Anthony Cipriano: Rede im Gedenken an Hanau
20. Februar 2023
3 Jahre nach Hanau
Stuttgart, der 19. Februar 2023
Nun ist der Anschlag in Hanau mittlerweile drei Jahre her, die Ereignisse aber schocken uns selbstverständlich noch immer. Es schockt uns, wie so etwas passieren konnte, es schockt uns, wie Polizei und Behörden an diesem Abend versagt haben, und es schockt uns, wie mangelhaft die Aufklärung der Tat auch jetzt noch, drei Jahre nach dem Anschlag, daher geht. Das wirft viele Fragen auf, Fragen darüber weshalb Rassismus und rechtes Gedankengut in unserer Gesellschaft immer noch so verankert sind, weshalb auch die deutschen Behörden davon nicht verschont bleiben, weshalb es fast schon danach aussieht, als wäre eine Welt ohne Rassismus und rechtes Gedankengut unvorstellbar.
Als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, haben wir es uns zum Auftrag gemacht, die Wurzeln rechten Terrors aufzuarbeiten, uns mit der deutschen Geschichte und ihrer rechten Kontinuitäten zu befassen, aber auch das antifaschistische Erbe Deutschlands und das Vermächtnis des deutschen Widerstandes gegen den Nazismus zu wahren. Genau darum soll es heute auch in dieser Rede gehen, ich hoffe, sie bringt etwas Licht ins Dunkel.
Nach 1945 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR Nazis und Kriegsverbrecher verfolgt und aus dem Staatsdienst entfernt. Ehemalige Nazis und Mitläufer haben im Westen Nachkriegsdeutschlands allerdings die Möglichkeit gehabt, wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft wieder zu besetzen. Ein konsequenter Bruch mit den Inhalten und Werten des NS-Regimes wurde versäumt. Zwar wurde mit dem Grundgesetz eine durch-und-durch demokratische Verfassung dem westdeutschen Staat zu Grunde gelegt, doch sind gerade an der Verfassungstreue derer, die dieses Dokument ursprünglich schützen sollten, Zweifel zu hegen. So wanderte beispielsweise das NSDAP Mitglied Richard Gerken direkt vom Spionageapparat der NS-Diktatur als Leiter der Abteilung Spionageabwehr in das Bundesamt für Verfassungsschutz. Aus dem ehemaligen Generalmajor der Wehrmacht Reinhard Gehlen wurde dann der erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Es ist zudem bekannt, dass viele Naziverbrecher um 1945 versuchten aus der sowjetischen, aber auch aus der französischen Besatzungszone in die US Amerikanische zu emigrieren. Man erhoffte sich dort mit Sicherheit auch begründet mildere Strafen für seine Verbrechen, oder gar einer Bestrafung ganz aus dem Weg zu gehen.
Interessant ist auch ein Blick auf die deutsche Wirtschaft. Es ist kein Geheimnis, dass breite Teile des deutschen Monopolkapitals im Faschismus den Hoffnungsträger sahen, die Weimarer Wirtschaftskrise mit Mitteln einer brutalen Diktatur und eines imperialistischen Krieges zu überwinden. Während die gesamte Schwerindustrie Deutschlands durch die im Zuge der Kriegswirtschaft gestiegene Nachfrage an Schwermetallproduktion Profit mit dem Vernichtungskrieg schöpfte, haben auch unzählige Großkonzerne, wie etwa Opel – wohlgemerkt damals Untermarke der US-Amerikanischen General Motors – Zwangsarbeiter beschäftigt, welche etwa Teil der politisch, ethnisch oder religiös Verfolgten Opfergruppen des Hitlerfaschismus waren, oder aber auch aus der Kriegsgefangenschaft kamen. Andere Konzerne wie etwa die IG Farben AG produzierten direkt im Konzentrationslager Auschwitz, im Arbeitslager Monowitz. Es ist also kein Wunder, dass dann im Nachkriegsdeutschland beispielsweise beim sächsischen Volksentscheid über die Enteignung von Kriegs- und Naziverbrechern fast 80% der Wahlberechtigten mit “Ja” stimmten. Doch während in der sowjetischen Besatzungszone die Enteignung von Naziverbrechern und die Entmachtung der deutschen Monopole mit aller Härte vorangetrieben wurde, blieben Versuche, selbiges in Westdeutschland zu verwirklichen, trotz nahezu identischer Urabstimmung in Hessen, leider erfolglos. 1948 mobilisierte der Generalstreik für die Demokratisierung der Wirtschaft in den britischen und US-amerikanischen Besatzungszonen mehr als neun Millionen Arbeiter. Die Reaktion der späteren Bundesregierung auf die antifaschistische Arbeiterbewegung aber: Verbot des politischen Streiks.
All das macht uns also klar: Wir fordern lückenlose Aufklärung der Geschehnisse in Hanau. Der Bedarf an Aufarbeitung rechter und rassistischer Geschichte aber endet nicht in Hanau, nicht beim Verschwinden der NSU Akten, und auch nicht beim Aufdecken rechter Chatgruppen in Polizei und Bundeswehr. Denn: Die deutsche Geschichte ist zutiefst gespalten, in die der Täter und der Opfer, in die der Unterdrücker und der Unterdrückten, in die der Verbrecher, Steigbügelhalter, Profiteure und die des Widerstandes. Wir aber wissen, und ich bin mir sicher, da sind wir uns alle einig, wessen die Zukunft sein muss.