Wo Frauen gedemütigt und gequält wurden
10. Juni 2025
„Das Arbeitserziehungslager für Frauen“ in Rudersberg (1942 – 1945)
Am 19.11.2024 hat der Gemeinderat von Rudersberg die Verlegung einer Stolperschwelle vor dem Frauenerziehungslager „Ritterburg“ einstimmig beschlossen.
Aus unserer Sicht ein starkes Signal gegen jahrzehntelanges Vergessen und Verdrängen!
Die Verlegung der Stolperschwelle erfolgt durch Gunter Demnig von der Stiftung
„STIFTUNG – SPUREN – Gunter Demnig“ am 26.5.2025, um 13 Uhr.
Die Inschrift der Stolperschwelle:
JULI 1942 BIS APRIL 1945
ARBEITSLAGER FÜR FRAUEN IN DER RITTERBURG
MEHR ALS 3000 FRAUEN UND MÄDCHEN AUS GANZ EUROPA ZUR ZWANGSARBEIT EINGESETZT
IM HOLZWERK RUDERSBERG, IN ANDEREN KRIEGSWICHTIGEN BETRIEBEN, IN DER LANDWIRTSCHAFT
ENTWÜRDIGT – AUSGEBEUTET – MISSHANDELT – UNTERERNÄHRT
VIELE IN KONZENTRATIONSLAGER DEPORTIERT UND ERMORDET
Der Impuls für dieses Projekt der kommunalen Erinnerungskultur kam nicht zuletzt von der VVN-BdA Kreisvereinigung Rems-Murr.
Im Dezember 2023 haben wir uns mit einem Schreiben an den Bürgermeister von Rudersberg, Herrn Ahrens, gewandt und darin unsere Bitte zum Ausdruck gebracht, an dem Gebäude des ehemaligen Gasthofs „Ritterburg“, in der das ehemalige Frauenerziehungslager (AEL) Rudersberg von März 1942 bis zur Auflösung am 20.April 1945 untergebracht war, eine Gedenktafel bzw. ein gut sichtbares Hinweisschild in unmittelbarer Nähe des Gebäudes anzubringen. Wir baten Bürgermeister Ahrens, anlässlich des 80. Jahrestages der Auflösung des Frauenlagers Rudersberg im April 2025, einen entspr. Antrag im Gemeinderat einzubringen. Wir verwiesen in unserem Schreiben auch darauf, dass eine Gedenktafel bzw. ein Hinweisschild bei der Ritterburg ein weiterer wichtiger zeitgeschichtlicher und auch pädagogischer Baustein in der Chronik von Rudersberg wäre, neben der Gedenktafel auf dem Rudersberger Friedhof mit einer Gedenktafel/Hinweisschild an die Leiden der Frauen und Mädchen im sog. Arbeitserziehungslager zu erinnern.
Es war nicht der erste Versuch, ein solches Zeichen des Gedenkens an oder vor der „Ritterburg“ , dem Ort des Grauens, anzubringen. Diese Initiativen, bei der auch die VVN-BdA beteiligt war, scheiterten in der Vergangenheit entweder am politischen Willen der Gemeinderatsmehrheit oder an den Eigentümern des Gebäudes.
Bürgermeister Ahrens zeigte sich offen und gesprächsbereit für unsere Erinnerungsinitiative.
Zur Vorbereitung auf dieses Gespräch initiierten wir einen informellen Arbeitskreis „Stolperschwelle Ritterburg“, dem die Historikerin Sonja-Maria Bauer (Frau Bauer hat u.a. die Geschichte des Arbeitserziehungslagers/AEL für die Rudersberger Ortschronik aufgearbeitet), Dietrich Frey und Heiner Lindauer vom Historischen Welzheim, Walter Burkhardt und Ewald Schuster von der VVN-BdA Kreisvereinigung Rems-Murr. Als Gedenkmedium einigte man sich auf eine Stolperschwelle der STIFTUNG – SPUREN – Gunter Demnig, die im Gegensatz zu einem Stolperstein (für individuelle Opfer/Schicksale) in wenigen Zeilen dokumentiert, was an diesem Ort geschah. Eine Gedenktafel am Gebäude selbst ist nicht möglich, da sich die Bewohner, Nachfahren der Familie Horn, dagegen aussprachen. Übrigens: 1942 kaufte Otto Horn, Geschäftsführer des Holzwerks Rudersberg, den Gasthof „Ritterburg“ und vermietete ihn an die Gestapo. Die im „Arbeitserziehungslager“ (AEL) inhaftierten Frauen und Mädchen mussten u.a. im Holzwerk Rudersberg, welches mit der Herstellung von Munitionskisten auf kriegswichtige Produktion umstellte, Zwangsarbeit leisten.
Das Gespräch mit Bürgermeister Ahrens, Hauptamtsleiter Laidig sowie dem Arbeitskreis „Stolperschwelle Ritterburg“ fand im September 2024 statt. Bei diesem Gespräch zeigte sich die Verwaltungsspitze von unserem Projektvorschlag „Stolperschwelle Ritterburg“ sehr angetan und interessiert. Bürgermeister Ahrens sagte uns zu, das Thema auf die Tagesordnung der Gemeinderatssitzung im November zu nehmen. Frau Bauer wurde gebeten, einen historischen Begleittext für die Gemeinderatsdrucksache zu erstellen.
Die Widerstandskämpferin und VVN-Mitglied Gertrud Müller war in den Monaten Juli und August 1942 in Rudersberg inhaftiert. Sie berichtete von unmenschlichen Haftbedingungen wie unzureichendes Essen, miserable hygienische Bedingungen, Einzelhaft im Bunker und viele Schläge und Gebrüll sowie stundenlanges Appellstehen mitten in der Nacht usw.. Besonders hart verhielt sich laut Gertrud Müller der Lagerleiter Emil Held, der auch im KZ Welzheim seinen Dienst verrichtete, den inhaftierten Frauen gegenüber. Er trat u.a. schwangeren Frauen mit dem Stiefel in den Bauch, so dass sie Fehlgeburten erlitten.
Gertrud Müller kam von Rudersberg in eine 13-monatige Einzelhaft in Stuttgart und danach ins Frauen-KZ Ravensbrück, in dem sie bis zum Ende der faschistischen Terrorherrschaft 1945 inhaftiert war.
Damit ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte im Rems-Murr-Kreis nicht vergessen und verdrängt wird, engagierte sich Gertrud unermüdlich bis zu ihrem Tod als Zeitzeugin u.a. in Schulen und leistete so einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der Naziverbrechen.
Gertrud Müller: „Wir, die wir das Glück hatten zu überleben, können und dürfen das, was alles geschehen ist, nicht vergessen. Deshalb fordern wir in Rudersberg eine Gedenktafel, denn in Rudersberg haben viele Frauen und Mädchen ihre letzte Fahrt angetreten. Ihre Fahrt in den Tod.
Nach langem Hin und Her hat auch ein Arbeitskreis, bestehend aus dem Arbeitskreis Sozialdemokratischer Frauen (ASF), VVN-BdA, Lagergemeinschaft Ravensbrück und GewerkschafterInnen erreicht, dass durch Spenden eine Gedenk- und Mahntafel hergestellt und am 12. Oktober 1983 auf dem Friedhof eingeweiht wurde. 3 Jahre hat es gedauert, bis der Gemeinderat seine Zustimmung gab. Große Schwierigkeiten bereiteten die Freien Wähler und auch die CDU. Es war ein harter Kampf und es gab viele unangenehme Auseinandersetzungen, bis es endlich so weit war.“
Unter den politischen Häftlingen waren neben Gertrud Müller auch Sophie Klenk und Emmy Seitz von der Stuttgarter Widerstandsgruppe Schlotterbeck im Arbeitserziehungslager „Ritterburg“ inhaftiert. Sie wurden am 22. Juni 1944 von der Gestapo verhaftet. Ende November 1944 wurden Sophie Klenk und Emmy Seitz mit den Eltern Schlotterbecks, der Schwester Friedrich Schlotterbecks und 4 weiteren Freunden nach Dachau gebracht und dort am 30. November ermordet.
Die VVN-BdA Kreisvereinigung Rems-Murr veranstaltet jedes Jahr am Volkstrauertag eine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung an der Gedenktafel auf dem Friedhof in Rudersberg.
Außerdem bietet die VVN-BdA Kreisvereinigung Rems-Murr Kreisrundfahrten „Auf den Spuren des 3. Reiches“ zu den Stätten der Nazi-Verbrechen im Rems-Murr-Kreis für Schulklassen, Vereine und Organisationen an. Wir führten u.a. auch für die Waiblinger Kreiszeitung im Rahmen einer Lesereise eine solche Rundfahrt durch. Noch zu erwähnen wäre noch, daß uns bei unserer ersten Kreisrundfahrt, 1997, Gertrud Müller als Zeitzeugin begleitete. Sie war es auch, die uns zum Grab von Karl Buck, Lagerleiter vom KZ Welzheim und dem Arbeitserziehungslager Rudersberg, führte und der bis zu seinem Tod 1978 als angesehener Bürger in Rudersberg lebte. Für Gertrud Müller unvorstellbar und skandalös im Sinne der Aufklärung von Naziverbrechen.
Veranstaltungshinweis
Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus gibt es am 14.5.2025, um 19.30 Uhr, in der Manufaktur Schorndorf eine Veranstaltung mit der Mikrophone Mafia „Musik und Lesung“ , u.a. eine Hommage an Esther Bejarano, die 2021 verstarb und am 15. Dezember 2024 100 Jahre alt geworden wäre.
Veranstalter: VVN-BdA Kreisvereinigung Rems-Murr
Mitveranstalter: Forum Politik in der Manufaktur, DGB Kreisverband Rems-Murr, DKP Rems-Murr, Friedensinitiative Schorndorf, Ökumenisches Friedensgespräch Schorndorf