Geschichte wird gemacht! Fragt sich nur vom wem?

geschrieben von Dieter Lachenmayer

19. September 2025

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Odysee eines Gesetzes zur betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung in Württemberg Baden.

Nach der Befreiung bildeten sich in ganz Deutschland antifaschistische Komitees, die sich die Aufgabe stellten, nicht nur die Versorgung der Bevölkerung zu organisieren, sondern auch eine neue Gesellschaft aufzubauen, die den Grundgedanken des Schwures von Buchenwald und auch die drei Vorgaben der Potsdamer Beschlüsse der alliierten Siegermächte umzusetzen: Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Entmonopolisierung. Dort heißt es: „In praktisch kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren, mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen.“

Ähnliche Forderungen finden sich auch in den ersten Dokumenten vieler der im Aufbau befindlichen Parteien wieder. So formulierte das Ahlener Programm der CDU im Februar 47:

„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr als das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.“

Die SPD in den Westzonen stellte sich gar „Sozialismus als Tagesaufgabe“.

Tatsächlich entsprachen solche Forderungen der gesamtdeutschen Nachkriegsstimmung, die von den Überlebenden des antifaschistischen Widerstandes geprägt wurde, die (ebenfalls zunächst) von den vier Besatzungsmächten und ihren Potsdamer Beschlüssen unterstützt wurden.

So wurde in Hessen im Dezember 46 ein Volksentscheid über die Landesverfassung durchgeführt, der über die Verfassung insgesamt entscheiden sollte, aber eine gesonderte Abstimmung über einen einzigen umstrittenen Zusatzartikel 41 enthielt:

Darin sollten „in Gemeineigentum überführt“ werden „der Bergbau … Eisen- und Stahlerzeugung, … Energiewirtschaft und das …Verkehrswesen“ und „vom Staate beaufsichtigt oder verwaltet (werden), die Großbanken und Versicherungsunternehmen…“

71,9 % der Abstimmenden sprachen sich ausdrücklich dafür aus.

(Dieser Artikel steht auch noch heute in der hessischen Landesverfassung, gilt aber heute nach Meinung des juristischen Mainstreams als vom Grundgesetz außer Kraft gesetzt.)

Auch im früheren Land „Württemberg-Baden“ (das heute in etwa den Regierungsbezirken Stuttgart und Karlsruhe entspricht), fand nach einer von der US- Militärregierung angeordneten Verfassungsgebenden Versammlung am 24. Nov 1946 eine Volksabstimmung über die dort erarbeitete Verfassung statt. Diese Verfassung enthielt zwar nicht ganz so weitgehende Bestimmungen wie die hessische, hatte aber aus heutiger Sicht unter der Überschrift „Die Sozial- und Wirtschaftsordnung“ einige erstaunliche Vorgaben parat. Unter anderen:

  • Art 20: Die Arbeit „steht unter dem besonderen Schutze des Staates. Jedermann soll durch eigene Arbeit seinen Unterhalt erwerben können“
  • Art 22: „Vertreter der Arbeitnehmer sind an der Gestaltung und Verwaltung der Betriebe zu beteiligen“
  • Art 23: „Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken“
  • Art 25: „Zur Ordnung der wirtschaftlichen Angelegenheiten werden Körperschaften geschaffen, an denen Unternehmer und Arbeitnehmer …gleichmäßig zu beteiligen sind.“
  • Art 28: „Kann der Wirtschaftszweck besser ohne Eigentum des Unternehmers an Produktionsmitteln erreicht werden oder widerstreitet die Ausübung des Eigentumsrechts dem Gemeinwohl, so sollen geeignete Unternehmungen und Wirtschaftszweige durch Gesetz in Gemeineigentum überführt werden.“

Damit waren zwar bei weitem nicht alle Vorstellungen und Forderungen der Gewerkschaften erfüllt – weiterhin waren es die Unternehmer, die wirtschaftliche Verfügungsgewalt inne hatten – aber immerhin enthielt die Verfassung das Recht auf Arbeit, die Verpflichtung der Wirtschaft auf das Gemeinwohl sowie Vorgaben für betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmungsrechte der Belegschaften und Gewerkschaften.

„Solange die Wirtschaft von privatwirtschaftlichen Grundrechten regiert wird, solange wird es auch nicht jedermann möglich sein, seinen Unterhalt durch eigene Arbeit fristen zu können…“ schrieb die Gewerkschaftszeitung.

Jetzt kam es darauf an, im neuen Landtag, die Ausgestaltung der Verfassungsvorgaben in Gesetze im Sinne der Arbeiter und Gewerkschaftsbewegung durchzusetzen.

Allerdings führte die Wahl zu einer knappen absoluten Mehrheit der bürgerlichen Parteien CDU und DVP. (Deutsche Volkspartei, die sich 1948 in FDP/DVP umtaufte.) Die ständig betonte antifaschistische Gemeinsamkeit aller Parteien erlaubte aber wohl weder die Bildung einer rein bürgerlichen Koalitionsregierung, noch den Ausschluss der KPD, sondern führte zu einer Allparteienkoalition unter Ministerpräsident Reinhold Maier (DVP). Die SPD stellte in dieser Regierung vier Minister, die KPD einen einzigen, den Arbeitsminister Rudolf Kohl.

Die öffentlich geäußerten Positionen der AntifaschistInnen, der Arbeiterparteien, der neugegründeten Einheitsgewerkschaften waren zwar je nach Parteipräferenzen sehr unterschiedlich in der Summe aber klar: Kapitalismus ist das Gesellschaftsmodell, das zum Faschismus führte! Im Einzelnen aber unklar: Wie kann Kapitalismus überwunden werden?

In der sowjetischen Besatzungszone regelte sich diese Frage mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht.

In den westlichen Besatzungszonen stießen diese antifaschistischen Forderungen jedoch auf den zunächst hinhaltenden, später massiven Widerstand der Besatzungsmächte. Das galt insbesondere für die US-amerikanische Besatzungszone.

Dort verkündete US-Außenminister Byrnes am 6. September 46 eine Neuorientierung der US-Besatzungspolitik: Er verkündete dort die Bildung einer US-britischen „Bi-Zone“ und verwarf damit die Potsdamer Vereinbarungen für eine Gesamtdeutsche Verwaltung durch die alliierten Siegermächte. Die künftige US-Politik lief also auf die Spaltung Deutschlands einschließlich Wiederaufrüstung und Militarisierung hinaus. Der kalte Krieg begann!

Da gab es nun keinen Spielraum mehr für die weitgehenden Forderungen nach einer demokratischen und Gemeinwohlorientierten Wirtschaft und die weitgehenden Mitbestimmungsrechte, die Gewerkschaften und auch die nagelneue Verfassung verlangten.

Dennoch wurde Arbeitsminister Kohl am 2.7. 47 vom Ministerrat beauftragt, einen Entwurf für ein Gesetz vorzulegen, das nun endlich wenigstens die betriebliche Mitbestimmung zur „Gestaltung und Verwaltung der Betriebe“ nach Artikel 22 der Verfassung regeln sollte, den dieser dann am 2.10. 47. vorlegte.

Der Entwurf sah Mitbestimmung vor, „für die Produktionsplanung, die Kalkulation und Preisgestaltung, die Rohstoffbeschaffung, die Produktions- und Absatzregelung, die Erweiterung oder Verkleinerung der betriebstechnischen Anlagen, die Betriebsstillegung und die Verlegung der Verwaltung, den Erwerb oder den Verkauf von Patenten und die Fusionierung mit einem oder mehreren Betrieben.“

Obwohl der Landtag auf eine rasche Behandlung des Gesetzes drängte, zeigte der Ministerrat keine Eile, sich mit dem Entwurf zu befassen.

In Folge fanden zahlreiche Betriebs- und Gewerkschaftsversammlungen statt, auf denen häufig auch der Arbeitsminister selbst seinen Entwurf vorstellte und auf denen Erklärungen und Protestnoten für die rasche Behandlung des Mitbestimmungsgesetztes verabschiedet wurden.

Der Entwurf stieß auf heftige Kritik der bürgerlichen Parteien, aber auch von einzelnen Regierungsmitgliedern der SPD. Der Ministerpräsident teilte einer Delegation Stuttgarter Metallarbeiter, die ihn aufgesucht hatten, um Druck zur raschen Verabschiedung zu machen, lapidar mit, das Kabinett habe diesen Entwurf „für zu radikal befunden“.

Selbst im Vorstand des Gewerkschaftsbundes Württemberg-Baden (GWB) wurde ähnliche Kritik laut. Es wurde eine Kommission gebildet die eine gemeinsame Fassung von GWB und Arbeitsministerium erarbeiten sollte. Dieser gemeinsame Entwurf schwächte zwar die Rechte der Betriebsräte geringfügig ab, fasste sie aber gleichzeitig an vielen Stellen konkreter, und machte sie dadurch nicht unterschiedlich interpretierbar.

Aber auch dieser gemeinsame Entwurf fand im Ministerrat am 13.3.48 keine Zustimmung. Es wurde eine interministerielle Kommission zur erneuten Umarbeitung gebildet, dessen Ergebnis dann schließlich am 16.5.48 dem Landtag zugeleitet wurde.

Die damals erscheinende Zeitschrift „Arbeits- und Sozialrecht“ fasste zusammen: Der ursprüngliche Entwurf sei nun so verändert, „dass damit vom eigentlichen Sinn und Ziel des Gesetzentwurfes vieles genommen wurde“.

Inzwischen hatten sich die Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeiterbewegung aber auch wegen der Verzögerungstaktik der bürgerlichen Parteien und der Besatzungsmacht um ein Gesetz zur betrieblichen Mitbestimmung so lange hingezogen, dass sich die politischen Rahmenbedingungen massiv verändert hatten:

Die Protestwelle im Frühjahr 48 war abgeflaut, mit der antisowjetischen Blockbildung der Westmächte, der separaten Währungsreform der Westzonen, vor allem aber die in deren Folge entstandenen Berlinkrise, hatten das politische Klima dramatisch nach rechts verschoben.

Am 7.7.48 wurde die vorgesehene Beratung des mittlerweile dramatisch verwässerten Betriebsrätegesetzes zugunsten einer Aussprache über die Berlinkrise von der Tagesordnung des Landtags abgesetzt.

Am 23.7.48 wurde im Landtag unter dem Protest der vollbesetzten Zuschauertribüne ein Mißtrauensantrag gegen den bisher amtierenden Arbeitsminister angenommen.

Am 13. 8. 48 nun gelangte der Entwurf, der inzwischen durch die parlamentarische Debatte noch weiter verwässert worden war, zur Abstimmung und wurde (bei Stimmenthaltung der KPD) mit großer Mehrheit angenommen.

Am 4.10.48, zwei Tage nachdem das Gesetz in Kraft getreten war, wurden die „Artikel 20, 21 ,22, 23, 24 und 29 … des Gesetzes Nr. 726 betreffend ‚Beteiligung der Arbeitnehmer an der Verwaltung und Gestaltung der Betriebe der Privatwirtschaft‘“ auf Weisung der Militärregierung „hiermit suspendiert“.

Damit war die uneingeschränkte Verfügungsgewalt der Unternehmer über ihre privatkapitalistischen Produktionsmittel wieder hergestellt. Aus, die Maus!