Willi Bleicher bleibt unvergessen

geschrieben von Ulrich Schneider

19. September 2025

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Am 8. Mai 2025 nutzen IG Metall und DGB die Gelegenheit zum Abschluss der Ausstellung über frühen Widerstand gegen das NS-Regime an den bekannten antifaschistischen Gewerkschafter Willi Bleicher zu erinnern. Im großen Saal des Stuttgarter Gewerkschaftshauses präsentierte Hermann G. Abmayr sein neues Buch „Texte eines Widerständigen“ und zum Abschluss wurde noch einmal der Film zu Willi Bleicher von 2009 gezeigt, „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“.

Wie populär Willi Bleicher bis heute in der Region und in der Gewerkschaft ist, zeigte nicht zuletzt die Zahl der Besucher. Obwohl es an diesem Tag allein in Stuttgart vier Veranstaltungen zum 8. Mai 1945 mit jeweils mehreren hundert Besuchern gab, war der Gewerkschaftssaal sehr gut gefüllt. Eine Ehre für die Organisatoren war es, dass zahlreiche Angehörige der Familie von Willi Bleicher an dieser Veranstaltung zugegen waren.

Das vorliegende Buch ist keine Biographie. Diese hat – in knapper Form – Hermann Abmayr schon 1992 unter dem Titel „Wir brauchen kein Denkmal“ vorgelegt. Auch weitere Bücher und Aufsätze beschäftigten sich mit Bleichers Leben. Die Idee für dieses neue Buch kam dem Herausgeber schon bei seiner Arbeit an dem Film. Er bekam Zugang zu verschiedenen gedruckten Quellen und zwei längeren Interviews, die er als biographischen Originalton verstand und für die Nachwelt aufbereiten wollte.

Von daher liefert er – gemeinsam mit seinen Unterstützern, wie z.B. Lothar Letsche und anderen – eine Sammlung von Texten, von denen der Herausgeber selber sagt, dass man sie nicht von der ersten bis zur letzten Seite lesen müsse. Als Orientierungshilfe leitet er das Buch mit einer kurzen Einführung in die Dokumente und einem Überblick über die Familienstruktur, die in vielen von Willi Bleichers Texten von Bedeutung ist, ein. Eine umfangreichere Zeittafel ermöglicht es den Lesenden, die vorliegenden Texte besser in den historischen Kontext einzuordnen.

Gut ein Viertel des Buchumfangs machen Transkripte (und einige Bildwiedergaben) von Briefen aus der Untersuchungshaft und später aus dem KZ Buchenwald aus. Natürlich muss man diese Dokumente, die vor dem Hintergrund der faschistischen Zensur geschrieben wurden, „gegen den Strich“ lesen können. Dennoch zeigen sie – ungeachtet dieser Einschränkungen – seine empathische Art, wie er trotz der Härten des Haftalltags sich um seine Kinder und weitere Familienangehörigen Sorgen machte.

Knapp 150 Seiten umfasst das Transkript eines Interviews, was Willi Bleicher mit dem Journalisten und Filmemacher Klaus Ulrich 1973 machte. Dieses Interview war im Archiv des verstorbenen Journalisten verschollen. Es hatte zwar Eingang gefunden in dem Film: „Du sollst Dich nie vor einem lebenden Menschen bücken“, aber als Textdokument war es bislang nicht zugänglich. Umso verdienstvoller ist es, dass im Buch diese lange Selbstdarstellung von Willi Bleichers Leben bis 1945 nachlesbar ist. Ergänzt wird das Interview durch frühe Berichte aus der Feder von Willi Bleicher über die frühen Jahre des NS-Regimes, die er zu anderen Gelegenheiten verfasst hat. 

Über seinen Entwicklungsweg als Gewerkschafssekretär in der Zeit nach 1945 liegt ein Interview von Erasmus Schöfer und Erhard Korn vor, das für dieses Buch noch einmal veröffentlicht werden konnte.

So eingestimmt, sind auch die zahlreichen Ansprachen von 1946 bis 1954, die teilweise in Auszügen abgedruckt wurden nachvollziehbar. Dabei muss man bedenken, Willi Bleicher war ein begnadeter Redner, manche nannten ihn deshalb auch den „letzten Arbeiterführer“, so dass die Texte in der Druckfassung nur einen Teil der Wirkung entfalten können, wie in der gesprochenen Form.

Beeindruckend ist, wie auf den letzten knapp 80 Seiten Texte und Dokumente über die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder in der Erinnerungsarbeit, in der Auseinandersetzung mit der politischen Rechtsentwicklung, bei den zahllosen Arbeitskämpfen, aber auch in Interviews und Briefen, bei denen seine Erfahrungen in Buchenwald eine entsprechende Bedeutung besaßen.

Es ist auch in dieser Quellensammlung erkennbar, wie sich Bleichers Erfahrungen als politischer Häftling in Buchenwald, seine herausragende Rolle bei der Rettung von Stefan Jerzey Zweig, das Buchenwald-Kind, aber auch als Organisator der Thälmann-Gedenkfeier im Keller der Desinfektion durch sein ganzen Leben zog. In dem Film „Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ wurde besonders deutlich, welche große Wertschätzung das „Buchenwald-Kind“ seinem Retter über Jahrzehnte gegenüber bewahrt hat.  

Hervorzuheben ist bei diesem Buch, dass der Herausgeber alles vermieden hat, eine „Heldengeschichte“ zu schreiben. Er benennt auch Brüche in Willi Bleichers Leben und seinem Selbstbild, das er gerne als „geborener Metaller“ von sich gezeichnet hat, obwohl er doch den ehrbaren Beruf des Bäckers erlernte. Auch an anderen Stellen gab es Friktionen, die heutigen Vorstellungen vom Umgang mit Menschen und Problemen zuwiderliefen. Gleichzeitig verfällt der Herausgeber nicht der „Arroganz der Nachgeborenen“, die – aus der historischen Retrospektive – natürlich alles besser wissen können.

Diese Material- und Dokumentensammlung ist eine gelungene Zusammenstellung, die den politischen Menschen Willi Bleicher als Antifaschisten und Gewerkschafter in seinen vielfältigen aktiven Facetten sichtbar macht. Danke für dieses Buch.