Im Oktober 1947 gründeten Antifaschist:innen in Freiburg die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Südbaden. Es waren vorwiegend politische Widerstandskämpfer, die das Terror-Regime überlebt hatten und aus Lagern, Verstecken oder dem Exil zurückgekehrt waren. Sie machten es sich zur Aufgabe, alte und neue Nazis politisch und rechtlich zu bekämpfen. Dabei fühlten sie sich dem Schwur von Buchenwald verpflichtet:
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“.
Das ist bis heute und weiterhin unser Ziel. Zwar ohne die Widerständigen von damals, doch ausgestattet mit ihren Erfahrungen und Grundsätzen, verstehen wir uns als überparteiliche und demokratische Akteurin in der Zivilgesellschaft. Dabei spielt für uns auch eine Erinnerungspolitik, die sich nicht auf Symbolisches beschränkt, eine wichtige Rolle. Gemäß der 1970 vorgenommenen Erweiterung des Namens um „Bund der Antifaschist:innen“ (BdA) wendet sich die VVN-BdA konsequent gegen sämtliche Erscheinungsformen von Faschismus, Rechtsextremismus und völkischem Nationalismus, gegen zunehmenden Rassismus, Antisemitismus und Herrenmenschenideologien. Mit allen hiervon Betroffenen sind wir solidarisch. Ohne Ausnahme. Auch in Freiburg.
Wir treffen uns regelmäßig im Haus des Engagements in Freiburg, Rehlingstraße 11 (Hinterhaus), am 4. Montag des jeweiligen Monats, von 19 bis 21 Uhr (Kontakt: vvn-bda.freiburg@gmx.de)
Die nächsten Termine:
26. Juni, Thema: „Die Freiburger rechte Szene“ oder „Rechte Strategien am Beispiel der IB bzw. der neuen Rechten“, Vortrag von Stefan Brandstetter
24. Juli, Thema: Austausch mit Julia Wolrab, Leiterin des Dokumentationszentrum Nationalsozialismus FR (evt. mit Baustellen-Rundgang
25. September, Thema: Antifaschistische Kommunalpolitik – Vorschläge für die Gemeinderatswahl 2024 und für eine Anti-AfD-Kampagne
Nach drei Jahren Pandemie fand am 9. Mai erstmals wieder die traditionelle Befreiungsfeier der VVN-BdA Kreisvereinigung Karlsruhe im Verdi-Haus statt. Über 50 Besucherinnen und Besucher folgten der Einladung und machten die Veranstaltung zu einem großen Erfolg. In der Begrüßung wurde gleich zu Beginn klargestellt: „Wir wollen heute den Tag der Befreiung feiern! Und wir haben uns bewusst dazu entschlossen, diesen Tag feierlich zu begehen, trotz, oder gerade weil wir in stürmischen Zeiten leben.“ Der feierliche Charakter der Veranstaltung wurde durch Unterstützung von Freundinnen und Freunden der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba unterstrichen, die eine Cocktailbar einrichteten und zum Verweilen einluden.
Der Abend wartete mit einem politischen Kulturprogramm auf, das durchweg auf positive Resonanz stieß. Der Mannheimer Liedermacher Bernd Köhler spielte gemeinsam mit dem Geiger Joachim Romeis und der Schauspielerin Bettina Franke ihr aktuelles Programm „Nie wieder 33“ mit Liedern und Texten von Bert Brecht, Hanns Eisler, Klaus Mann, Rose Ausländer, Erich Weinert, Theodor Kramer, Esther Bejarano u.a. sowie aktuellen eigenen Songs. Dabei präsentierte das Trio eine gelungene Mischung aus Konzert und Lesung. Gelesen wurden historische und aktuelle Texte, die jeweils politisch eingeordnet und auf die Gegenwart bezogen wurden. So wurde u.a. scharfe Kritik an der Kulturpolitik der AfD geübt, die in der Tradition der Bücherverbrennung stehe, und angemahnt, dass der Faschismus nur gemeinsam in einer Einheitsfront verhindert werden könne. Erich Kästner zitierend endete das Programm mit den Worten: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen.“
Eine politische Analyse der geschichtlichen Zusammenhänge und der Bezüge zur Gegenwart durfte an diesem bedeutsamen Datum natürlich nicht fehlen. In angemessener Kürze, aber mit klaren Worten, zeichnete Kreissprecher Jens Kany die historische Entwicklung vom 8. Mai 1945 bis heute nach. Die von Olaf Scholz 2022 ausgerufene „Zeitenwende“ sei die bruchlose Fortsetzung der Restaurations- und Revanchepolitik des Kalten Krieges. Sie bedeute unmittelbar eine Abkehr vom Grundsatz ‚Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!’, d.h. eine Revision der Ergebnisse des 2. Weltkrieges. Die Rede schloss mit den Worten: „Gegen diese Verdrehung der Geschichte müssen wir uns wehren! Auch deshalb sagen wir: Der 8. Mai muss Feiertag werden!“
Redebetrag der VVN-BdA auf der 8. Mai Kundgebung in Tübingen
30. November 2022 – den Tag hat niemand auf dem Schirm. Aber er ist als denkwürdig in die Geschichte des deutschen Parlamentarismus eingegangen. Zum ersten Mal hat der Bundestag eine Frage durch einen Beschluss zu entscheiden versucht, die in der Geschichtswissenschaft nach wie kontrovers diskutiert wird. In einer Resolution erklärte er den so genannten „Holodomor“ zu einem Akt des Völkermords. Mehrmals waren zuvor Anträge mit eben diesem Ziel im Petitionsausschuss gescheitert, und auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages sprachen sich mehrfach gegen die Erklärung des „Holodomor“ zum Völkermord aus.
Worum geht es und was hat diesen Sinneswandel bewirkt?
1932/33 gab es in der Sowjetunion eine furchtbare Hungersnot. Die wurde durch planvolle Entscheidungen der sowjetischen Führung wenn nicht verursacht, so doch erheblich verschärft. Priorität hatte die Industrialisierung, und diesem Ziel wurde namentlich die Landbevölkerung geopfert – in Westeuropa war vom 17. bis 19. Jahrhundert die Industrialisierung durch Ausraubung der Kolonien (die Sowjetunion hatte keine), durch Sklavenhandel und ebenfalls durch Ausplünderung der Bauernschaft finanziert worden (was die damalige Hungerkatastrophe in der Sowjetunion nicht weniger furchtbar macht). In keiner Sowjetrepublik starben während der Hungersnot so viele Menschen wie in der Ukraine – es waren Millionen; aber in Kasachstan war der Prozentsatz der Hungertoten an der Gesamtbevölkerung am höchsten.
Und warum jetzt der Sinneswandel im Bundestag, und zudem genau bei den Parteien, deren Vertreter*innen zuvor im Petitionsausschuss gegen die Anerkennung des „Holodomor“ als Völkermord gestimmt hatten? Die Antwort ist kurz: Der Ukraine-Krieg hat ihn bewirkt, und es hätte dazu wahrscheinlich nicht einmal des Drucks der ukrainischen Führung und ihres damaligen Vertreters in Deutschland, Melnyk, bedurft – den es tatsächlich gab.
„Für die Ukraine ist der Holodomor ein zutiefst traumatisches, grausames und leidvolles Kapitel der eigenen Geschichte,“ heißt es in der Erklärung des Bundestags. Und weiter: „Der Holodomor prägt das nationale Bewusstsein dieses großen, europäischen Landes, das sich von der sowjetischen Vergangenheit gelöst hat. Die Ukraine hat sich in den letzten Jahren auf den Weg in die Europäische Union gemacht und im Juni 2022 den Kandidatenstatus erhalten.“ Ach so – es geht anscheinend um den EU-Beitritt der Ukraine! Was hat der aber mit der Bewertung des „Holodomor“ zu tun? Weiter im Text: „Der Holodomor ist Teil unserer gemeinsamen Geschichte als Europäerinnen und Europäer.“ Das soll wohl heißen: Die Ukraine gehört jetzt zu Europa, „die“ Russen, die das Verbrechen begingen, aber nicht (mehr). „Asiatische Despotie“ gegen hehre europäische Werte! „Er [erg.: der „Holodomor“] reiht sich ein in die Liste menschenverachtender Verbrechen totalitärer Systeme, in deren Zuge vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa Millionen Menschenleben ausgelöscht wurden.“ Dieser Satz verdient besondere Aufmerksamkeit: Er stellt die Singularität des Holocaust infrage. Da wird dieses Kapitel Geschichtspolitik besonders brisant. Und das können wir auf gar keinen Fall akzeptieren! – Übrigens: Der ähnliche Klange der Begriffe „Holocaust“ und „Holodomor“ ist zufällig, aber Geschichtsrevisionisten durchaus willkommen!
Im weiteren Verlauf geht es dann um unsere „Verantwortung, das Wissen um dieses Menschheitsverbrechen zu verbreiten“, „die Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit für die Thematik des Holodomor“. Und dann kommen die Autoren*innen auf den „völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine“ und wenden sich gegen „Großmachtstreben und Unterdrückung“, natürlich seitens Russlands.
Und schließlich fordert der Bundestag, nicht nur „jeglichen Versuchen, einseitige russische historische Narrative zu lancieren, weiterhin entschieden entgegenzuwirken“, sondern auch, „historische Erfahrungen [erg.: in Osteuropa] wahrzunehmen und blinde Flecken in der deutschen Perspektive auf unsere gemeinsame, europäische Geschichte zu erhellen“ – in Osteuropa gibt es schon lange Bestrebungen, die in Westeuropa vorherrschende Fokussierung der Erinnerungskultur auf den Faschismus und seine Verbrechen zu bekämpfen, ihr ein anderes Narrativ entgegenzusetzen – und dann schließlich: „4. die Ukraine als Opfer des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands und der imperialistischen Politik Wladimir Putins im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel weiterhin politisch, finanziell, humanitär und militärisch zu unterstützen.“ Da haben wir den wahren Grund für die Bundestagsresolution gefunden! Ideologische Propaganda im Rahmen der Kriegsunterstützung, und deshalb dieser massive Eingriff in die wissenschaftliche Forschung und Debatte!
Noch kurz zur Vorgeschichte der Resolution: 2000 verabschiedete eine Konferenz in Stockholm Grundsätze zur Holocaust Education. In der Wissenschaft wurden sie auch schon einmal als Entréebillet für die Aufnahme von Staaten aus Ost- und Südosteuropa in die EU bezeichnet. Als diese Staaten dann ab 2004 tatsächlich in die EU aufgenommen wurden, begannen sie, in deren Gremien (Parlament, Kommission, Rat) ein neues Masternarrativ durchzusetzen, mit zunehmendem Erfolg: Die Zurückdrängung der Erinnerung an den Faschismus und seine Verbrechen, dessen Gleichsetzung mit den Verbrechen des Stalinismus, die Relativierung der faschistischen Verbrechen und die Rehabilitierung osteuropäischer, namentlich baltischer und ukrainischer, Nazikollaborateure. So konnten sie etliche Beschlüsse und Erklärungen des EU-Parlaments durchsetzen, u.a. dass der 23. August, der Jahrestag des Nichtangriffsvertrages zwischen Nazideutschland und der UdSSR, zum offiziellen Gedenktag der EU erklärt wurde; der Tag symbolisiere den Beginn des Zweiten Weltkriegs und die sich daraus ergebende jahrzehntelange Vorherrschaft der UdSSR in Ost- und Südosteuropa. Von den Kriegsplanungen Hitlerdeutschlands ist da nie die Rede, und teilweise werden sie sogar geleugnet. Schließlich steht in Brüssel inzwischen ein viele Millionen teures Museum mit 7.000 m² Ausstellungsfläche, das dieses osteuropäische Masternarrativ verbreitet. Auch in Deutschland gilt der 23. August als offizieller Gedenktag, seit einem Bundestagsbeschluss von 2013. Nur begeht ihn niemand – glücklicherweise. Dabei soll es bleiben! Alles andere wäre Geschichtsrevisionismus.
Ganz aktuell: In Tübingen wird darüber diskutiert, aus Solidarität mit der Ukraine eine Partnerschaft mit einer Stadt in der Ukraine einzugehen, wie das „Schwäbische Tagblatt“ berichtete. Eine Stadt kam nicht infrage, weil ihr Bürgermeister einer faschistischen Partei angehört. Jetzt ist Krementschuk im Südwesten des Landes im Gespräch. Als Erstes habe ich versucht, über Google herauszufinden, ob dort ein Denkmal für den heutigen Nationalhelden Bandera steht, einen Nazikollaborateur, dessen Anhänger aktiv am Holocaust beteiligt waren, oder ob eine Straße oder ein Platz nach ihm benannt ist. Das sind die Probleme, wenn man sich heute mit der Ukraine einlässt.
Bleibt wachsam! Das ist die Mahnung des 8. Mai, auch und gerade jetzt in diesen kriegerischen Zeiten! Habt den Mut, Euch Eures Verstandes zu bedienen, und schweigt nicht zu militaristischen, geschichtsrevisionistischen und faschistischen Tendenzen!
Die VVN-BdA Feiburg, das Bündnis Freiburg gegen Rechts und die Gruppe Gemeinsam Kämpfen riefen zur Kundgebung zum 8. Mai – und etwa 200 Menschen fanden sich am Antifaschistischen Mahmal beim künftigen NS-Dokumentationszentrum ein – trotz strömenden Regens. Der Schwerpunkt der kulturellen Beiträgen von Schauspielerin Natalia Herrera und Liedemacher Wolfgang Gerbig (Woger) lag auf dem Erinnern an die Verbrechen des Naziregimes, während sich die drei Redebeiträge vor allem mit dem heutigen antifaschistischen Auftrag und Verantwortung beschäftigten. Beim anschließenden Stadtrundgang mit VVN-Mitglied Rüdiger Binkle zu Orten des antifaschistischen Widerstands in Freiburg nahmen dann noch mehr als 50 interessierte Menschen teil – vor allem junge Leute.
Wir bedanken uns bei allen, die dabei wren und den Schwur von Buchenwald neu belebt haben.Unten abgedruckt, die Rede unserer Kameradin Erika Weisser.
Liebe Antifaschist:innen, liebe Freund:innen,
Am 8. Mai 1945 endete mit der militärischen Niederschlagung der Wehrmacht in Deutschland und Europa eine mörderische faschistische Gewaltherrschaft, die 12 Jahre gedauert und etwa 60 Millionen Menschen das Leben genommen hatte.
Für sie kam dieser Tag zu spät.
Für die aus verschiedenen Gründen Verfolgten und die Überlebenden in den Lagern aber, für die Zwangsarbeiter:innen und die Kriegsgefangenen, für die Deserteure und die Widerstandskämpfer:innen, die der eigens eingerichteten gnadenlosen Todesstrafen-Maschinerie noch nicht zum Opfer gefallen waren, für die Menschen in den von den Nazis mit Krieg überzogenen Ländern und die Geflüchteten, die nach gefahrvollen Odysseen nicht überall Aufnahme fanden, war der 8. Mai ein Tag der Befreiung. Ein Tag, der Visionen eröffnete für ein anderes, von Kriegen und Unterdrückung freies Zusammenleben der Menschen auf der Welt.
Das ist er für uns noch heute. Und er sollte längst ein gesetzlicher Feiertag sein, so wie die Auschwitz-Überlebende und spätere VVN-BdA-Ehrenvorsitzende Esther Bejarano dies 2020, zwei Jahre vor ihrem Tod, in der von ihr initiierten Kampagne gefordert hatte. Dabei sollte – und soll – der 8. Mai nicht einfach ein Feiertag mehr im Jahreslauf sein – und sicher auch kein Nationalfeiertag mit militärischen Paraden oder Sonntagsansprachen, in denen Politiker:innen unsere „vorbildliche Vergangenheitsaufarbeitung“ rühmen. Oder in denen von der durch Extremisten bedrohten „fragilen Demokratie“ die Rede ist. Oder gar vom angeblichen „Geschenk der Versöhnung“, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht erst vor drei Wochen zum 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto einfach behauptete.
Als ob es angesichts derartiger Verbrechen gegen die Menschheit jemals Versöhnung geben könnte!
Der 8. Mai als Feiertag sollte – und soll – vielmehr ein Anlass sein, der daran gemahnt, alles dazu zu tun, dass ein derart mörderisches Regime keine Chance bekommt, jemals wieder die Macht zu erlangen oder auch nur an der politischen Macht beteiligt zu werden. Ein Anlass also, der außer über das historische Gedenken hinaus zu antifaschistischem Aktivwerden und Handeln in der Gegenwart anregen und aufrufen muss. Denn dass ein Feiertag allein einen neuen Faschismus nicht verhindert, zeigt sich in Italien, wo der 25. April als Tag der Befreiung vom Faschismus zwar begangen wird, wo mit Giorgia Meloni dennoch eine offen als Mussolini-Anhängerin auftretende Neofaschistin Ministerpräsidentin wurde.
Dass es in der Bundesrepublik Deutschland einen solchen gesetzlichen Antifaschismus-Tag bisher nicht gibt, dass es 40 Jahre dauern sollte, bis ein Bundespräsident, Steinmeiers Vorgänger Richard von Weizsäcker es wagte, überhaupt von Befreiung zu sprechen, liegt daran, dass das Ende des Hitler Faschismus in Deutschland von vielen als Niederlage definiert wurde – und 38 Jahre nach Weizsäckers Rede immer noch wird: Völkische, nationalistische und rassistische Herrenmenschenideologien, die in der Mitte der Gesellschaft entstanden und in der NSDAP ihren politischen Ausdruck fanden, hörten damals nicht auf und wurden in den folgenden Jahren auch nicht aus den Köpfen verbannt. Und sie sind heute wieder so virulent und so weit verbreitet, dass sie erneut zur realen Gefahr für die ganze Gesellschaft werden. Zumal die politischen Voraussetzungen für die Naziherrschaft nie wirklich überwunden wurden.
Heute ist es hauptsächlich die AfD, die im Verbund mit anderen rechten und faschistischen Gruppierungen den durch Krisen, Sozialabbau, Abstiegsängste, Kriegstreiberei und der daraus abgeleiteten Hetze verunsicherten und nach Orientierung suchenden Bundesbürgern suggerieren, dass eine Regierung der starken Hand, eine starke Volksgemeinschaft unter Ausgrenzung angeblich kulturfremder und damit nicht integrierbarer Menschen die Lösung aller Probleme sei – in einem Deutschland, dem „in einer neuen europäischen Wirtschaftsordnung vom Atlantik bis zum Ural eine führende Rolle“ zukommen müsse. So zumindest formuliert es die AfD in ihrer so genannten „Friedensinitiative“ zum russischen Krieg in der Ukraine, in der sie u.a. beklagt, dass die dortigen Kriegslasten „dem unbeteiligten deutschen Volk aufgezwungen werden“.
Derlei Parolen gab es vor 95 Jahren schon einmal. Und sie hätten spätestens damals, 1928, mit einer starken und sich einigen antifaschistischen Bewegung zurückgedrängt werden müssen. Erich Kästner, dessen Schriften unter denen waren, die der NS-Propagandaminister Goebbels bei der von ihm selbst organisierten Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin ins Feuer warf, sagte nach dem Ende des Faschismus: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. … Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben“.
Doch die linken und antifaschistischen Kräfte fanden nicht zusammen, sondern blieben gespalten, zerstritten sich und zersplitterten zusehends. Mit dem Ergebnis, dass die bei den Reichstagswahlen in jenem Jahr mit 2,6 Prozent der Stimmen einigermaßen geschwächten Faschisten – gegenüber mehr als 40 Prozent von KPD und SPD – in den folgenden fünf Jahren ihren Weg zur absoluten politischen Macht im Land erfolgreich fortsetzen konnte. Durch Demagogie, Hetze und Terror und gestützt von Kapitalinteressen und wohlwollenden Politikern der bürgerlichen Parteien gelang es der NSDAP, bis zur nächsten Reichstagswahl 1930 ihre Wählerstimmen auf 18,3 Prozent zu erhöhen, im Juli 1932 dann auf 37,4 Prozent.
Was dann geschah, wissen wir weniger aus Geschichtsbüchern als aus den Erzählungen und Analysen eben jener eingangs erwähnten Überlebenden. An sie und alle, die verfolgt, geschunden und ermordet wurden und den 8. Mai 1945 nicht mehr erlebten, zu erinnern ist einer der Gründe, dass wir uns heute hier versammeln.
Im Mai 1928 war auch Joseph Goebbels Reichstagsabgeordneter geworden. Zuvor hatte er in der Berliner Parteizeitung „Der Angriff“ geschrieben: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir!
Man hätte also wissen können, was da droht. Und man weiß es vor allem heute. Von der offiziellen Politik und deren Parteien sowie den Gerichten wird indessen nicht entschlossen genug gegen Faschisten vorgegangen, u.a. mit dem Argument, dass eine bei demokratischen Wahlen zugelassene Partei schließlich demokratisch sei. Dass sich die heutigen Wölfe nur einen demokratischen Schafspelz umgelegt und Kreide gefressen haben, wird dabei schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Dabei lassen die immer dreister auftreten neuen Wölfe ihre wahren Ziele gelegentlich auch aufblitzen: Als die AfD 2017, also knapp 90 Jahre nach Goebbels unverblümter Drohung, mit 12,6 Prozent oder fast 6 Millionen Wählerstimmen zum ersten Mal in den Bundestag einzog, kündigte ihr künftiger Fraktionsvorsitzender Gauland an: „Wir werden sie jagen“.
Zwar ging ihr Anteil 2021 auf 10,3 Prozent zurück, doch waren es immer noch 5 Millionen Menschen, die diese Nazi-Partei wählte, die immer mehr auf den Kurs von Björn Höcke geht, der nach einem rechtskräftigen Gerichtsurteil sogar Faschist genannt werden darf. Wer sich über diesen Kurs und die Ziele der AfD informieren will, die Umfragen zufolge wieder mit Zugewinnen und in manchen Bundesländern bei den kommenden Landtagswahlen gar damit rechnen kann, stärksten Partei zu werden, der/die nehme sich seine Rede vor, die er am 3. Oktober 2022 in Gera hielt – vor 10 000 Zuhörern! Sie ist auch auf der Homepage der Bundes-VVN-BdA dokumentiert.
Für heute hat er angekündigt, bei der Montagsdemo in Weimar aufzutreten, also nicht weit von der Gedenkstätte des KZ Buchenwald – mit einer Rede zum 8. Mai.
Ihr seht also: Es gilt nicht nur, Faschisten bei Wahlen zurück- und aus den Parlamenten hinauszudrängen. Sondern sie überall zu entlarven und ihnen überall Boden zu entziehen. Das geht jedoch nur mit einer Antifaschistische Bewegung, die sich einig ist und Trennendes überwindet. Auch das muss eine Lehre aus der Geschichte sein.
Der gemeinsame Feind steht rechts, wie der Freiburger Reichskanzler Joseph Wirth schon 1922 sagte. Und es gibt keine übereinstimmenden Positionen – auch wenn das, gerade in der aktuellen Auseinandersetzung um Krieg und Frieden, der einen oder dem anderen manchmal so erscheinen mag. Eingkeit kann es nur gegen Faschisten geben, Faschismus muss überall bekämpft werden, wo er uns begegnet. Denn, wie der Kommunist, Widerstandskämpfer und VVN-Aktivist Peter Gingold 2009 in seiner Lebensgeschichte uns alle mahnte:
„1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle künftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.
Seien wir uns einig: Alle zusammen gegen den Faschismus!
Am 30. April 2023 fand die antifaschistische Demonstration „Verbindungen kappen – reaktionäre Männerbünde zerschlagen!“ statt, die gegen Nationalismus, rechte Umtriebe und den Sexismus der Studentenverbindungen protestierte. Wir als VVN-BdA Heidelberg hielten bei der Zwischenkundgebung auf dem Universitätsplatz einen Redebeitrag, den wir hier veröffentlichen:
wir freuen uns, dass wir als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist*innen heute hier eine Rede halten dürfen. Wir möchten dabei den Blick auf die braune Geschichte der Heidelberger Studentenverbindungen und der Universität werfen.
Gerade die Korporationen hatten schon lange vor der Machtübergabe an die Nazis eine wichtige Rolle in der völkischen und faschistischen Bewegung gespielt und waren federführend im NS-Studentenbund der Weimarer Republik. In Heidelberg waren viele Verbindungsstudenten Mitglied in der NSDAP und in der SA, der Nazi-Miliz, die zu Beginn der 1930er-Jahre regelmäßig linke Veranstaltungen überfiel und die Arbeiter*innenbewegung terrorisierte. Farbentragende Korporierte im Braunhemd waren auch schon vor 1933 kein seltener Anblick in der Altstadt.
Die enge Verquickung von Studentenverbindungen und dem NS-Apparat setzte sich auch nach dem Machtantritt der NSDAP fort. Gerade hier auf dem Universitätsplatz wurde das im Mai 1933 gleich zweimal deutlich: Als die Nazis am 1. Mai 1933 den Kampftag der Arbeiter*innen als „Tag der deutschen Arbeit“ mit einem widerlichen faschistischen Spektakel vereinnahmten, hatten die Verbindungsstudenten im Vollwichs eine zentrale Position im Festzug und hier auf der großen Kundgebung auf dem Uniplatz.
Vor allem aber als die Nazis die Bücherverbrennung inszenierten, hatten einige Korporierte Schlüsselfunktionen bei der Vorbereitung und Durchführung inne, und eifrig durchkämmten die „Bundesbrüder“ zusammen mit anderen Nazi-Studierenden die Buchhandlungen und Bibliotheken nach Büchern von sozialistischen, liberalen und jüdischen Autor*innen. Hier auf dem Uniplatz wurde ein Scheiterhaufen aus diesen als „undeutsch“ gebrandmarkten Schriften errichtet.
Am 17. Mai 1933, dem Tag der Heidelberger Bücherverbrennung, formierten sich die Verbindungsstudenten, viele von ihnen im Braunhemd der SA oder in den Uniformen anderer völkischer Milizen, und reihten sich in den abendlichen Nazi-Aufmarsch ein, der mit Fackeln durch die Altstadt hierherzog. Beim Autodafé vor der Neuen Uni bekamen sie einen Ehrenplatz. Gustav Adolf Scheel, Verbindungsstudent, Mitglied der NSDAP und SA und Führer der „Deutschen Studentenschaft Heidelberg“, hielt die einleitenden Worte, gefolgt vom gemeinsamen Absingen des bekannten verbindungsstudentischen Lieds „Burschen, heraus!“ Die Hauptrede hielt Dr. Theodor Lingens, Alter Herr der Burschenschaft Frankonia und langjährig aktiver Nazi. Abschließend wurden das Horst-Wessel-Lied und das Deutschland-Lied gesungen.
Damit war die aktive Rolle der Studentenverbindungen im NS-Staat keineswegs beendet, und viele Korporierte durchlebten eine steile Karriere und hatten führende Funktionen inne.
Bis heute haben die Verbindungen ihre offene Unterstützung der Nazis und ihre aktive Beteiligung an den faschistischen Menschheitsverbrechen nicht kritisch aufgearbeitet, sondern verschweigen und vertuschen sie, und vor allem: Weiterhin sind sie ein Hort braunen Gedankenguts und rechter Ideologie. Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Sexismus sowie Militarismus und Nationalismus gehören – je nach Verbindung – zum guten Ton oder werden zumindest geduldet. Bis heute betrachten die Verbindungen ihre reaktionären Rituale und rechtes Liedgut als „Traditionspflege“ und haben beispielsweise das Deutschlandlied in allen drei Strophen weiterhin in ihren Liederbüchern. Das zeigt, wes Geistes Kind sie sind. Immer wieder versuchen sie, ihre Farben öffentlich zur Schau zu stellen, und bis in die späten 1990er-Jahre grölten sie in der Nacht zum 1. Mai regelmäßig rechte Gesänge bei einem Fackelmarsch zum Heidelberger Marktplatz. Diesen braunen Umtrieben müssen wir als Antifaschist*innen entschlossen entgegentreten und verhindern, dass sich der rechte Spuk wieder breitmachen kann.
Unser Dank gilt deshalb allen Antifaschist*innen, die heute hier ein klares Zeichen gegen Studentenverbindungen setzen und deren öffentliche Auftritte zurückdrängen – heute Nacht und das ganze Jahr hindurch.
In den kommenden Wochen organisiert die VVN-BdA Kreisvereinigung Heidelberg zusammen mit befreundeten Organisationen viele interessante Veranstaltungen. Außerdem werden wir uns an verschiedenen weiteren Aktionen beteiligen, zum Beispiel mit einem Redebeitrag bei der Demonstration „Verbindungen kappen – Reaktionäre Männerbünde zerschlagen!“ am 30. April 2023 und mit einem Infostand bei der DGB-Kundgebung am 1. Mai auf dem Heidelberger Marktplatz.
– Samstag, 6.5.2023, 12 Uhr: Kundgebung und Feier zum Tag der Befreiung (Mannheim)
Mit Text- und Musikbeiträgen von Bernd Köhler, Bettina Franke, Einhart Klucke, Monika-Margret Steger, Joachim Romeis und Max Wädele
Unter fachkundiger Führung durch Hans-Peter Goergens und Jenny Haas, beide langjährig antifaschistisch aktiv, besichtigen wir das ehemalige deutsche Konzentrationslager im Elsass mit dem Europäischen Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers. Das CERD ist eine hochrangige französische Gedenk- und Bildungsstätte sowie europäischer Demokratie- und Verständigungsort.
TN-Beitrag € 15,00, erm. € 10,00 (Busfahrt ab Freiburg, Eintritt und Führung) nur mit Anmeldung über dirk-vvn@gmx.de
Veranstalterinnen: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Freiburg (VVN-BdA), Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Kreis Freiburg (GEW) Unterstützung: Centre Culturel Français Freiburg (CCFF), DGB Stadtverband Freiburg, ver.di-Ortsverein Freiburg
Am 8. Mai 1945 endete mit der militärischen Niederschlagung der Wehrmacht in Deutschland und Europa eine mörderische faschistische Gewaltherrschaft, die 12 Jahre gedauert und mehr als 50 Millionen Menschen das Leben genommen hatte. Für sie kam dieser Tag zu spät. Für die Verfolgten und die Überlebenden in den Lagern aber, für die Zwangsarbeiter:innen und die Kriegsgefangenen, für die Deserteure und die Widerstandskämpfer:innen, die der dafür eingerichteten gnadenlosen Todesstrafen- Maschinerie noch nicht zum Opfer gefallen waren, für die Menschen in den von den Nazis mit Krieg überzogenen Ländern und die Geflüchteten, die nicht überall Aufnahme fanden, war der 8. Mai Befreiungstag.
Das ist er für uns noch heute. Und er sollte längst ein gesetzlicher Feiertag sein. Das dies bisher nicht so ist, dass es 40 Jahre dauern sollte, bis ein Bundespräsident wagte, überhaupt von Befreiung zu sprechen, liegt sicher auch daran, dass das Ende des Hitler-Faschismus in Deutschland von vielen als Niederlage definiert wurde – und wird: Völkische, nationalistische und rassistische Herrenmenschenideologien, die in der Mitte der Gesellschaft entstanden und in der NSDAP ihren politischen Ausdruck fanden, hörten damals nicht auf und wurden in den folgenden Jahren auch nicht aus den Köpfen verbannt. Und sie sind heute wieder so weit verbreitet, dass sie zur realen Gefahr für die ganze Gesellschaft werden. Zumal die politischen Voraussetzungen für die Naziherrschaft nie wirklich überwunden wurden.
Wir wollen den 8. Mai 2023 zum Anlass nehmen, der Ermordeten zu gedenken und unseren Blick auf die Aufgaben der Gegenwart zu richten: Wir laden ein zur Kundgebung am Montag, 8. Mai, 17 Uhr am Antifaschistischen Mahnmal am Rotteckring, beim künftigen NS-Dokumentationszentrum.
Mit dabei sind die Freiburger Schauspielerin Natalia Herrera mit Texten der verfolgten und verfemten Dichterinnen Nelly Sachs, Else Lasker-Schüler und Mascha Kaléko sowie der Markgräfler Songpoet Woger, der eigene Lieder über antifaschistischen Widerstand und Verfolgung mitbringt.
Im Anschluss (18.15 Uhr am Amtsgericht), gibt es einen Stadtrundgang zu Orten des Widerstands in Freiburg – mit Rüdiger Binkle.
Antifaschistische Kreisrundfahrt zu den Stätten der Nazi-Verbrechen im Rems-Murr-Kreis
Sonntag, den 7. Mai 2023 – 11:00 Uhr bis ca. 16:00 Uhr
Start und Ende am Bahnhof Waiblingen (Bahnhofsvorplatz)
Auf unserer antifaschistischen Zeitreise sind folgende Stationen vorgesehen:
Station Diakonie (Anstalt) Stetten: Euthanasie: Ermordung von Kranken und Behinderten
Rudersberg (Friedhof): Frauenlager und Zwangsarbeit
Henkerssteinbruch: Hinrichtungsstätte des KZs Welzheim
Welzheim (Hermann-Schlotterbeck-Platz, Friedhof): Konzentrationslager und Zwangsarbeit Mit Unterstützung des Historischen Vereins Welzheim
Beinsteiner Tor: Widerstandsaktion
Diese Kreisrundfahrt soll aufzeigen, welche Schlussfolgerungen aus der Geschichte des Faschismus für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen sind. Jede Teilnehmerin/jeder Teilnehmer erhält eine Begleitbroschüre zu dieser Kreisrundfahrt. Nach Beendigung der Fahrt wird für Interessierte eine Auswertung der antifaschistischen Zeitreise im Info- und Kulturladen Schlotterbeck in Waiblingen angeboten.
Für die Teilnahme ist eine Anmeldung bis zum 4. Mai erforderlich! Anmeldung bei: VVN-BdA -Kreisvereinigung Rems-Murr via E-Mail an walterburkhardt@t-online.de oder reinhard.neudorfer@die-linke-rems-murr.de
Wir erheben keinen Teilnehmerbeitrag, freuen uns aber über eine kleine Spende für unsere politische Arbeit. Während der Kreisrundfahrt besteht die Möglichkeit, im Bus Getränke und Snacks zu kaufen.
Unterstützt durch die Rosa Luxemburg Stiftung und den DGB Kreisverband Rems-Murr
Ein Rundgang in Erinnerung an politisch Verfolgte und an Menschen, die Widerstand gegen Faschismus und Krieg geleistet haben.
Unter diesem Motto lud die VVN-BdA Tübingen zusammen mit der Stolpersteininitiative am 11. März 2023 zu einem Rundgang ein. Mehr als 60 Interessierte waren gekommen um die Geschichten der Mutigen zu hören, die 1933 und später Widerstand geleistet haben und die Erinnerungen an das Schicksal der Verfolgten in der Zeit des NS-Faschismus.
Eine gemeinsame Arbeitsgruppe hatte den Rundgang vorbereitet. An 9 Stationen informierten deren Mitglieder über die lokalen Ereignisse vor 90 Jahren, von der Machtübertragung bis zur Etablierung der faschistischen Diktatur und Terrorherrschaft. Im Mittelpunkt standen aber nicht, wie so oft, die Täter, sondern Menschen, die unter großer Gefahr Widerstand leisteten. Dabei wurde deutlich, dass insbesondere in der Tübinger Unterstadt, wo damals Arbeiter, Handwerker und Weingärtner wohnten, die NSDAP keine Unterstützung fand, während die Studenten, Akademiker und Beamten, die vorwiegend in der Oberstadt wohnten, dafür sorgten, dass Tübingen schon vor 1933 und erst recht danach als Hochburg des NS-Faschismus galt.
Der Rundgang startete am Rathaus, wo an die Gleichschaltung der kommunalen Demokratie, an die Auflösung des Gemeinderats, an die Verfolgung des kommunistischen Ratsmitglieds Hugo Benzinger und die Flucht des jüdischen Gemeinderats Simon Hayum erinnert wurde.
Von der ehemaligen Gestapo-Zentrale aus wurde die politische Überwachung der Bevölkerung organisiert und der Terror gegen alle Widerständigen ausgeführt. Hier wurden die Verhafteten zuerst verhört, bevor sie in Haft und in Konzentrationslager verschleppt wurden.
An der Stiftskirche wirkte Pfarrer Richard Gölz, der zusammen mit seiner Frau Hilde Jüdinnen und Juden im Pfarrhaus versteckte. Nach einer Denunziation wurde er im Dezember 1944 in der Kirche verhaftet und bis zur Befreiung im KZ Welzheim inhaftiert. Beide werden heute in Yad Vaschem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.
Am ehemaligen Gasthaus „Löwen“, dem Versammlungsort der politischen Arbeiterbewegung und Zentrum der Arbeitersport- und Kulturvereine stand der Widerstand der Arbeiterinnen und Arbeiter im Mittelpunkt. Noch im Februar 1933 versuchten SPD und KPD mit gemeinsamen Kundgebungen die Nazi-Diktatur zu verhindern. Das Schicksal von Otto Koch stand beispielhaft für den Widerstand von Gewerkschaftern.
In den engen Gassen der Unterstadt hielt der Rundgang vor mehreren Häusern an. Hier lebten viele Kommunisten und Gewerkschafter, so der Landtagsabgeordneter Ferdinand Zeeb, der schon im März 1933 in das KZ auf dem Heuberg verschleppt wurde. Aus Tübingen wurden insgesamt 27 Antifaschisten dort inhaftiert und gequält. Christian Holder erinnerte mit Gedichten seines Vaters und Liedern an seinen Großvater den kommunistischen Milchhändler gleichen Namens, der sich wie viele seiner Nachbarn nie anpassten. Manche von ihnen wurden schon wegen des Singens eines Arbeiterliedes denunziert und verhaftet. Eine Widerstandsgruppe, der zeitweise wohl bis zu 60 Menschen angehörten, traf sich einige Jahre lang unerkannt in einem kleinen Haus. Sie hielten Kontakt zu anderen Gruppen und verteilten Druckschriften, nicht nur in Tübingen, auch in anderen Orten der Region. Wenig ist bisher über diese Antifaschisten und ihr Schicksal bekannt, wir wollen weiter recherchieren.
Die nächste Station war an der ehemaligen Frauenarbeitsschule. Dort wurde die Lehrerin Julie Majer entlassen und erhielt Berufsverbot, weil sie einen verfolgten Kommunisten versteckt hatte. Zusammen mit ihrer Nichte Agnes Rösler, die später inhaftiert und zu KZ-Haft in Ravensbrück verurteilt wurde, war sie in der Roten Hilfe aktiv.
Weiter ging es zur Neuen Aula der Universität, an der Cäsar von Hofacker Jura studiert hatte. Später fand er Kontakt zu Stauffenberg und der Gruppe des 20.Juli und der französischen Résistance und wurde wegen seiner Beteiligung an der Offiziersopposition von Freisler zum Tode verurteilt und am 20.Dezember1944 hingerichtet.
Der Rundgang endete im Stadtfriedhof am Gräberfeld X, auf dem die Überreste der Leichen, die der Anatomie überlassen wurden, bestattet sind – hunderte von Menschen, die im Faschismus ermordet wurden: Widerstandskämpfer und politisch Verfolgte, wie z.B. Angehörige der Mannheimer Lechleitner-Gruppe, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Nach dem Ende des Faschismus setzte lange Zeit insbesondere die VVN-BdA für eine würdige Gestaltung des Gräberfelds ein. Die Erforschung der Geschichte der Anatomie wurde in den letzten Jahren endlich auch von der Universität verstärkt aufgenommen und weitergeführt. Mit dem Gedenken an die hier bestatteten Opfer des Faschismus endete der Rundgang.
Die besuchten Gedenkorte und das Schicksal der damit verbundenen Menschen konnten in diesem Text jeweils nur kurz dargestellt werden. Die Aktiven der Arbeitsgruppe werden die bereits vorliegenden Informationen in einer Broschüre zusammentragen und mit weiteren Recherchen zum antifaschistischen Widerstand in Tübingen ergänzen.