Das erste Berufsverbot

geschrieben von Erhard Korn

19. September 2025

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Vor 125 Jahren wurde der „Bauernkriegszimmermann“ aus dem Schuldienst entlassen

Nachfolgender Artikel wurde uns vom Autor freundlicherweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Erhard Korn ist aktiv in der Rosa Luxemburg Stiftung BW und in der GEW.

500 Jahre nach der ersten deutschen Revolution soll auch an ihren ersten „wahrhaften und redlichen“ Chronisten erinnert werden. Lyndal Roper spricht in ihrer Monografie über den Bauernkrieg gar davon, dass mit ihm „die moderne Geschichtsschreibung“ begann. Käthe Kollwitz inspirierte er 1908 zu ihrem berühmten Bauernkriegszyklus, Gerhart Hauptmann zu seinem Drama „Florian Geyer“.

Die Rede ist von Wilhelm Zimmermann, dessen Buch „Der große deutsche Bauernkrieg“ in den Volksausgaben des Dietz-Verlags ein Massenpublikum erreichte. Als Kind armer Leute besuchte er die Stuttgarter Volksschule, fiel aber wegen seiner Begabung auf und konnte durch die kostenlose Pfarrerausbildung studieren. In der Zeit des Vormärz trifft er in Tübingen auf Lehrer und Studienkollegen, die Dogmen aufbrachen – und Gedichte schrieben, um dem Druck der Zensur auszuweichen. Über historische Balladen fand er zur Geschichtsschreibung.

Von den unsicheren Honoraren konnte Zimmermann seine wachsende Familie allerdings nicht ernähren. So wurde er 1847 Pfarrer in Dettingen am Rand der Schwäbischen Alb, wo er im Pfarrhaus „ganz aus den Archivquellen“ sein Buch schrieb, für Carl von Ossietzky „das demokratischste unserer Geschichtsbücher“.

Auf der äußersten Linken

Gelesen wurde „der Bauernkrieg“ bei seinem ersten Erscheinen 1844 „als ein Beitrag zum latenten und geistigen Freiheitskampf der vormärzlichen Gegenwart“ so Otto Borst, Zimmermann sah in der Geschichte „den Geist der Freiheit“, der weiterwirke, auch wenn er zu schlafen scheine – die Gegner unterstellen, er verstecke im Bauernkriegsbuch seine politischen Botschaften, in Baden, Bayern und Österreich wurde es verboten.

Seit 1830 arbeitete Zimmermann an den Zeitschriften der linksliberalen Opposition mit, engagierte sich im „Volksverein“ und wurde 1848 als Abgeordneter des Wahlkreises Schwäbisch Hall in die Nationalversammlung gewählt. Hier stand der „Bauernkriegszimmermann“ auf der Seite der „äußersten Linken“, wie Friedrich Engels lobte.

Schon bist du ein Verfassungsfeind

1847 war der Historiker vom König zum Professor ernannt worden und unterrichtete „mit blühender Darstellungsgabe“ an der „Polytechnischen Schule“, der Vorgängerin der Universität Stuttgart und an der „Oberrealschule“. Der für die höheren Schulen zuständige „Königliche Studienrat“ allerdings sammelte in Informationen über seine politische Tätigkeit, etwa über eine Gedächtnisrede für Robert Blum, und forderte von den Schulleitungen und Zimmermanns Vertretung „Erkundigungen“ ein: Zimmermann wurde unterstellt, seine Schüler zu „verderben“. Denunziationen wurden in einer Personalakte zusammengetragen – er habe zu gute Noten gegeben, zu wenig auf die Rechtschreibung seiner Schüler geachtet und sei manchmal zu spät gekommen.

Die Forderung des Studienrats, ihn zu entlassen, wies Kultminister Friedrich von Römer, der mit Zimmermann in der Nationalversammlung gesessen hatte, zunächst ab. Er sei zwar als Geschichtslehrer bei seiner „vom demokratischen Standpunkt ausgehenden Auffassung…nicht am rechten Platz“, um Schüler die „entscheidende und bleibende Richtung des historischen Urtheils“ empfangen zu lassen. Allerdings gebe es für eine Entlassung nun keine „zureichende Rechtfertigung“.

Doch im Herbst 1849 wurde das Reformministerium selbst entlassen und der erzkonservative Kultminister Karl von Waechter-Spittler ordnete an, Zimmermann „genau zu überwachen“. Die Schulleiter erteilten Anweisungen für den Unterricht und kontrollierten wöchentliche Hefte und Vorlesungsmitschriebe der Schüler, konnten aber keine Verfehlungen feststellen. Allerdings glaubte der Rektor der Oberrealschule, einige Antworten der Schüler bei einer Prüfung gäben „der Vermuthung Raum, dass Zimerman in seinem Geschichtsunterricht z.B. darauf ausgehe, die Geburtsaristokratie dem Proletariat gehässig u lächerlich darzustellen“. Im alten Rom, wohlgemerkt.

In einem Bericht des Ministeriums an den König heißt es denn am 9.12.1850 „Betreff auf Dienstenthebung“, der Lehrer Dr. Wilhelm Zimmermann betreibe eine „perfide Behandlung der Geschichte“ und versuche, den Schülern „seine politischen Ansichten hineinzudressieren.“ Der König ordnete die Entlassung mit vierteljährlicher Frist an.

Ein Aktenbericht von 1854 macht deutlich, dass man in der Unterrichtstätigkeit Zimmermanns „keine Spur von Verfolgung einer politischen Tendenz“ gefunden habe, seine Bücher zur deutschen Geschichte aber eine Tendenz zeigten, „vom Grundsatz der Volkssouveränität als der Quelle aller Rechte“ eine „Verfassungsänderung, namentlich des eingesetzten fürstlichen Regiments“ und damit „die entschiedensten politischen Verbrechen zu „vindiciren“ (rechtfertigen).

Zur Ironie der Geschichte gehört, dass König Wilhelm selbst gegen die von ihm im März 1849 angenommene Paulskirchenverfassung Hochverrat begangen hatte, als er das Rumpfparlament mit Waffengewalt auflöste, das im Vertrauen auf seine Verfassungstreue im Mai 1849 in Stuttgart tagte.

Exempelstatuierung an Staatsdienern

Die von Zimmermann in seiner „Geschichte der Jahre 1840 bis 1860“ beschriebene „Discipinierung der Beamten durch Exempelstatuierung an Staatsdienern wegen Freisinns“ hatte ihn selbst getroffen. Er stand mit 44 Jahren mit Frau und vier Kindern ohne Einkommen da.

Bis 1854 gehörte Zimmermann noch dem Landtag an, den der König mehrmals auflöste, bis er die ihm genehme Verfassung beschloss. Hier sprach der Abgeordnete auch seine Entlassung an. Zimmermanns Geschichte der Revolution von 1848, so der reaktionäre Kultusminister Waechter-Spittler, sei „in so revolutionärem, durchaus verwerflichen Sinne abgefasst“, dass er es nicht mit seinem Gewissen verantworten konnte, ihn als Lehrer Schüler und Studenten unterrichten zu lassen.

Widerrufen hat Zimmermann seine Überzeugungen nie, aber der Wiedereintritt in den Kirchendienst war doch verbunden mit dem Verzicht darauf, sich politisch zu exponieren. 22.September 1878 starb er an einer Lungenentzündung. Auf seinem Grabstein in Owen setzte er einen Satz aus seinem „Bauernkrieg“:

„Ob auch Welle um Welle sich bricht und zerstäubt, der Strom geht vorwärts.“