Vorbereitung auf die Landesdelegiertenkonferenz

geschrieben von Geschäftsführender Landesvorstand

19. September 2025

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Am letzten Oktoberwochenende, knapp drei Wochen nach unserem Bundeskongress, führt die VVN-BdA Baden-Württemberg ihre 45. ordentliche Landesdelegiertenkonferenz durch. Gastgeberin ist die Kreisvereinigung Mannheim. Aktuell diskutieren alle Kreisvereinigungen den Leitantrag des Landesvorstands; seine wesentliche Aussagen sind hier zusammengefasst. Bis Ende August wählen die Kreisvereinigungen Delegierte und beraten eigene Anträge sowie Änderungsanträge zum Leitantrag. Diese werden anschließend den anderen Kreisen zur Verfügung gestellt, um dort diskutiert zu werden.

80 Jahre nach der Befreiung – wo stehen wir heute?

Die Inhalte des an alle Kreisvereinigungen verschickten Leitantrags wurden vom Landesvorstand in mehreren mitgliederöffentlichen Sitzungen diskutiert. Einbezogen wurden zudem mehrere Bildungs- und Diskussionsangebote, etwa unseres friedenspolitischen Seminars 2024 und des diesjährigen Antifa-Seminar mit der Landesvereinigung Hessen, die wie auch die Beiträge in den Antifa Nachrichten, zur Meinungsbildung innerhalb der Organisation beigetragen haben. Damit trifft der Leitantrag einige Einschätzungen zur aktuellen und historischen politischen Entwicklung in der Bundesrepublik.

Zentral ist dabei die These, dass nicht lange nach der Befreiung von Faschismus und Krieg ein Prozess der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung einsetzte, sodass heute – 80 Jahre später – unser Ziel, in einer Welt des Friedens und der Freiheit zu leben, leider weit entfernt scheint. Diese Entwicklung umfasst alle politischen Betätigungsfelder der VVN-BdA und lässt sich sowohl auf der Ebene des Abbaus demokratischer Rechte, dem Höhenflug rechter Parteien, der rigoros beschnittenen Sozialpolitik wie auch der voranschreitenden Militarisierung beobachten.

Esther Bejarano und Peter Gingold kommentierten in ihrem Appell an die Jugend 1997 diese früh eingeläutete Rechtsentwicklung mit den Worten: „Unfassbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog: Dass ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten.“

Die Forderung der Menschen aus Widerstand und Verfolgung, mit den alten politischen, ökonomischen und militärischen Strukturen in jeder Hinsicht zu brechen, konnte sich nicht durchsetzen. Heute erleben wir die Folgen dieser kontinuierlichen Rechtsentwicklung auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Im Leitantrag wird beispielhaft benannt, wie Rüstungskonzerne und ihre Aktionäre von der Hochrüstung profitieren, während immer größere Teile der Bevölkerung unter den Krisenlasten leiden. Auch der wiederauflebende Geschichtsrevisionismus findet Erwähnung.

Es ist unsere Aufgabe, in diesen Zusammenhang auch die Rechtsentwicklung auf Regierungsebene sowie den Aufstieg der AfD einzuordnen. Es wäre ein leichtes, im Rahmen der sich immer verschärfenden Rechtsentwicklung völlig zu vergessen, wofür die VVN einst eingestanden ist. Einstige Debatten um die Demokratisierung der Wirtschaft, die vollständige Entmilitarisierung Deutschlands rücken schnell in den Hintergrund, wenn es die Zeit verlangt, andauernd neue Angriffe abzuwehren. Dazu gehören, um nur ein paar Beispiele zu nennen, die Verschärfungen im Asylrecht, die Militarisierung des Grundgesetzes oder die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Der Leitantrag will auch einen Beitrag zur Erinnerung an die eigene Geschichte leisten, einen Beitrag dazu, nicht vollständig in den Tageskämpfen zu versinken, sondern zu erinnern: als antifaschistische Bewegung haben wir einen Zukunftsentwurf. Diesen halten wir nicht trotz der aktuellen Schieflage hoch, sondern gerade deswegen.

Unser Verständnis von Antifaschismus

Aufbauend auf der Analyse der gegenwärtigen Situation und den in Widerstand und Verfolgung gewonnenen Erfahrungen der Gründungsmitglieder der VVN, unternimmt der Leitantrag den Versuch, unseren Grundkonsens als Antifaschist:innen darzustellen und unsere wesentlichen Betätigungsfelder herauszuarbeiten. Hier lautet die zentrale These, dass der antifaschistische Kampf der VVN sich schon immer auf mehreren Ebenen abgespielt hat: der Frage der Demokratie, der Friedenspolitik sowie der Sozialpolitik.

Unsere konkreten Forderungen auf diesen Feldern wandelten sich natürlich mit der Zeit und den neuen Herausforderungen. Bei der Gründung der ersten VVN-Strukturen ging es darum, die Menschen aus Widerstand und Verfolgung aktiv in den demokratischen Wiederaufbau Deutschlands einzubeziehen, über Grenzen von Parteien und Konfessionen hinweg. Zu den frühen sozialpolitischen Forderungen gehörte die Enteignung von Kriegsverbrechern. Auch die Forderung nach Anerkennung und Entschädigung Verfolgter des Naziregimes spielte eine große Rolle. Eine Nähe der VVN zu den sozialpolitischen Forderungen der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung war als zentrale Lehre aus Faschismus und Krieg immer gegeben. Später kam auf dem Gebiet der Friedenspolitik die Großkampagne gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik hinzu, ebenso wie Aktionen gegen den NATO-Beitritt. Dabei handelte es sich letztlich um Abwehrkämpfe gegen neue Großmachtambitionen Deutschlands. Aber auch auf dem Gebiet der Demokratisierung mussten bald Abwehrkämpfe geführt werden. So war zum Beispiel die Zurückweisung der Berufsverbote immer ein sehr zentrales Politikfeld für die VVN-BdA – und muss es leider auch heute noch sein.

Heute zeigt sich der Zusammenhang zwischen Militarisierung, Sozialabbau und Demokratieabbau deutlicher denn je: Rüstungspakete zu Lasten der Sozialkassen werden beschlossen, mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht werden persönliche Freiheitsrechte mit Füßen getreten, sogar die deutsche Verfassung wird dem Rüstungswahn angeglichen. Asylsuchende werden an den Grenzen nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit selektiert, das allgemeine Menschenrecht auf Asyl muss der Profitlogik weichen. Der Leitantrag schlägt einen Katalog an Forderungen vor, für die wir in diesem wichtigen Bereich als VVN-BdA aktiv werden sollten. Diese Forderungen möchten wir auf unserer Landesdelegiertenkonferenz gemeinsam diskutieren und gegebenenfalls anpassen und erweitern.

Ziele und Aufgaben der Landesvereinigung

Jede noch so richtige Analyse und noch so richtige Forderung bringt nichts, wenn niemand für sie in Bewegung kommt. Daher ist es unabdingbar, dass wir uns auch damit beschäftigen, wie wir uns auf allen Ebenen organisatorisch stärken können. Leider wirft uns die gesellschaftliche Rechtsentwicklung dabei immer wieder Steine in den Weg: es wird schwieriger, unsere politische Arbeit zu finanzieren und, häufig stehen wir mit unseren Positionen unter dem Beschuss der Hetze gegen fortschrittliche Bewegungen. Zudem erschweren rechte Parteien in Parlamenten die Gedenk- und Erinnerungsarbeit. Wir müssen uns die Frage stellen, inwieweit wir den Problemen unserer Zeit gewachsen sind.

Der Landesvorstand schlägt vor, den Schwerpunkt für die kommenden zwei Jahre auf die Stärkung unserer Kreisvereinigungen zu legen. Dort werden wir für unsere Forderungen aktiv, dort werden wir auf der Straße sichtbar, dort werben wir für den Zukunftsentwurf Antifaschismus.

In diesem Zusammenhang lautet die zentrale These des Leitantrages, dass die Stärkung unserer Kreisvereinigungen nur zu bewerkstelligen ist, wenn wir den Austausch unter ihnen auf allen Ebenen intensivieren. Der kommende Landesvorstand wird eine zentrale Rolle dabei spielen, beispielhafte Erfahrungen von Kreisvereinigungen zu verallgemeinern und für andere Kreisvereinigungen zugänglich zu machen. Hierbei wird unter anderem die Gedenk- und Erinnerungsarbeit noch genauer beleuchtet.

Außerdem kann eine stärkere Orientierung landesweiter Vorhaben auf die Stärkung der Kreisvereinigungen unterstützend wirken. Der Leitantrag schlägt folglich vor, landesweite Vorhaben wie etwa Seminarangebote und die Arbeit mit den Antifa Nachrichten auf ihre Nützlichkeit für unsere Arbeit vor Ort zu prüfen und entsprechend neu auszurichten.

Außerdem soll die antifaschistische Bildungsarbeit, die früher zentraler Bestandteil der Arbeit der VVN-BdA war, wieder stärker in den Fokus gerückt werden. Als konkrete Maßnahme schlägt der Leitantrag ein Bildungsheft zu unserem Verständnis von Antifaschismus vor.  Auf seiner Basis kann dann vor Ort eine Bildungsarbeit entwickelt werden, die geeignet ist, sowohl unsere Aktiven weiterzuentwickeln, alsr auch neue Eengagierte mit den langjährigen Erfahrungen der VVN-BdA vertraut zu machen.

Als GLV hoffen wir auf rege Diskussion in den Kreisen um die angestrebten Vorhaben und auf eine Landesdelegiertenkonferenz, die den Leitantrag qualifizieren und uns in den entscheidenden Fragen voranbringen wird.