Warum am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-, Trans- & Asexuellenfeindlichkeit (IDAHOBITA*) an Fritz Bauer erinnern?
1. August 2024
Am 17. Mai 1990 wurde Homosexualität offiziell von der Weltgesundheitsbehörde (WHO) aus der Liste von Krankheiten (ICD) gestrichen. Auch Transsexualität gilt seit 2018 nicht mehr als psychische Störung. Ursprünglich als reiner Aktionstag gegen Homofeindlichkeit (IDAHO) ins Leben gerufen, wurde der 17. Mai nach und nach um andere Gruppen aus dem queeren Spektrum erweitert, die ebenfalls Diskriminierung und zum Teil auch Gewalt erfahren. Wir veröffentlichen hier Auszüge der Rede vom Projekt „Der-Liebe-wegen.org“ zum IDAHOBITA* 2024:
Heute, am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-, Trans- und Asexuellenfeindlichkeit, wollen wir bei unserer Veranstaltung jene Menschen in den Mittelpunkt stellen, die von mehrfacher Diskriminierung betroffen sind. Dazu gehören queere Geflüchtete. Wir dürfen nicht vergessen: niemand flieht freiwillig, verlässt freiwillig seine Lieben. Erinnern wir uns heute an all die queeren Menschen, die in den Jahren 1933 bis 1945 vor Nazi-Deutschland oftmals von heute auf morgen fliehen mussten und im Exil Heimweh nach ihren Eltern, nach ihren Geschwistern, ihren Freunden und ihrer vertrauten Umgebung hatten. Vergessen wir heute nicht, wie wichtig es für die Geflüchteten damals war, dass ihnen in anderen Ländern geholfen wurde, dass sie Schutz und Sicherheit gefunden haben.
Einer von Ihnen war der in Stuttgart 1903 geborene und hier aufgewachsenen Jurist und Amtsrichter Fritz Bauer. 1933 hatten ihn die Nazis als Jude und Sozialdemokrat ins KZ verschleppt. Ende 1935 konnte er nach Kopenhagen fliehen. Dort wurde er als politischer Flüchtling von der Polizei vorgeladen und verhört. Der bis dato »ungekannte Ausländer«, wie es im Polizeibericht heißt, hatte nicht nur in sogenannten einschlägigen Lokalen verkehrt. Er soll gar in seiner Wohnung sexuellen Umgang mit einem Mann gehabt haben. Bauer bestritt im Verhör die polizeilich notierten Beobachtungen nicht. Er gab auch an seinem Sexualpartner für seine Dienste Geld gegeben zu haben. Bezahlter Sex unter erwachsenen Männern war auch in Dänemark strafbar. Für ihn wird es besonders entwürdigend gewesen sein, dass die Polizei darüber auch das sozialdemokratische Komitee informiert hat, das politische Flüchtlinge wie Bauer unterstützte. Gegenüber seinen dänischen Genossen sah sich Bauer veranlasst zu betonen, er werde sich fortan an die Gesetze des Landes halten. Bauers dänische Polizeiakte weist insgesamt 31 Einträge auf. Immer wieder wurde der Emigrant in den Jahren 1938 bis 1940 befragt, ob er weiterhin homosexuelle Kontakte pflege. Mehrfach musste er seine Abstinenz beteuern. Er wusste, wenn er noch einmal sich strafbar machen würde, drohte ihm die Abschiebung nach Nazideutschland. Diese Gefahr mag ihn mit dazu veranlasst haben, dass er in Dänemark eine Ehe mit einer sozialdemokratischen Genossin eingegangen ist.
Die Angst vor Abschiebung wird er sicherlich nicht so schnell vergessen haben, als er 1949 die Heimkehr nach Deutschland wagte. Es ist anzunehmen, dass Bauer weiterhin abstinent gelebt hat, wie so viele schwule Männer in dieser Zeit. Wenn sie das nicht geschafft haben, mussten sie sehr aufpassen, damit sie nicht von der Polizei oder Nachbarn erwischt wurden. Denn der §175 in der nationalsozialistischen Fassung galt bis zu seinem Tode 1968. Mit diesem Schandparagraphen wurde damals in der Adenauer-Ära Tausenden von homo- und bisexuell begehrenden Männern staatlicherseits ihrer Würde und ihrer Freiheit beraubt.
Fritz Bauer hat als Generalstaatsanwalt und Initiator der sogenannten Frankfurter Ausschwitzprozesse einen unermüdlichen Kampf um die juristische Ahndung des nationalsozialistischen Unrechts geführt. Dabei ist vielfach immer noch nicht bekannt, dass Bauer einer der ersten in der Bundesrepublik war, der gegen die Bestrafung einvernehmlicher sexueller Handlungen von erwachsenen Männern in den 50er Jahren seine Stimme erhoben hat. Er gab 1963 beispielsweise den Sammelband „Sexualität und Verbrechen“ mit heraus, der als Taschenbuch auf breite Resonanz stieß. Bereits 1952 hatte er in seiner Eigenschaft als Generalstaatsanwalt den Versuch gewagt, durch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des §175 StGB prüfen zu lassen. In den 50er Jahren als hoher Staatsbeamter für die Abschaffung des §175 einzutreten, war ein mutiger Tabubruch, den es nicht nur am heutigen Tag besonders zu würdigen gilt.
Völlig zu Recht ist die Empörung über ein Geheimtreffen von hochrangigen AfD-Politikern mit Neonazis groß, weil ein Plan vorgestellt und unterstützt wurde, der die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland unter dem Begriff „Remigration“ vorsieht. Weniger findet Beachtung, dass die gleichen rechtspopulistischen bis neofaschistischen Kräfte auch das geringe Fortpflanzungsverhalten jener verdammen, die zwar entsprechend ihrer genetischen Abstammung und ihres Weißseins als „deutsch“ gelten, jedoch zu wenige Kinder in die Welt setzen. An Fritz Bauer zu erinnern, bedeutet auch daran zu erinnern, dass der Rassismus immer auch eng verknüpft ist mit der Bekämpfung von Homosexualität und Schwangerschaftsabbrüchen.
Rechtspopulistische bis neofaschistische Kräfte sind in den letzten Jahren leider stärker und aggressiver geworden. Bereits 2019 zitierte die Neue Züricher Zeitung den Gründer der homo- und transfeindlichen Internetplattform CitizenGo wie folgt: „Seit den sechziger Jahren haben unsere Feinde viele Schlachten gewonnen. Doch in den letzten Jahren haben wir den Spieß umgedreht, und am Ende werden wir diesen Krieg gewinnen (…) Um den Prozess zu beschleunigen, müssen wir uns weltweit besser vernetzen und aggressiver werden. (…) Wir müssen die liberalen Politiker das Fürchten lehren!“
Es liegt in der Verantwortung von jedem Einzelnen von uns, dass es soweit nicht kommt. Es ist unsere Verantwortung, dass wir aus 1933 die richtigen Lehren ziehen und uns heute nicht auseinanderdividieren lassen. Die Hauptgegner sind diese rechtspopulistischen bis neofaschistischen Kräfte, die uns den Krieg erklärt haben und jene, die sie im Hintergrund finanzieren. Wo der Hauptgegner steht, dürfen wir bei all unseren Meinungsdifferenzen und Schwierigkeiten im Umgang miteinander nicht aus dem Blick verlieren, NIE UND NIMMER!
In diesem Sinne möchte ich (…) für die Unterstützung der Unterschriftensammlung „Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer!“ an die Stadt Stuttgart werben.
Um mit Bob Marley abzuschließen: Get up, stand up, Stand up for your right!
Get up, stand up, Don’t give up the fight!