13 Monate Widerstand gegen die Kapitalinteressen eines Konzern
19. September 2025
AN25-3, Geschichte, Sozialpolitik

Von April 1984 bis Ende Mai 1985 kämpfte die Belegschaft der Trafo-Union (eine Tochter des Siemens-Konzerns) in Bad Cannstatt um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.
Siemens ist ein altes Traditionsunternehmen.
Gegründet wurde die Firma 1847. Begonnen hat alles mit 10 Beschäftigten, wenige Jahre später waren es 330 und Ende des Jahrhunderts 6500 Beschäftigte, heute weltweit ca. 312.000 und in Deutschland 87.000. Die Firma hat 2 Weltkriege überstanden und das vor allem als Rüstungskonzern und mit enormen Gewinnen. Eine Firma nach der anderen verleibte sich der Konzern auf dem Weg zum Global Player ein. Die Menschen wurden dem „technischen Fortschritt“ unterworfen und mussten in Fließfertigung durch Arbeitsverdichtung all den Reichtum erwirtschaften.
Während der Nazizeit wurden ab 1940 Kriegsgefangene, Häftlinge aus den Konzentrationslagern, vor allem Juden, Sinti und Roma, sowie 80.000 Zwangsarbeiter*nnen aus den besetzten Gebieten eingesetzt, natürlich ohne Lohn, also mit Reinprofit in die Firmenkasse.
Später stellte Siemens 155 Millionen Euro für die Entschädigung der Zwangsarbeiter*innen zur Verfügung. Das waren im Durchschnitt noch nicht einmal 2000 Euro pro Person und das meist für 5 Jahre Zwangsarbeit. Wenn unser langjähriger Vorsitzender der VVN-BdA, Alfred Hausser, nicht die Entschädigung von Zwangsarbeiter*innen ein Herzensanliegen gewesen wäre, hätte die Bundesregierung keinen Fonds eingerichtet und hätte die deutsche Industrie von sich aus vermutlich nichts gezahlt, einige haben sich dabei immer noch aus der Verantwortung gestohlen.
1984 sollte alles abrupt ein Ende haben.
Der Konzern – vorgeschoben der Vorstand der Trafo-Union (Siemens hatte zu der Zeit in 54 Ländern 134 Fertigungsstandorte) – informierte am 5. April 1984 die Belegschaft, dass das Werk geschlossen wird und die Belegschaft zum Teil Arbeitsplätze in Kirchheim und Nürnberg angeboten bekommen würde. Viele der Beschäftigten waren mehrere Jahrzehnte in der Firma beschäftigt. Das war ihre Existenzgrundlage. Mit dem Einkommen konnten sie sich ein klein bißchen Wohlstand aufbauen. Von da an formierte sich der Widerstand gegen die Pläne des Konzern. Es wurde eine knallharte Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit. Der Kahlschlagspolitik setzte sie die Solidarität der Beschäftigten und der Menschen vor Ort entgegen. Es sollte der bis dahin längste Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik werden. Es war eine Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit.
Solidarität und Aktionen
Getragen wurde diese Auseinandersetzung vor allem durch die Belegschaft und ihren Familien und Freund*innen. Solidarisiert haben sich die Beschäftigten der umliegenden Firmen, die Einzelhändler*innen, die Anwohner*innen in Bad Cannstatt, Betriebsräte und Vertrauensleute aus den Stuttgarter Betrieben, aber auch Gewerkschafter*innen aus anderen Bereichen.
Es gab vielfältige Aktionen: Infostände, Demonstrationen, Menschenkette um den Betrieb, Blockade der Zufahrt um zu verhindern , dass die hochmodernen Anlagen abgebaut und verlagert werden. Immer wieder waren auch Liedermacher*innen vor Ort und sangen Gemeinsam mit den Menschen Widerstandslieder (auch selbstgedichtete). Hannes Wader, Fasia um nur zwei zu nennen motivierte mit ihren Liedern die Beschäftigten. Parallel zu den vielfältigen Protestveranstaltungen wurden zahlreiche Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Firmenleitung geführt, ohne daß eine Einigung hätte erzielt werden können. Die Konzernleitung beharrte immer wieder auf ihrer Entscheidung den Standort zu schließen, angeblich weil nicht profitabel. Was sich als falsch herausstellte, da bei den Gewinnen bereits u.a. Sozialplanmittel in Rechnung gestellt wurden und so der Gewinn geschmälert wurde. Auch eine Einigungsstelle konnte kein Ergebnis erzielen. Daraufhin ordnete die Firmenleitung die Demontage der ersten großen Wickelmaschinen an. Ab 10. Mai wurden diese von einer Fremdfirma abmontiert. Diese Maschinen sollten am 17. Mai 1985 mit Lkw’s zu ihrem neuen Einsatzort Nürnberg transportiert werden. Dies veranlasste den Betriebsrat am 15. Mai zu beschließen, das für die Ein- und Ausfahrt von Lkw’s, bestimmte Werkstor auf der Deckerstrasse bis 18.5. symbolisch zu „bewachen“ um die „Arbeitsplätze zu beschützen“. Das war ein Protest gegen Maßnahmen, die Fakten schaffen ohne dass vorher ein Verhandlungsergebnis wie z.B. ein Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen war. Vor allem die Öffentlichkeit sollte informiert werden mit welchen Mitteln versucht wird den Betrieb zu entbeinen.
Zuspitzung des Konfliktes
Ab dem 15. Mai hielten sich zeitweise bis zu 150 – Personen im Bereich der Einfahrt zur Firma auf. Teilweise waren es Mitarbeiter*innen und teilweise betriebsfremde Personen, die sich mit den Betroffenen solidarisch erklärt hatten. Vermutete wurde, dass über das verlängerte Wochenende an dem niemand im Betrieb wäre, die Maschinen abtransportiert werden. Und so war es dann auch. Am 16. Mai gegen 14 Uhr fuhr ein erster LKW vor, der aber nach einigen Informationen durch die Betroffenen wieder abdrehte. Andere Fahrer mussten auf dem Cannstatter Wasen auf Anweisungen warten. Von dort aus wurde gegen Abend ein LKW von der Polizei zum Werktor geleitet. Ein Einfahren war angesichts der dortigen Menschenmenge nicht möglich. Die Polizei hatte die Deckerstrasse vorsorglich gesperrt und eine Hundertschaft Beamte im Werksgelände der Trafo-Union abgestellt.
Die Polizei drohte den Menschen vor dem Tor, das es strafrechtliche Folgen haben könne, wenn sie die Einfahrt weiter blockieren. Ein Teil der Demonstranten (ca. 40) setzte sich spontan vor das um eine Einfahrt zu verhindern. Es waren alles Menschen, die nicht bei der Trafo-Union beschäftigt waren weil niemand wollte, dass ein Beschäftigter dadurch möglicherweise auch noch eine Kündigung unabhängig von der Schließung erhalten würde. Der LKW-Fahrer hatte die Ruhe weg und wartete seelenruhig was da passieren würde. Es war ihm einfach „wurscht“ wie lange das dauert, da er ja die Stunden bezahlt bekäme.
Gegen 18 Uhr ordnete die Polizei die Räumung an. Jeder der sitzenden Demonstranten bekam 2 Polizisten an die Seite gestellt. Nach mehrmaliger Aufforderung wegzugehen wurden die Demonstranten weggetragen und in sog. „grüne Minnas“ verfrachten. Darin waren kleine Zellen in die immer eine Person eingesperrt werden konnte. Alle wurden in die Landespolizeidirektion verbracht und diejenigen, die keine Ausweis dabei hatten wurden erkennungsdienstlich behandelt.
Das letzte Aufbäumen
Am 16.Mai Abends hatten sich mehrere 100 Menschen vor dem Werkstor versammelt. Viele langjährige Beschäftigte waren da mit ihren Familien, Gewerkschafter*innen aus anderen Betrieben, Klaus Zwickel, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Stuttgart. Heinz Hummler (BRV), Hans Meister (Gruppe Arbeiterfotografie), Heidi Scharf (IGM-Sekretärin) waren auf dem Dach des Wohnwagens vor dem Tor. Heinz Hummler informierte über ein Megafon die Menge über den Stand der Dinge, die Menschen waren emotional sehr aufgebracht, gar mancher der alten Facharbeiter hatte Tränen in den Augen. Hier wurde durch einen der größten Konzerne der Welt, ein Stück Leben zerstört. Und auf einmal fuhren 2 Motorräder durch die Menge, das war ein Ablenkungsmanöver, dann wurde eine Flutlichtanlage ausgefahren und eine SEK-Einheit der Polizei stürmte den Wohnwagen, entriss Heinz Hummler das Megafon und zerstörte die Kamera des Fotografen.
Und trotz alledem ging auch danach der Kampf weiter und führte dazu, dass ein bestmöglicher Sozialplan letztendlich abgeschlossen wurde.
Hätte die Belegschaft nicht so lange und so vehement gekämpft wäre ihnen schon ein Jahr früher das Fell über die Ohren gezogen worden.
Solche Beispiele sind wichtig, müssen in unserer Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit präsent bleiben und Mut machen sich nicht dem Diktat der Unternehmen zu unterwerfen, sondern für ein besseres Leben aufzustehen und Widerstand gegen Ungerechtigkeiten und Profitgier zu leisten.
Solidarität ist unsere Stärke und Kraft für Widerstand, denn einen Finger kann man brechen, 5 Finger sind eine Faust.