Freiburg hat ein NS-Dokuzentrum
19. September 2025
Ehemaliger Luftschutzkeller als Ausstellungsfläche für den Auftakt des Nazi-Terrors

Seit März 2025 gibt es in Freiburg endlich einen Ort, an dem die auch auf unterster lokaler Ebene begangenen Verbrechen des Hitlerfaschismus dokumentiert sind. Mit der Eröffnung des „Dokumentationszentrums Nationalsozialismus“ in dem zentral gelegenen ehemaligen städtischen “Fremdenverkehrsamt“ endet ein knapp 20 Jahre währender Prozess. Im Verlauf gab es zwar einige Rückschläge, doch letztlich bewiesen die zivilgesellschaftlichen Befürworter langen Atem. Und leisteten auch im Gemeinderat viel Überzeugungsarbeit.
Am Anfang dieses Prozess stand Marlis Meckel, die seit 2002 in Freiburg für die Verlegung von Stolpersteinen sorgt. Sie hatte Hunderte Freiburger Verfolgtengeschichten recherchiert und suchte einen Ort, an dem ihr umfangreiches Archiv mit bereits erforschtem Material zusammengeführt und öffentlich zugänglich gemacht werden sollte. Da der damalige grüne OB Dieter Salomon ihr ihm wiederholt angetragenes Anliegen abschlägig beschied, gründete sie mit Gleichgesinnnten die Initiative „Freiburg braucht eine Mahn- und Gedenkstätte“, die 2009 öffentlich die Einrichtung einer solchen Institution forderte.
Wie in unangenehmen Fällen üblich, wurde der Antrag wegen fehlenden Geldes zurückgewiesen. Die Initiative erreichte immerhin, dass zusammen mit dem Kulturamt und Historikern die Konzeption für eine große Sonderausstellung erarbeitet wurde, die dann von November 2016 bis Oktober 2017 in Freiburgs größtem Museum zu sehen war. Damit, hieß es damals im Rathaus, solle geprüft werden, ob es überhaupt Bedarf für ein Doku-Zentrum gebe.
Das Interesse war indessen überwältigend: 80.000 Menschen besuchten die Ausstellung namens „Nationalsozialismus in Freiburg“. Darunter war mit vielen Schulklassen eine als besonders wichtig erachteten Zielgruppe. Nach der positiven Bilanz der nicht einmal besonders gelungenen Ausstellung reagierten die Stadträte der „Unabhängigen Listen“ sofort: Auf Initiative der Fraktion, der zwei Mitglieder der VVN-BdA angehörten, wurde im November 2017 ein interfraktioneller Antrag an die Verwaltung gestellt, einen Ort zu schaffen, an dem die Auseinandersetzung mit Ursachen und Wirkung von Faschismus dauerhaft möglich sei. Angesichts der zunehmenden Wahlerfolge der AfD und der offensichtlichen Gefahr eines Rechtsrucks, so das einhellige Votum des noch nazifreien Gemeinderats, bestehe die dringende Notwendigkeit, sich insbesondere auch mit den Anfängen, den Bedingungen für den Aufstieg und den Unterstützern historischer faschistischer Bewegungen und Parteien auseinanderzusetzen.
Dem Antrag konnte sich auch der OB nicht mehr widersetzen. Zumal durch einen Zufallsfund im Jahr 2016 ein Gedenkort notwendig geworden war: Der Platz, auf dem bis zur Pogromnacht die Synagoge gestanden hatte, sollte umgestaltet werden. Dabei war an ihrem Standort ein leicht erhöhter Wasserspiegel vorgesehen, dessen Umrisse exakt denen des am 9. November 1938 zerstörten Bauwerks entsprachen. Bei den Baggerarbeiten stieß man jedoch auf Fundamentsteine. Trotz Protesten der jüdischen Gemeinden wurden die Bauarbeiten fortgesetzt und die Steine an anderer Stelle konserviert. In einem Dialogverfahren einigte man sich darauf, die Relikte an einer geeigneten Stätte wieder sichtbar zu machen. Aus dieser Verpflichtung resultierte die Idee, diese Gedenk-Stätte in das offenbar unumgängliche Dokuzentrum zu integrieren.
Im Frühjahr 2018 machte sich das zuständige Dezernat an die Planung, an deren Umsetzung neben Historiker:innen und Menschen mit Gedenkstätten-Expertise auch die Stolperstein-Initiative sowie Repräsentant:innen der verschiedenen Verfolgtengruppen beteiligt wurden. Auch die VVN-BdA Freiburg gehörte von Anfang zu diesem wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Beirat, der sich mit der inhaltlichen Konzeption und dem Standort befasste. Denn der war zunächst noch strittig.
Zwar galt das frühere Verkehrsamt bald als Favorit: Das von 1934 bis 1936 nach Plänen des von 1925 bis 1951 nahtlos amtierenden Stadtbaumeisters Joseph Schlippe errichtete Gebäude fungierte in der Nazizeit als regionale Zentrale der Kraft-durch-Freude-Propaganda, es beherbergte gleichgeschaltete Freizeit- und Wandervereine, die im Sinne der herrschenden Heimat-Ideologie für den mystischen Schwarzwald warben und Ausflüge für Touristen organisierten. Und es beherbergte seit 1935 einen nur für die Eliten der Freiburger Volksgemeinschaft zugänglichen Luftschutzkeller – mitsamt einer vollständig erhaltenen Gas-Schleuse und noch immer vorhandenen, von innen verschließbaren Mannesmann-Luftschutzgittern über den Schächten. In Zeiten, da vehement bestritten wurde, dass für den „Lebensraum im Osten“ ein Krieg vorbereitet würde.
Doch trotz dieser eindeutigen Bezüge auf die Nazizeit hatte der andere Pläne mit den Haus, in dessen unmittelbarer Nähe seit dem 8. Mai 1975 das von der VVN initiierte, „den Kämpfern im Widerstand 1933-1945“ gewidmete Mahnmal von Walter Schelenz steht. Da Salomon bei der OB-Wahl im Mai 2018 jedoch abgewählt wurde und sein Nachfolger den historischen Ort befürwortete, konnte der am 24. Juli 2018 einstimmig gefasste Beschluss des Gemeinderats ab dem Spätherbst 2018 in dem Haus umgesetzt werden, das nur ein paar Gehminuten von der ehemaligen Synagoge entfernt ist. Und das, wie ein weiterer überraschender Fund zeigte, ein authentischer Ort ist: im Lauf der etwa zwei Jahre währenden Bauarbeiten fand man ein bis dahin verborgendes Wandgemälde, das als Auftragsarbeit von einem NSDAP-Maler angefertigt wurde und das propagierte Menschenbild von der arischen Herrenrasse wiedergibt.
Da das Machwerk aus Denkmalschutzgründen nicht entfernt werden konnte, ist es nun in die Dauerausstellung im Foyer im Erdgeschoss integriert, kann allerdings ganz oder teilweise verdeckt werden. Hier geht es um die Zeit von 1918 bis 1933, um „Freiburg in der Weimarer Republik“ – und um die allgemeinen politischen Verhältnisse, die zur Übertragung der Macht an die Faschisten geführt haben. Im ehemaligen Luftschutzkeller im Untergeschoss wird die „Etablierung der Diktatur“ (1933-38) und das „Nebeneinander von Gewalt und Alltag (1918-42) thematisiert. Hier kann man hinter die -auf Plexiglas skizzierten- Fassaden einiger Gebäude wie dem Rathaus, der Universität oder eines jüdischen Geschäftshausen schauen und die dort handelnden (oder „behandelten“) Menschen kennenlernen. Unser Vorschlag, das am 1.Mai 1933 von der SA besetzte und daraufhin als Sitz der Arbeitsfront missbrauchte Gewerkschaftshaus darzustellen und damit den Widerstand aus der Arbeiterbewegung zu dokumentieren, fand im Beirat indessen keine Mehrheit.
So ist dieses wichtige Kapitel in der Dauerausstellung relativ unterbelichtet. Das gilt auch für die Räume im Obergeschoss, wo es um den Krieg, die verschärfte Verfolgung, um Zwangsarbeit, massenhafte Deportationen in Vernichtungslager und die verschiedenen sogenannten „Endlösungen“ sowie um Neubeginn und Kontinuitäten nach 45 geht. Und um den „HandlungsRaum Untergrund“. Hier ist die Geschichte des Ehepaars Lina Müller-Stumpp und Heinrich Müller dokumentiert, die in einer kommunistischen Widerstandszelle aktiv waren, denunziert wurden und im August 1943 hingerichtet wurden. Ihre Namen sind – mit den Namen von 13 anderen aus politischen Gründen Ermordeten in dem separaten Gedenkraum mit den Synagogensteinen zu finden, wo die Namen aller bisher bekannten etwa 1048 ermordeten Freiburger:innen angebracht sind. Alphabetisch, ohne Opfer-Hierarchien. Und jederzeit ergänzbar. Trotz einiger Mängel, die jedoch nachgebessert werden können, ist das NS-Dokuzentrum ein wichtiger Schritt für die politische Erinnerungsarbeit. Und eine Seminar- und Forschungsstelle für Studierende, Schüler:innen und andere Interessierte.