder minder fest an ihr Stück Land gebunden, bedeutet die gewonnene Herrenfreiheit der städtischen Bevölkerung in erster Line die Freiheit der Herren, in Zeiten wirtschaftlicher Depression ihresgleichen vor die Tür zu setzen. Wo die unteren Ebenen des Staates, die kommunalen Parlamente, über die Verwendung des verfügbaren Reichtums entscheiden, so tun sie dies unter dem Austeritätsdiktat der übergeordneten Strukturen – wo auf höchster Ebene die Fragen von nationalem Interesse diskutiert werden, so zur friedvollen Beilegung der Interessenskonflikte elitärer Kreise und nicht zur Vertretung der Bevölkerungsmehrheit. So oder ähnlich lauteten schon immer die Grundzüge progressiver Kritik an der bürgerlichen Demokratie. Auch Weimar war eine Republik beschriebener Couleur.

Wessen Weimar?

Ihrer spezifischen Historie nach wies sie einige fortschrittliche Elemente und Zugeständnisse an die Bevölkerung auf, konnte doch die Novemberrevolution deutsche Großmachtträume vorerst platzen lassen und die Kriegstreiber zu einigen dieser Zugeständnisse zwingen. Doch Weimar war im Kern nicht Errungenschaft, sondern vielmehr der Trostpreis der gescheiterten November-Revolutionäre. Die Macht alter wirtschaftlicher Eliten blieb nahezu unbeschnitten, sodass sich eine gesellschaftliche Gesamtkonstellation ergab wie eingangs beschrieben.

Nichtsdestotrotz wollten sich die herrschenden Eliten der Weimarer Zeit aller Zugeständnisse entledigen, um wieder freier walten zu können. Die Hitlerfaschisten waren nicht die ersten Handlanger, die hierfür herangezogen wurden. Ein nennenswerter Versuch der Errichtung einer „nationalen Diktatur“ war bereits der Kapp-Putsch vom 13. März 1920. Die NSDAP wurde zu diesem Zeitpunkt gerade frisch aus der DAP heraus gegründet und war außerhalb Bayerns noch keine nennenswerte politische Kraft. Die Putschisten kamen aus der Armee oder aus paramilitärischen Strukturen, einige waren Mitglieder der DNVP.

Die militaristischen Kreise der Weimarer Zeit waren nicht die einzigen, die großes Interesse an der NSDAP zeigten. Auch industrielle Kreise wandten sich ihr zu. Häufig waren diese Kreise sowieso miteinander verflochten. Erich Ludendorff zum Beispiel war eng mit der Rüstungsindustrie vernetzt. Allerdings war die NSDAP nicht allein für die Rüstungsindustriellen interessant. So wurde am 26. Januar 1932 der sich bereits an der Spitze der NSDAP befindliche Adolf Hitler zu einem Vortrag in den Düsseldorfer Industrieclub eingeladen, auf Treiben von Fritz Thyssen und Jost Henkel. Die Familie Henkel ist für die Waschmittelmarke Persil bekannt.

An der Machtübertragung an die Hitlerfaschisten auf Betreiben wirtschaftlicher Eliten der Weimarer Zeit wird die anfänglich beschriebene Kritik an Republiken jener Machart plastisch begreifbar. Folgerichtig hieße der praktische Ausdruck dieser Analyse: Streiken gegen Hitler!

Zwischen Mössingen und Berlin

Es ist allgemein bekannt, dass großangelegte politische Streikaktionen gegen die Machtübertragung an die NSDAP in Deutschland ausblieben und erst die Befreiung durch die Alliierten, allen voran der roten Armee, den Nazis Einhalt geboten. Erst 1933 und nur im schwäbischen Mössingen unternahmen Textilarbeiter den Versuch, die Machtübertragung per Massenstreik zu vereiteln. „Der Reichspräsident Hindenburg, der Präsidentschaftskandidat der SPD-, Reichsbanner- und Gewerkschaftsführer, hat seinen „Gegner“ Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Hitler hat eine Regierung der faschistischen Konterrevolution gebildet“, hieß es im Streikaufruf der Landesleitung der KPD Württemberg. Ebendiese hatte bereits 1932versucht,  den Massenstreik gegen die Errichtung der Militärdiktatur durch die Regierung Papen/Schleicher zu organisieren. Doch das ganze Land war gelähmt durch den Irrglauben der damaligen Führung der Sozialdemokratie, man könne den Kampf gegen die ökonomischen Strippenzieher des Faschismus, also schlussendlich einen Kampf um die ökonomische Vorherrschaft, durch einen Kampf juristischer Natur um das Fortbestehen der Demokratie ersetzen. In einer Erklärung des Berliner Parteivorstands der SPD am 20. Juli 1932 hieß es in Erwiderung der Streikorientierung illusorisch: „Der Kampf um die Wiederherstellung geordneter Rechtszustände in der deutschen Republik ist zunächst mit aller Kraft als Wahlkampf zu führen. Es liegt beim deutschen Volke, durch seinen Machtanspruch am 31. Juli dem gegenwärtigen Zustand ein Ende zu bereiten.“ Damit waren die letzten Stunden der Republik eingeläutet.

Nichts gelernt und nichts gewonnen?

Die Bedeutung des politischen Streiks als Werkzeug gegen den Faschismus und als Instrument der Durchsetzung demokratischer Rechte wird im heutigen Deutschland nicht nur historisch geringgeschätzt, sondern auch praktisch ausgehöhlt. So mündeten politische Streikbewegungen in den westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik, etwa die Streikbewegung für gewerkschaftliche Mitbestimmung und die Streiks zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes nicht etwa in einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu Gunsten der werktätigen Bevölkerung, sondern schlussendlich im Verbot politischer Streiks in den 1950er Jahren.

Für uns aber muss die Frage der ökonomischen Macht für das Verständnis von Faschismus und Demokratie zentral bleiben. In der aktuellen politischen Situation kommt uns hier die besondere Verantwortung zu, nicht zu vergessen woher Kriegs- und Faschisierungsbestrebungen kommen und wie diesen Einhalt geboten werden muss. Das bedeutet unterm Strich: die Fronten zwischen „unten“ und „oben“ ziehen und nirgendwo sonst.