Vor 80 Jahren: Stauffenbergs Attentat auf Hitler

geschrieben von Jens Rüggeberg

1. August 2024

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Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1972-025-12 / CC-BY-SA 3.0

„Der Führer Adolf Hitler ist tot. Eine gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer hat es unter Ausnutzung dieser Lage versucht, der schwerringenden Front in den Rücken zu fallen und die Macht zu eigennützigen Zwecken an sich zu reißen. In dieser Stunde höchster Gefahr hat die Reichsregierung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung den militärischen Ausnahmezustand verhängt und mir zugleich mit dem Oberbefehl über die Wehrmacht die vollziehende Gewalt übertragen. Hierzu befehle ich: (…).“ Und dann folgt die Übertragung der „vollziehenden Gewalt“ auf die jeweiligen Militärbefehlshaber. Soweit aus einem von Generalfeldmarschall von Witzleben unterzeichneten Fernschreiben an alle Wehrkreis- und sonstigen Militärbefehlshaber vom 20. Juli 1944. Und in einem weiteren Fernschreiben des „Oberbefehlshabers im Heimatkriegsgebiets“ Generaloberst Fromm vom selben Tage, das von Stauffenberg unterzeichnet war, wurde die Verhaftung sämtlicher Funktionsträger des Naziregimes angeordnet. Weiter hieß es in ihm: „Die Konzentrationslager sind beschleunigt zu besetzen, die Lagerkommandanten zu verhaften, die Wachmannschaften zu entwaffnen und zu kasernieren. Den politischen Häftlingen ist zu eröffnen, dass sie sich bis zu ihrer Entlassung aller Kundgebungen und Einzelaktionen zu enthalten haben.“

Diese beiden Fernschreiben zeigen zweierlei, nämlich, wie der Putschversuch des 20. Juli 1944, der zur Beseitigung des Naziregimes hätte führen sollen, konzipiert war – und warum er scheiterte.

Die Offiziersopposition und hier insbesondere die „Bewegung 20. Juli“, wie der Arzt und Historiker Karl Heinz Roth, auf dessen Deutungen der Geschehnisse sich diese Darstellung vornehmlich stützt, die Aktionsgruppe der handelnden Personen um Claus Schenk Graf von Stauffenberg nennt, hatten bei ihrem Putschversuch keine Truppenteile zur Verfügung, auf die sie sich wirklich verlassen konnten. Einerseits waren die meisten Offiziere dem Naziregime treu ergeben, und andererseits gab es praktisch keine Kontakte zwischen den Angehörigen der Offiziersopposition und Oppositionellen und Widerständigen unter den Mannschaftsdienstgraden und Unteroffizieren, denn die trotz Volksgemeinschaftsideologie in der Wehrmacht besonders hohen Klassenschranken wirkten. Wie hätte ein Soldat erkennen können, ob sein Vorgesetzter zur Offiziersopposition gehört? Insofern ist Roths Terminologie dem Sachverhalt angemessen, wenn er ganz bewusst von „Offiziersopposition“ und nicht, wie in der bürgerlichen Geschichtswissenschaft üblich, von „Militäropposition“ spricht.

Im Grunde waren die handelnden Akteure in der Offizierskaste, der sie, hauptsächlich als Stabsoffiziere, angehörten, also isoliert. Deshalb kamen sie auf die Idee, Pläne, die der Verhinderung beziehungsweise Bekämpfung von Unruhen und Aufständen dienten – die Novemberrevolution war das Trauma der alten Eliten und Offiziere –, umzufunktionieren, um unter dem Vorwand der Aufstandsbekämpfung und unter Anwendung des Prinzips von Befehl und Gehorsam überwiegend hitlertreue Befehlshaber und Truppenteile zu veranlassen, die Funktionsträger des Naziregimes zu verhaften und zu entmachten und so eine Art Militärregime zu installieren. Von vorneherein war es ziemlich unwahrscheinlich, dass dieser Plan erfolgreich würde umgesetzt werden können; Voraussetzung war jedoch die Tötung Hitlers gleich zu Beginn, um zunächst einen „eidfreien“ Zustand herbeizuführen. Denn seit Hindenburgs Tod 1934 waren alle Soldaten und Offiziere nicht mehr auf den Staat beziehungsweise die Verfassung vereidigt, sondern auf Hitler persönlich, und selbst etliche hitlerkritische Offiziere sahen sich durch ihren Eid auf Hitler daran gehindert, gegen ihn vorzugehen.

Seit dem 1. Juni 1944 hatte Stauffenberg, Kopf und treibende Kraft der Aktionsgruppe, als Stabschef des „Chefs der Heeresrüstung und Befehlshabers des Ersatzheeres“, des Generalobersten Fromm, Zugang zu den militärischen Lagebesprechungen im „Führerhauptquartier“, als einziger der Verschwörer. Am 20. Juli deponierte er in der leicht gebauten Baracke, in der die Besprechung stattfand, einen der beiden mit einem Zeitzünder versehenen mitgebrachten Zündsätze – leider nur einen, denn die Wirkung der Explosion reichte zwar aus, vier anwesende hochrangige Offiziere zu töten, aber Hitler überlebte leichtverletzt. So nahm das Unheil seinen Lauf.

In Berlin, wohin Stauffenberg inzwischen zurückgekehrt war, ging man nach seinen Schilderungen zunächst vom Tod Hitlers aus. Aber es gelang den Verschwörern nicht, wichtige Ministerien und das Fernmeldenetz unter ihre Kontrolle zu bringen und das zentrale Rundfunkgebäude zu besetzen, um die Nachricht vom Putsch zu verkünden. Die Verbindung des Putsches mit einem allgemeinen Aufruf zur Volkserhebung, was seine Erfolgsaussichten deutlich erhöht hätte, war unter den Verschwörern ohnehin nicht konsensfähig gewesen. Im Laufe des Nachmittags wurde dann klar, dass Hitler überlebt hatte, und bald kamen Gegenbefehle aus dem „Führerhauptquartier“. Daraufhin bröckelte die Front der Unterstützer des Putschversuchs, gerade unter der Generalität.

Vollständig umgesetzt wurde der Putschplan einzig in Paris. Organisator dort war Oberstleutnant der Reserve Cäsar von Hofacker, Cousin und Vertrauter Stauffenbergs, der vom Militärbefehlshaber West, General von Stülpnagel, dem Chef der Militärverwaltung, gedeckt wurde. Am Abend des 20. Juli saßen 1.200 Vertreter der Besatzungsmacht hinter Schloss und Riegel, darunter Oberg, der höchste SS-Vertreter im besetzten Frankreich. Aber es gelang Hofacker nicht, den Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall von Kluge, auf die Seite der Putschisten zu ziehen und zu veranlassen, gegenüber den Westalliierten, deren Truppen am 4. Juni in der Normandie gelandet waren, zu kapitulieren – was die Befreiung Europas vom Faschismus erheblich beschleunigt hätte. Kluge überzeugte sich, dass Hitler noch lebte, und ordnete dann die Freilassung der Verhafteten an. Damit war der Putsch auch in Paris gescheitert.

Der bürgerliche Widerstand entstand und organisierte sich spät. Während der Widerstand der unteren Gesellschaftsschichten gleich 1933 einsetzte, allerdings infolge des Terrors der Nazis und ihrer Verfolgungsmaßnahmen um 1937/38 seine organisatorischen Verankerungen verlor und sich danach in viele Netzwerke auffächerte, war die bürgerliche Opposition durch eine Hypothek belastet: Die alten Funktionseliten waren 1932/33 ein Bündnis mit der Führung der Nazis eingegangen; erst 1937/38 begannen sich einige Exponenten dieses Bündnisses aus ihm zu lösen. Die meisten Angehörigen der Offiziersopposition hatten den „nationalen Aufbruch“ 1933 begrüßt und unter dem Naziregime Karriere gemacht. Stauffenberg beispielsweise war geprägt durch den reaktionären und elitären George-Kreis und hatte eine steile Karriere als Berufsoffizier hinter sich, während sein Cousin Hofacker, ein Jurist, während seines Studiums völkischen und antisemitischen Zirkeln angehört hatte, später Karriere in der Stahlindustrie machte und 1937 Mitglied der NSDAP wurde. Hinzu kam, dass viele Angehörige der Offiziersopposition im Laufe des Krieges an schweren Verbrechen beteiligt gewesen waren oder sie sogar angeordnet hatten. So kooperierte Stülpnagel, Spezialist für Aufstandsbekämpfung, an der Ostfront mit Einsatzgruppen der SS und muss deshalb als Beteiligter am Holocaust gelten.

Auf der anderen Seite besaßen die Exponenten des bürgerlichen Widerstands, im Gegensatz zu denjenigen des Arbeiterwiderstands, exklusive Informationsquellen: Sie hatten Zugang zur diplomatischen Korrespondenz des Auswärtigen Amtes, zu den geheimen Auslandsmeldungen, aber auch ungefilterten Lageberichten und Analysen der Generalstäbe und zu Informationskanälen aus Geschäftskontakten von Wirtschafts- und Finanzkreisen mit den neutralen Ländern Europas. Sie sahen also auf sich nicht nur eine Katastrophe zukommen, sondern konnten auch zeitliche Dynamik, Ablauf und Entwicklung ziemlich genau einschätzen. Danach war ihnen bereits um die Jahreswende 1943/44 klar, dass das Zeitfenster für einen Umsturz in Deutschland rasch immer kleiner würde – und der Handlungsspielraum ebenfalls.

Auch der bürgerliche Widerstand war nicht monolithisch. Konnte man seine Exponenten zunächst noch als „regime-loyale Opposition“ (Karl Heinz Roth) bezeichnen, lassen sich zumindest für die Zeit während des Krieges mehrere Gruppierungen unterscheiden: Die Hassell-Popitz-Gruppe und die Freiburger Kreise verstanden sich bis zuletzt als obrigkeitsstaatliche Variante des Herrschaftssystems. Die Goerdeler-Kaiser-Leuschner-Gruppe strebte ein autoritäres Regime an und war an den Präsidialkabinetten am Ende der Weimarer Republik orientiert – Goerdeler, früherer Leipziger Oberbürgermeister, war Cheflobbyist des Bosch-Konzerns, Leuschner, früherer Gewerkschaftsführer, hatte Anfang 1933 zum „Führerkreis“ der deutschen Gewerkschaften gehört, der das Bündnis mit der „Deutschen Arbeitsfront“ suchte, ein Vorhaben, das mit der Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch die Nazis am 2. Mai 1933 endgültig gescheitert war. Erst der Kreisauer Kreis gab seit 1943 eine Perspektive auf eine demokratische Neuerung. Das war kein Zufall, hatten sich in ihm doch Menschen zusammengefunden, die sich nie mit der Nazi-Diktatur gemeingemacht hatten. Ohne ihn wäre im Herbst 1943 die Konstituierung der zivil-militärischen Aktionsgruppe des 20. Juli nicht möglich gewesen, die zu einem vollständigen Bruch mit dem Naziregime bereit war und sich mit den Exponenten des Kreisauer Kreises auf einen Waffenstillstand an allen Fronten, auf eine demokratische Mitte-Links-Regierung und eine breite „Volksbewegung“ unter Einschluss der Linkssozialisten und Kommunisten verständigt hatte. Ab Frühsommer 1944 handelte die Aktionsgruppe dann entschlossen, ohne noch auf die „Älteren“ der Goerdeler-Kaiser-Leuschner-Gruppe Rücksicht zu nehmen, die man nur noch für eine Übergangsphase zu brauchen meinte, um einer neuen „Dolchstoßlegende“ vorzubeugen. Soweit die Einordnung von Karl Heinz Roth, der wir auch hier folgen.

Im Sommer 1944 überschlugen sich die Ereignisse: Hatte das Jahr mit deutschen Niederlagen an allen Fronten begonnen, so mit der Sprengung des Blockaderings um Leningrad durch die Rote Armee, der Bombardierung der rumänischen Erdölfelder und der deutschen Flugzeugindustrie, so erfolgte am 4. Juni die Befreiung Roms, zwei Tage später begann die alliierte Landung in der Normandie, und am 22. Juni setzte die Rote Armee zu einer großen Entlastungsoffensive an, die im Juli zum Untergang der Heeresgruppe Mitte führte.

Unterdessen verloren Stauffenberg und die Aktionsgruppe ihre wichtigsten zivilen Mitstreiter: Die Sozialdemokraten Leber und Reichwein hatten – mit Wissen und Billigung Stauffenbergs – am 22. Juni an einem Treffen mit Vertretern der kommunistischen Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe teilgenommen, bei dem auch ein Gestapo-Spitzel anwesend gewesen war. Ab Anfang Juli wurden nicht nur die Teilnehmer des Treffens verhaftet, sondern in den Tagen und Wochen danach hunderte Angehörige des Arbeiterwiderstands. Und nach dem Scheitern des 20. Juli wurden etwa 700 Personen verhaftet, von denen über 100 der Terrorjustiz der Nazis zum Opfer fielen.

Um Attentat und Putsch des 20. Juli 1944 einordnen zu können, sind Vergleiche hilfreich: Am 25. Juli 1943 beschloss der „Große Rat des Faschismus“ mit großer Mehrheit die Absetzung und Inhaftierung Mussolinis, woraufhin der italienische König einen der größten Kriegsverbrecher, den Marschall Badoglio, zum neuen Ministerpräsidenten ernannte. Die herrschenden Eliten hatten sich also des zur Belastung gewordenen „Duce“ entledigt. Anders in Portugal: Die „Bewegung der Streitkräfte“ (MFA) beseitigte durch einen Putsch am 25. April 1974 die Salazar-Caetano-Diktatur und löste dadurch eine revolutionäre Entwicklung im Lande aus, an deren Beginn die Mobilisierung der Streitkräfte durch das MFA stand und zu deren Protagonisten Mitglieder des MFA gehörten – ein erfolgreicher Militärputsch als Auslöser einer Quasi-Revolution. Erfolgreich auch deshalb, weil die wichtigsten Militäreinheiten zu den Aufständischen übergingen. Deren Angehörige wollten nicht länger in Kolonialkriegen verheizt werden. Die Parole des MFA „Demokratisierung, Dekolonialisierung und Entwicklung“ überzeugte.