Tübinger Widerständige gegen den NS-Faschismus

geschrieben von Gisela Kehrer-Bleicher

6. April 2023

Ein Rundgang in Erinnerung an politisch Verfolgte und an Menschen, die Widerstand gegen Faschismus und Krieg geleistet haben.

Unter diesem Motto lud die VVN-BdA Tübingen zusammen mit der Stolpersteininitiative am 11. März 2023 zu einem Rundgang ein. Mehr als 60 Interessierte waren gekommen um die Geschichten der Mutigen zu hören, die 1933 und später Widerstand geleistet haben und die Erinnerungen an das Schicksal der Verfolgten in der Zeit des NS-Faschismus.

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe hatte den Rundgang vorbereitet. An 9 Stationen informierten deren Mitglieder über die lokalen Ereignisse vor 90 Jahren, von der Machtübertragung bis zur Etablierung der faschistischen Diktatur und Terrorherrschaft. Im Mittelpunkt standen aber nicht, wie so oft, die Täter, sondern Menschen, die unter großer Gefahr Widerstand leisteten. Dabei wurde deutlich, dass insbesondere in der Tübinger Unterstadt, wo damals Arbeiter,  Handwerker und Weingärtner wohnten, die NSDAP keine Unterstützung fand, während die Studenten, Akademiker und Beamten, die vorwiegend in der Oberstadt wohnten, dafür sorgten, dass Tübingen schon vor 1933 und erst recht danach als Hochburg des NS-Faschismus galt.  

Der Rundgang startete am Rathaus, wo an die Gleichschaltung der kommunalen Demokratie,  an die Auflösung des Gemeinderats, an die Verfolgung des kommunistischen Ratsmitglieds Hugo Benzinger und die Flucht des jüdischen Gemeinderats Simon Hayum erinnert wurde.

Von der ehemaligen Gestapo-Zentrale aus wurde die politische Überwachung der Bevölkerung organisiert und der Terror gegen alle Widerständigen ausgeführt. Hier wurden die Verhafteten zuerst verhört, bevor sie in Haft und in Konzentrationslager verschleppt wurden.

An der Stiftskirche wirkte Pfarrer Richard Gölz, der zusammen mit seiner Frau Hilde Jüdinnen und Juden im Pfarrhaus versteckte. Nach einer Denunziation wurde er im Dezember 1944 in der Kirche verhaftet und bis zur Befreiung im KZ Welzheim inhaftiert. Beide werden heute in Yad Vaschem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.

Am ehemaligen Gasthaus „Löwen“, dem Versammlungsort der politischen Arbeiterbewegung und Zentrum der Arbeitersport- und Kulturvereine stand der Widerstand der Arbeiterinnen und Arbeiter im Mittelpunkt. Noch im Februar 1933 versuchten SPD und KPD mit gemeinsamen Kundgebungen die Nazi-Diktatur zu verhindern. Das Schicksal von Otto Koch stand beispielhaft für den Widerstand von Gewerkschaftern.

In den engen Gassen der Unterstadt hielt der Rundgang vor mehreren Häusern an. Hier lebten viele Kommunisten und Gewerkschafter, so der Landtagsabgeordneter Ferdinand Zeeb, der schon im März 1933 in das KZ auf dem Heuberg verschleppt wurde. Aus Tübingen wurden insgesamt 27 Antifaschisten dort inhaftiert und gequält. Christian Holder erinnerte mit Gedichten seines Vaters und Liedern an seinen Großvater den kommunistischen Milchhändler gleichen Namens, der sich wie viele seiner Nachbarn nie anpassten. Manche von ihnen wurden schon wegen des Singens eines Arbeiterliedes denunziert und verhaftet. Eine Widerstandsgruppe, der zeitweise wohl bis zu 60 Menschen angehörten, traf sich einige Jahre lang unerkannt in einem kleinen Haus. Sie hielten Kontakt zu anderen Gruppen und verteilten Druckschriften, nicht nur in Tübingen, auch in anderen Orten der Region. Wenig ist bisher über diese Antifaschisten und ihr Schicksal bekannt, wir wollen weiter recherchieren.

Die nächste Station war an der ehemaligen Frauenarbeitsschule. Dort wurde die Lehrerin Julie Majer entlassen und erhielt Berufsverbot, weil sie einen verfolgten Kommunisten versteckt hatte. Zusammen mit ihrer Nichte Agnes Rösler, die später inhaftiert und zu KZ-Haft in Ravensbrück verurteilt wurde,  war sie in der Roten Hilfe aktiv. 

Weiter ging es zur Neuen Aula der Universität, an der Cäsar von Hofacker Jura studiert hatte. Später fand er Kontakt zu Stauffenberg und der Gruppe des 20.Juli und der französischen Résistance und wurde wegen seiner Beteiligung an der Offiziersopposition von Freisler zum Tode verurteilt und am 20.Dezember1944 hingerichtet.

Der Rundgang endete im Stadtfriedhof am Gräberfeld X, auf dem die Überreste der Leichen, die der Anatomie überlassen wurden, bestattet sind – hunderte von Menschen, die im Faschismus ermordet wurden: Widerstandskämpfer und politisch Verfolgte, wie z.B. Angehörige der Mannheimer Lechleitner-Gruppe, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Nach dem Ende des Faschismus setzte lange Zeit insbesondere die VVN-BdA für eine würdige Gestaltung des Gräberfelds ein. Die Erforschung der Geschichte der Anatomie wurde in den letzten Jahren endlich auch von der Universität verstärkt aufgenommen und weitergeführt. Mit dem Gedenken an die hier bestatteten Opfer des Faschismus endete der Rundgang.

Die besuchten Gedenkorte und das Schicksal der damit verbundenen Menschen  konnten in diesem Text jeweils nur kurz dargestellt werden. Die Aktiven der Arbeitsgruppe werden die bereits vorliegenden Informationen in einer Broschüre zusammentragen und mit weiteren Recherchen zum antifaschistischen Widerstand in Tübingen ergänzen.