Ein aktives gewerkschaftliches Leben entfalten!

geschrieben von Lothar Letsche

19. September 2025

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Von Unternehmerverbänden ist gerade häufig die Rede davon, dass in diesen schwierigen Zeiten ruhe in den Betrieben herrschen müsse. Nichtsdestotrotz wurde die Tarifrunde im öffentlichen Dienst Anfang des Jahres korrekterweise von mehreren Warnstreikaktionen begleitet. Lothar Letsche sprach für die Antifa Nachrichten mit Norbert Heckl, dem stellvertretenden ver.di-Bezirksvorsitzenden aus Stuttgart, über den Abschluss und seine Auswirkungen.

Lothar Letsche: Der kürzliche Tarifabschluss im öffentlichen Dienst – Bund und Kommunen – wurde von ver.di als „schwieriger Abschluss in schwierigen Zeiten“ bezeichnet. Was ist damit gemeint?

Norbert Heckl: „Schwieriger Abschluss“ meint wohl, dass er schlecht ist, die gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht ausgleicht, und er nur von einer knappen Mehrheit der Mitglieder – bei nur 25% Beteiligung an der Abstimmung – gebilligt wurde. Und die „schwierigen Zeiten“ beziehen sich, denke ich, auf die politischen Rahmenbedingungen einer verschärften Rechtsentwicklung im Zeichen von „Kriegstüchtigkeit“ und Sparpolitik zugunsten von Aufrüstung und Unternehmenssubventionen. Für viele Kommunen, nicht nur im Osten, ist ohnehin jede Gehaltserhöhung kaum bezahlbar, da sie über Jahre hinweg zwar immer mehr Aufgaben zugewiesen bekommen haben, ihre Finanzierung aber völlig unzureichend ist – ver.di fordert schon seit langem eine Reform der Kommunalfinanzierung und eine Übernahme der Altschulden durch den Bund.

Natürlich drücken Tarifabschlüsse ein Kräfteverhältnis aus – sozusagen als „Waffenstillstand“. Ob „mehr drin“ gewesen wäre, muss natürlich in der Gewerkschaft diskutiert werden. Als VVN-BdA versuchen wir uns der Rechtsentwicklung entgegenzustellen. Da spielt die staatliche Sozialpolitik eine ganz wichtige Rolle. Wie siehst du da die möglichen Auswirkungen dieses TVöD-Abschlusses?

Die Rechtsentwicklung verändert seit Jahren das Kräfteverhältnis zu Ungunsten der Gewerkschaften, nicht nur im Öffentlichen Dienst; insofern ist dieser Abschluss ein Ausdruck dieser Veränderung. Wenn wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nicht bewusst eine widerständige Politik entwickeln gegen einen Kurs der Aufrüstung und Militarisierung, der Umverteilung von unten nach oben, einer Wirtschaftspolitik zugunsten des Kapitals, wird sich dieses Kräfteverhältnis weiter verschlechtern – und damit ist natürlich auch eine Sparpolitik leichter durchführbar, die vor allem die Sozial-, Bildungs- oder Gesundheitspolitik betrifft. Mit einem besseren Abschluss wäre es sicher auch leichter, Kolleginnen und Kollegen zu motivieren, sich diesem Kurs entgegenzustellen. So entsteht bei Vielen der Ein-druck, dass trotz vieler Streiks kaum Erfolge zu erringen sind. Resignative Stimmungen werden damit befördert.

Bürgerinnen und Bürger „erleben“ den Staat erst mal anhand von Dienstleistungen, die sie dort benötigen, wo sie leben. Wo die nicht (mehr) funktionieren, macht sich daran Unzufriedenheit fest. Da bieten sich doch – statt die wirklichen Ursachen zu erkennen und anzuprangern – „Sündenböcke“ an?

Um die öffentlichen Dienstleistungen zu verbessern, müssen die Arbeitsbedingungen vor allem bei den Kommunen verbessert werden, die Gehälter gegenüber der Privatwirtschaft „konkurrenzfähig“ sein, schlicht: es braucht mehr Beschäftigte. Das ist den öffentlichen Arbeitgebern zwar bewusst, allerdings handeln sie nicht entsprechend dieser Erkenntnis, was der Tarifabschluss belegt. Viele offene Stellen können wegen der Arbeitsbedingungen und unzureichenden Gehalts nicht besetzt werden. Aber auch fehlendes Geld der Kommunen spielt eine große Rolle.

In den Stellungnahmen der Gewerkschaften wird viel Hoffnung in das sogenannte „Infrastrukturpaket“, speziell auch in die vorgesehenen 100 Mrd. € für Länder und Kommunen gesetzt, das noch mit der alten Bundestagsmehrheit beschlossen wurde. Schon in der Gesetzesbegründung wird allerdings die Verbindung mit der „Verteidigungsfähigkeit“ hergestellt – sie setze „eine ausgebaute, funktionierende und moderne Infrastruktur voraus.“  Damit wird klargestellt, wofür die Milliarden in erster Linie gedacht sind. Die 100 Mrd., die sich Länder und Kommunen teilen müssen, sind auf einen Zeitraum von 12 Jahren ausgelegt – der aktuelle Investitionsstau in den Kommunen wird allein schon auf ca. 180 Mrd. € geschätzt. Wie damit solche öffentlichen Dienstleistungen, die für die Bürger wichtig sind, verbessert werden sollen, bleibt ein Geheimnis.

Zufriedenheit mit dem Staat, mit „unserer Demokratie“ hängt aber stark davon ab, wie diese Dienstleistungen funktionieren; tun sie das immer weniger, steigt auch die Unzufriedenheit.  Viele werden die Ursachen dafür wohl weniger im Aufrüstungskurs und dem Schonen der Reichen in unserem Land suchen, sondern schauen sich nach anderen „Sündenböcken“ um. Und die finden sie, angefeuert von den Medien, in Bürgergeldbeziehern, in Geflüchteten – ein „gefundenes Fressen“ für die Propaganda der AfD, die damit weiter gestärkt wird. Für mich ist daher klar, dass wir die AfD nicht wirkungsvoll bekämpfen können, wenn wir nicht diese Zusammenhänge ansprechen.

Den neuen, jungen Berufsverbots-Betroffenen fiel auf, dass für die Übernahme von Auszubildenden jetzt „Voraussetzung ist“, dass sie „sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“ (TV-öD). Was der Inlandsgeheimdienst darunter versteht, wissen wir aus aktuellen bayerischen Fällen: Wer den Kapitalismus kritisiert, sich zu gewerkschaftlichen Kampfformen bekennt, soll rausfliegen. Warum hat die Gewerkschaft das unterschrieben? Wie sollen Personalvertretungen damit umgehen?

Die Öffentlichen Arbeitgeber wollten diese Formulierungen unbedingt haben. Begründet wurde es mit der Notwendigkeit, verstärkt gegen „Rechtsextremisten“ vorgehen zu können. Ob die ver.di-Verhandlungsdelegation diese „Begründung“ glaubte, weiß ich nicht; bei einigen Mitgliedern gab und gibt es sicher den festen Wunsch, das zu glauben. Nicht nur die Erfahrungen aus den Berufsverboten der 1970er und 1980er Jahren, auch die aktuellen Fälle weisen auf das Gegenteil hin.

Es gab wohl bei ver.di die Befürchtung, dass die Arbeitgeber ohne diesen Satz die Vereinbarung platzen lassen würden – und man wollte das Risiko nicht eingehen, einen unbefristeten Streik führen zu müssen, dessen Erfolgsaussichten unsicher gewesen wären. Bei vielen gab es die durchaus verständliche Angst, dass die Streikbereitschaft nicht groß genug wäre, um einen unbefristeten Streik durchhalten zu können. Vielleicht war dieser Passus aber auch manchen Mitgliedern der Verhandlungsdelegation bzw. der Tarifkommission nicht wichtig genug.

Die Personalvertretungen werden genau aufpassen müssen, wenn Auszubildende nicht übernommen werden, und mit den Betroffenen und der Gewerkschaft überlegen, wie am besten dagegen vorzugehen ist, wie das z.B. öffentlich gemacht werden kann. Wichtig vorher wird allerdings sein, in möglichst vielen Betrieben ein aktives gewerkschaftliches Leben zu entfalten, das auch die Auszubildenden und ihre Vertretung mit einschließt. Und – aber das ist ein längerer Prozess – wird es darauf ankommen, ob es gelingt, das betrieblich-gewerkschaftliche Leben, aber auch die Personalräte wieder stärker zu politisieren.

Wir bedanken uns für das Gespräch!