Heinz Hummlers Ansprache am 76. Jahrestag der Befreiung

11. Mai 2021

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser Gedenkveranstaltung.

Heute ist der 76. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus in ganz Europa. Am 8. Mai 1945 siegte die Anti-Hitler-Koalition über Nazi-Deutschland und beendete damit den vom deutschen Faschismus entfesselten 2. Weltkrieg.

Für Millionen Menschen kam dieser Tag zu spät. Juden , Sinti und Roma, politische Gegner aus humanistischer, kommunistischer, sozialdemokratischer oder christlicher Überzeugung, Homosexuelle, Behinderte, sowjetische und polnische Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge aus ganz Europa waren bis dahin in den Vernichtungslagern der Nazis und von der Nazi-Justiz gequält und ermordet worden.

Befreiend war dieser Tag, nicht nur für die aus Konzentrations- und Vernichtungslagern befreiten Männer, Frauen und Kinder, erlösend war er auch für unzählige Menschen, hier und in den von der deutschen Wehrmacht okkupierten Ländern, die aus Kellern und Bunkern hervor kriechen konnten, um nach ihren Lieben zu suchen oder sie wenigstens beerdigen zu können, die froh waren, das Inferno des Krieges überlebt zu haben.

Ich bin mir bewusst dass ich heute über Vorgänge aus unserer Geschichte rede, welche viele vergessen wollen, manche verdrängt und etliche nie gehört haben.

Die diesjährige Veranstaltungsreihe beginnt hier an einem Ort an dem die Justiz der Nazis während des II. Weltkrieges mehrere hundert Menschen aus nichtigen Gründen umbringen ließ. Im Hof dieses Gerichtes starben über 450 Menschen aus vielen Ländern Europas unter der immer wieder extra dafür aufgestellten Guillotine.

Zum Bedauern der Hinterbliebenen ist die hier an der Mauerkrone eingemeiselte Inschrift der einzige vage öffentliche Hinweis auf die hier im Hause stattgefundenen Verbrechen. Erst seit dem Jahr 2019, also 74 Jahre nach Kriegsende, gibt es wenigstens im Innern eine Dauerausstellung „NS-Jusiz in Stuttgart“.

Übertroffen wird diese Verniedlichung von Naziverbrechen für mich allerdings bei weitem durch das was ich beim Besuch der Hinrichtungsstätte meines Vaters in der so genannten Nachwendezeit im Zuchthaus Brandenburg-Görden erleben musste. In dieser, sich noch im Betrieb befindlichen JVA war es nur möglich, nach besonderer Anmeldung, die innerhalb liegende Gedenkstätte in Begleitung eines Betreuers zu besuchen.

Dort wurden bis Ende April 1945 1722 Nazi-Gegner umgebracht.

Vor der JVA kein Hinweis auf die Gedenkstätte mit dem noch vorhandenen Fallbeil. Dafür steht aber, an öffentlich zugänglicher Stelle vor dem Tor eine Tafel mit der Inschrift „Den Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft 1945 – 1989“.

Ich war empört über diese Art von Nicht-Aufarbeitung der Nazivergangenheit, zugunsten des aktuellen politischen Main-Streams.

Dazu ein weiteres Beispiel:

Alle in Stuttgart beteiligten Richter wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Spruchkammerverfahren entlastet oder als Mitläufer qualifiziert und machten abermals Karriere im Justizdienst. Die einzige Ausnahme war der zu 6 Jahren Zuchthaus verurteile Vorsitzende des hier ansässigen Sondergerichts, Hermann Cuhorst, unter dem über 200 Todesurteile verhängt und vollstreckt wurden. Aber schon 1950 wurde er unter der Adenauer-Regierung begnadigt .

Wir wissen, dass das was hier geschah nur einen kleinen, ja fast winzig kleinen Teil der Verbrechen umfasste, welche im Namen Deutschlands von den Nazis begangen wurden. Manche der Opfer konnten es kaum fassen, warum und wofür sie umgebracht werden sollten. Viele verbanden aber auch ihren Tod mit der Hoffnung auf ein besseres Deutschland nach dem Ende der Nazi-Diktatur.

So schrieb mein Vater vor seiner Hinrichtung in einem letzten Brief an meine Mutter: „Wenn dann eine andere Zeit kommt, dann weißt Du ja, wohin Du Dich wenden musst und kannst sagen für was ich gefallen bin und es wird Dir bestimmt Hilfe“.

Mehr als 55 Millionen Tote sind eine Bilanz, die alle bisherigen Dimensionen sprengt, weshalb dieser Tag nie vom bedeutsamsten Platz in der Skala unserer Erinnerungen verdrängt werden darf. Die Überlebenden des KZs Buchenwald schworen am 19. April 1945 nach ihrer Befreiung auf dem Appellplatz des KZs:

Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig“

Dieser Erklärung folgte keine wie auch immer geartete Aufarbeitung. Im Gegenteil – schon wenige Jahre später wurden in der BRD Verfolgte des Naziregimes von dem, aus ehemaligen Nazis gebildeten sogenannten Verfassungsschutz beobachtet und von einer ohne Unterbrechung weiterbestehenden Justiz wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt.

„Über den 8. Mai wissen viele Deutschen nichts“ stand vor einigen Jahren in den Stuttgarter Nachrichten.

Ja woran liegt das nur? Wer hat es ihnen verschwiegen? Die Schule? Die Medien? Die Politik? Und warum ist der Tag der Befreiung noch immer kein Feiertag?

Die 12 Jahre Naziherrschaft in Deutschland waren kein Betriebsunfall und erst recht kein Vogelschiss in der deutschen Geschichte. Hitlerdeutschland war nicht ein Unrechtsstaat wie jeder andere x-beliebige.

Der von den Nazis geplante und angefangene II. Weltkrieg mit zig Millionen Toten, die systematische Liquidierung von über 6 Millionen Menschen in den Gasöfen der Vernichtungslager, die gezielte Ausrottung von Hunderttausenden Andersdenkenden, Andersartigen oder Andersgläubigen, sind das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit.

Deshalb kommt auch jeder Vergleich mit anderen Exzessen nur einer Verharmlosung des deutschen Faschismus gleich.

Als die Nazi-Justiz meinen Vater und seinen Freund Max Wagner zum Tode verurteilte, erhielten wir die Todesnachricht mit dem Vermerk „Die Veröffentlichung einer Traueranzeige ist nicht erlaubt“. Für mich, den damals 12-jährigen Jungen war dies der endgültige Offenbarungseid eines Regimes von Verbrechern.

Die deutsche Justiz aber, genauer gesagt die bundesdeutsche Justiz, hat nie die Konsequenzen aus ihren Untaten während der Naziherrschaft gezogen. Kein einziger Nazi-Jurist, und auf das Konto der Nazijustiz gehen 60- bis 80-Tausend Todesurteile, wurde jemals von einem bundesdeutschen Gericht für seine Untaten belangt! Dies aufzuarbeiten ist dringend notwendig, Gerade wir Deutschen dürfen es nicht dulden, dass nur dem Teil unserer Vergangenheit Beachtung geschenkt wird, der den in unserem Land Herrschenden genehm ist? Die erste Schlussfolgerung an diesem Jahrestag kann nur heißen:

NIE WIEDER FASCHISMUS!

Als 9-jähriger Bub erlebte ich,wie in den Sondermeldungen im Radio am 22. Juni 1941 behauptet wurde, die deutsche Wehrmacht hätte. um einem plötzlichen russischen Angriff zuvorzukommen mit dem Einmarsch in die Sowjetunion begonnen.

Nachdem 1940 noch gesungen wurde: Siegreich wolln wir Frankreich schlagen, sterben als ein tapferer Held, sang man im Radio jetzt: Von Finnland bis zu Schwarzen Meer, vorwärts nach Osten du stürmend Heer – Führer befiehl wir folgen dir.

Seit diesem Sommer 1941, also seit nunmehr bald 80 Jahren, beginnend mit den Nazis, behaupten die jeweils Regierenden hierzulande, die Russen würden bei uns bedrohen und wollten bei uns einmarschieren.

Mit dieser Begründung wurde die Bundeswehr geschaffen, ging man in die NATO, führte als Teil dieser Nato einen Angriffskrieg auf das damalige Rest-Jugoslawien, obwohl unser Grundgesetz genau einen solchen ausdrücklich verbietet.

Die Gefahr, dass die militärische Umzingelung Russlands und Chinas und das Kriegsgeschrei der Nato zu einem neuen Krieg führen kann, steigt von Tag zu Tag.

Kriege brechen nicht aus, etwa wie ein Vulkan ausbricht. Man schliddert auch nicht nur so mal hinein, sondern Kriege werden geplant und sie werden aus meist durchsichtigen Gründen planmäßig angefangen, und Menschen kommen darin nicht einfach nur um, sie werden vorsätzlich umgebracht

Der erste Weltkrieg war schon lange vorbereitet als die Schüsse in Sarajewo fielen. Hitler hatte seinen Krieg schon mit dem Eingreifen der Legion Condor in Spanien, der Annektierung Österreichs und der Besetzung der Tschechoslowakei – übrigends mit Duldung der Westmächte, und lange vor dem angeblichen polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz geplant.

Der von den USA ausgelöste Tonking-Zwischenfall vor Vietnam, die angeblich aus Brutkästen gerissenen Kinder in Kuweit, die erfundenen Massenvernichtungswaffen des Saddam Hussein, die Kriegslügen reihen sich aneinander wie Perlen an einer Schnur.

Seit mehr als 70 Jahren gilt bei uns nun das Grundgesetz. Darin steht: Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

Da fragt man sich, in welchem Gesetz die Strafe für das Führen eines Krieges festgelegt ist, wenn schon die Vorbereitung strafbar sein soll.

Alle Regierungen, welche die BRD je hatte haben bisher diesen Verfassungs-Auftrag ignoriert.

Und das Bundesverfassungsgericht hat nie einen Termin für ein solches Gestz verlangt. Für das Verbot der KPD, in der viele der Naziopfer organisiert waren, und die konsequent gegen die Wiederaufrüstung kämpfte, war es allerdings der Regierung Adenauer schon zu Diensten. Die zweite Forderung an diesem Tag ist deshalb:

NIE WIEDER KRIEG !

Die Verbrechen des deutschen Faschismus, seine Ideologie der Vernichtung seiner politischen Gegner, der Liquidierung Andersrassischer, der Versklavung so genannter Untermenschen und der Entfesselung eines Weltkrieges mit dem Ziel des Sieges der sich selbst ernannten Herrenmenschen, dürfen nicht länger bagatellisiert und mit dem Mantel des Vergessens zugedeckt werden.

Als Sohn eines von der Nazi-Justiz zum Tode verurteilten und hingerichteten Widerstandskämpfers, dem das Andenken an seinen Vater Verpflichtung ist, komme ich nicht umhin festzustellen, dass nicht nur die Rolle der deutschen Justiz bei den Verbrechen der Nazis immer ausgeblendet, sondern der politische Widerstand dagegen immer stärker kriminalisiert wird, um so Rechts und Links gleich zu setzen.

Dies unter dem Begriff des Extremismus zu verstecken, wirkt, bezogen auf den deutschen Faschismus und dessen Geisteshaltung, nicht anders als verharmlosend.

Faschismus war und ist keine Meinung, und schon gar keine auf die man einen Rechtsanspruch hat,

Faschismus – und das hat er mit den 55 Millionen Toten bewiesen – ist das organisierte Verbrechen.

Dies ist mit nichts Anderem vergleichbar!

Und seine Protagonisten waren, sind und bleiben Verbrecher.

Die Erinnerung daran wurde so gut wie nie von Regierungen oder Parlamenten betrieben oder aufrechterhalten, sondern blieb Einzelinitiativen überlassen.

Und die mussten immer darum kämpfen.

Das war so beim Mahnmal am Alten Schloss,

bei der Inschrift hier am Landgericht

bei den Stolpersteinen,

beim Deserteursdenkmal

und beim Hotel Silber.

Der größte deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts, Berthold Brecht,schrieb 1952:

Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen,
damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!
Lasst uns die Warnungen erneuern,
und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!“

Wir mahnen hier und heute, an diesem 8. Mai:den in den Öfen von Auschwitz und den anderen Vernichtungslagern verbrannten Menschen,

den massakrierten Geiselopfern von Sant’Anna di Stazzema in Italien,

um nur eines von Hunderten Massakern der Nazi-Wehrmacht zu nennen,

den in der Atomhölle von Hiroshima zerschmolzenen Frauen, Kindern, Greisen,

den europaweit wegen ihres Widerstands gegen den Faschismus Ermordeten aus allen Ländern,

können wir nur gerecht werden,

wenn wir lauter als je zuvor,

immer und überall in unserem Land sagen und verlangen:

Nie mehr und nirgendwo – weder Faschismus noch Krieg