Der Schwur von Buchenwald
11. Februar 2025
AN25-1, Buchenwald, Geschichte
Antifaschistischer Grundkonsens und Aufruf zum Handeln an die nachfolgenden Generationen

Genau einen Monat vor Kriegsende – ab 8. April 1945 – gelang es dank des gut organisierten und konsequent handelnden Widerstands im KZ Buchenwald bei Weimar, die angesichts der heranrückenden alliierten Truppen geplante Räumung des Lagers durch Sabotage zu verhindern. Auch 46 zur Ermordung gelistete Antifaschisten – unter ihnen Eugen Kogon, Bruno Apitz und Emil Carlebach – wurden erfolgreich versteckt.
Unmittelbar nach dem Evakuierungsbefehl von Lagerkommandant Pister morste der polnische Widerstandskämpfer Gwidon Damazyn (1908-1972) im Auftrag der illegalen Lagerleitung aus dem von bewaffneten russischen Kriegsgefangenen bewachten Kinosaal des Lagers die von Walter Bartel und Harry Kuhn ausgearbeitete Nachricht in deutscher, englischer und russischer Sprache: „An die Alliierten. An die Armee des General Patton. Hier Konzentrationslager Buchenwald! SOS! Wir bitten um Hilfe. Man will uns evakuieren. Die SS will uns vernichten.“ Drei Minuten später kam die Nachricht: “KZ Bu. Aushalten. Wir eilen Euch zu Hilfe. Stab der III. Armee.“
11. April 1945: Angesichts der nahen Front will sich die SS aus dem Staub machen, der bewaffnete Widerstand übernimmt das Lager: Die weiße Fahne flattert auf Turm 1, als die Durchsage von Hans Eiden erschallt: „Achtung! Achtung! Hier spricht der Lagerälteste im Auftrag des aus allen Nationen gebildeten Lagerkomitees.
- Die SS hat das Lager verlassen.
- Vertreter aller Nationen haben eine Lagerleitung gebildet. Ihren Anordnungen ist unbedingt Folge zu leisten.
- Bleibt alle in den Blocks. Haltet die Sperren aufrecht.
- Alle Lebensmittel, alle Bekleidungsgegenstände sind Eigentum der Lagerinsassen. Wer sich daran vergreift, wird als Plünderer bestraft.
- Alle Lagerorgane bleiben auf ihrem Posten, verrichten ihre Arbeit zur Erhaltung der Ordnung und Versorgung des Lagers.“
Die Sicherung des Lagers erfolgt umgehend mit 120 Mann und den erbeuteten Waffen: ca. 1500 Gewehre, 180 Panzerfäuste, 18 IMG und 4 MG. Die Selbstbefreiung gelingt dank der jahrelangen Vorbereitung und internationalen Zusammenarbeit der politischen Häftlinge angesichts der nahen amerikanischen Panzer.
Das Internationale Lagerkomitee verliest am 12. April 1945 beim ersten Freiheitsappell der Buchenwald-Insassen einen Aufruf des Lagerkomitees. General Patton besichtigt am 15. April 1945 das Lager. Am 16. April 1945, dem 58. Geburtstag von Ernst Thälmann, gedenken die deutschen Kommunisten In einem Mitgliederappell an den am 18. August 1944 in Buchenwald ermordeten KPD-Vorsitzenden. Am selben Tag vermeldet ein amtlicher Bericht dem amerikanischen Kriegsministerium die überlebenden Lagerinsassen: „2900 Franzosen, 3800 Polen, 1240 Ungarn, 570 Jugoslawen, 4380 Russen, 324 Holländer, 622 Belgier, 550 Österreicher, 242 Italiener, 2105 Tschechen, 1800 Deutsche, 1467 Spanier … insgesamt 20 000 Gefangene.“
„Wir schwören es!“ erklingt aus 21 000 Kehlen der Überlebenden bei der Trauerkundgebung auf dem Appellplatz des Lagers Buchenwald. Die Überlebenden schwören am 19. April 1945, den Tod der 56 000 Kameraden, die in Buchenwald von den Nazis ermordet wurden, durch den Kampf gegen die Schuldigen und gegen die Überreste des Faschismus zu rächen.
Als abends um 8 Uhr die Überlebenden nach Nationen gegliedert auf den Appellplatz marschieren, spielt das Lagerorchester. Die in fünf Sprachen verlesene Gedenkansprache mündet in das gemeinsame Gelöbnis:
„Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung.
Uns beseelte die Idee: Unsere Sache ist gerecht – Der Sieg muss unser sein!
Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf, und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen!
Noch leben die Mörder unserer Kameraden!
Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!
Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.
Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:
W I R S C H W Ö R E N !“
An den jährlich Mitte April stattfindenden Gedenkfeiern in Buchenwald können immer weniger der ehemaligen Häftlinge teilnehmen, die meisten sind bereits gestorben. Bei der Befreiung befinden sich 904 Kinder und Jugendliche im Lager – ein verschwindend geringer Teil der über 10 000 Kinder und Jugendlichen, die bis 1945 nach Buchenwald und Mittelbau-Dora verschleppt wurden. Unter ihnen waren Stefan Jerzy Zweig (1941-1924), den der spätere württembergische IG Metall-Vorsitzende Willi Bleicher als Kapo der Effektenkammer rettete. Zu den Geretteten zählten außerdem der spätere Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel (1928 -2016), der spätere Literaturnobelpreisträger Imre Kertész (1929 – 2016), der spätere antirassistische Aktivist Gert Schramm (1928 – 2016) und Israel Meir Lau, Jg. 1937, heute Oberrabbiner von Tel Aviv.
Auch Boris Romantschenko war unter den Geretteten. Ihn hatte man mit 16 Jahren nach Dortmund zur Zwangsarbeit verschleppt und nach seiner Flucht nach Buchenwald deportiert. Er überlebte die NS-Lagerhaft in Buchenwald, Peenemünde, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen. Engagiert gab er als Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos für die Ukraine (IKBD) seine Erfahrung als Vermächtnis weiter. Bei der Gedenkfeier am 12. April 1915 auf dem ehemaligen Appellplatz in der Gedenkstätte Buchenwald sprach einer die Zeilen „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal“ in russischer Sprache. Am 18. März 2022 wurde der 96-Jährige bei einem russischen Bombenangriff in seiner Wohnung in Charkiw/Ukraine getötet. Eine Woche zuvor hatte das Internationale Buchenwald-Komitee gefordert: „Im Namen des Schwures von Buchenwald, im Namen der Charta der Vereinten Nationen, des Friedens und des Lebens fordern wir: Ende mit dem Krieg in der Ukraine!“
Thüringen 2024: Weimar verleiht ehemaligen Buchenwald-Häftlingen und Widerstandskämpfern die Ehrenbürgerwürde, in der Landeshauptstadt Erfurt werden erste Stolpersteine verlegt, die AfD erringt 32 von 88 Sitzen im Thüringer Landtag. Die Beratungsstelle Ezra registrierte im Vorjahr 106 rassistische und 13 antisemitische Gewalttaten, die Polizei 335 rechte Straftaten. Zudem gestiegene Hasskriminalität und Fremdenfeindlichkeit gegenüber Geflüchteten, die vielfach von AfD-Wählern befürwortet wird. Dabei werden 60-80% der Straftaten gar nicht angezeigt.
Das Gedenken an die Millionen von Nazis Ermordeten und Verfolgten ist nur glaubhaft und wirkungsvoll, wenn es uns Nachgeborenen gelingt, den Schwur von Buchenwald auch für uns als antifaschistischen Grundkonsens anzunehmen, die in ihm formulierten ernsthaft anzustreben, in dem wir uns aktiv und solidarisch für eine Welt des Friedens und der Freiheit ohne Nazismus einsetzen.