9. November: Gedenkveranstaltung in S-Bad Cannstatt

7. November 2016

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Wir laden alle ein zur Gedenkveranstaltung

am Mittwoch, den 09. November 2016 um 18:00 Uhr
am Platz der ehemaligen Synagoge in Cannstatt (am Wilhelmsplatz).

– Mit Reden von Heinz Hummler (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten),
dem Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart & Region (AABS)
und Musik von KünstlerInnen des Freien Chors Stuttgart.

 

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige
vor den Richtern der Völker steht.
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden
und ihren Angehörigen schuldig.“
Schwur der Überlebenden des KZ-Buchenwald

Am 9. November 1938 brannten in ganz Deutschland Synagogen, organisiert, vorbereitet und angestiftet von Partei, Regierung und Behörden des faschistischen Staates. Am nächsten Tag wurden jüdische Geschäfte geplündert, zehntausende jüdische Menschen gejagt, in KZs verschleppt, über 100 ermordet – Millionen sollten folgen…

Ernst Reichenberger – jüdisches Opfer aus Cannstatt 
Die Synagoge in Cannstatt wurde in dieser Nacht von der Feuerwehr angezündet. Zwei Tage später am 12. November wurde Dr. Ernst Reichenberger, der in der König-Karl- Straße 24 eine Zahnarztpraxis hatte, ins KZ Dachau verschleppt. Nach seiner Rückkehr im Dezember erhielt er den Bescheid über die am 12. November 1938 erlassene „Judenvermögensabgabe“. Damit ließ sich das Deutsche Reich von den jüdischen Opfern das als „Reichskristallnacht“
beschönigte Verbrechen bezahlen. Im Januar 1939 verlor er seine Approbation,
was seinen wirtschaftlichen Ruin bedeutete. 1943 wurde Ernst Reichenberger
nach Auschwitz deportiert, wo er umgebracht wurde. Die Deutsche Bank
überwies sein Restvermögen in Höhe von 11.247,73 Reichsmark an die
Oberfinanzkasse, der Oberfinanzpräsident von Württemberg stellte mit
deutscher Gründlichkeit die Flurgarderobe Reichenbergers mit einem Wert von
18.- Reichsmark sicher.
Die Pogromnacht war erst der Anfang
Nach der Pogromnacht wurden etliche Erlasse und weitere Gewaltmaßnahmen
gegen JüdInnen umgesetzt, so erließ Hermann Göring neben der „Judenvermögensabgabe“ auch die Verordnung „zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ sowie „- über den Einsatz des jüdischen Vermögens“. Das Geld wurde dringend benötigt, um das Aufrüstungsprogramm der Wehrmacht zu finanzieren. Nach den Erlassen finanzierten die
Großbanken die zu erwartende Milliarde Reichsmark vor, um die drohende Zahlungsunfähigkeit des Deutschen Reiches abzuwenden.
Die Erlasse stießen in großen Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung.
Mit Terror und dem Anheizen von Antisemitismus gelang es, die jüdische Bevölkerung immer stärker von der restlichen Bevölkerung zu isolieren und sie als Sündenböcke für wirtschaftliche Probleme hinzustellen.
Für die Vernichtung des Nazismus mit all seinen Wurzeln.
Im „Schwur von Buchenwald“ wird formuliert, dass der Nazismus mit allen
seinen Wurzeln vernichtet werden muss. So leitete selbst die CDU 1947
ihr „Ahlener Programm“ mit folgenden Worten ein: „Das kapitalistische
Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des
deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen
Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen.“ Es sind also
nicht nur die NSDAP und Adolf Hitler verantwortlich für die unglaublichen
Verbrechen, sondern vor allem Banken und Großindustrie. Das kapitalistische
Streben nach Profitmaximierung führte 1933 zur brutalen Zerschlagung der
Arbeiterbewegung und zur Vernichtung von allen, die nicht in ihr Weltbild
passten.
Es folgten der Überfall auf Polen am 1. September 1939 und am 22. Juni 1941
auf die Sowjetunion. Am Ende des gigantischen Raub- und Eroberungsfeldzuges
standen Auschwitz und 60 Millionen Tote.
Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg! – Oder doch?
Wenn wir den Schwur von Buchenwald ernst nehmen, so müssen wir erkennen,
dass unsere Gesellschaft sich immer weiter vom Ziel des Aufbaus „einer neuen
Welt der Freiheit und des Friedens“ entfernt.
Mit der AfD sitzt eine rechtspopulistische Partei in vielen Parlamenten, auch
im baden-württembergischen Landtag mit 15,1%. Sie ist für Nazis offen und
in der Lage, in größerem Umfang Menschenmengen zu mobilisieren. Vor allem
ihre Forderungen in der Flüchtlingsfrage werden von den Regierungsparteien
oftmals umgesetzt, somit ist ihr Einfluss auf die gesellschaftlichen Verhältnisse
größer als auf den ersten Blick erkennbar. In dem so erzeugten gesellschaftlichen
Klima sind rassistische Angriffe auf Flüchtlinge an der Tagesordnung.
Vielen ist unklar: Die Armut in Deutschland nimmt zu. So gelten in Stuttgart
14% aller Kinder als arm. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind für immer mehr
Menschen Realität, Wohnen ist für viele unbezahlbar. Dazu kommen soziale
Abstiegsängste der noch nicht direkt Betroffenen. Und wieder werden
Sündenböcke präsentiert. Flüchtlinge werden benutzt, um von den wahren
Ursachen abzulenken – keiner soll auf die Idee kommen, die schreiende
Ungerechtigkeit auf der Welt und schon gar nicht die Profitlogik des
Kapitalismus in Frage zu stellen.
Immer offener werden die Forderungen aus der Politik nach der Durchsetzung
weltweiter deutscher Wirtschaftsinteressen – auch mit militärischer Gewalt.
Die Bundeswehr soll logistisch, personell und ausrüstungstechnisch
dazu befähigt werden. Kriegsministerin Ursula von der Leyen fordert ein
Aufrüstungsprogramm in Höhe von 130 Mrd. Euro. Russland dient wie einst
die Sowjetunion als Feindbild. Schon jetzt befindet sich die Bundeswehr in
zahlreichen militärischen Einsätzen. In der beschlossenen „Konzeption Zivile
Verteidigung“ wird im „Krisenfall“ die Unterordnung ziviler unter militärische
Belange gefordert, die Bevölkerung soll an den Gedanken gewöhnt werden.
Wehret den Anfängen!
Natürlich ist die gesellschaftliche Situation 2016 in Deutschland eine andere als
1933. Doch es gibt Parallelen: Der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft, die
umfassende Krise des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems, die Präsentation
von außen- sowie innenpolitischen Feindbildern und Sündenböcken und
die Bereitschaft die Wirtschaftsinteressen militärisch durchzusetzen. Es ist
festzustellen, dass die politischen Strukturen autoritärer werden.
Wir müssen gemeinsam entschlossen dafür eintreten, dass die vorherrschenden
Krisen mit sozialen Antworten bekämpft werden, dann ist es möglich eine neue
Welt der Freiheit und des Friedens aufzubauen.
Deshalb werden wir jeglichem Antisemitismus entgegentreten und Rassisten
und Faschisten konsequent bekämpfen. Und wir wehren uns gegen
Prekarisierung und Sozialabbau, um rechten Ideologien den Nährboden zu
entziehen.
Wir solidarisieren uns mit Geflüchteten und Unterdrückten.
Wir wollen offene Grenzen und ein bedingungsloses Bleiberecht – es müssen
Fluchtursachen bekämpft werden, nicht Menschen.
Wir setzen uns ein gegen Abschottung, Aufrüstung und Krieg.
Wir stehen für ein solidarisches Miteinander!

Dieser Aufruf wird unterstützt von:
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart, Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart & Region (AABS), Arbeit Zukunft Stuttgart, Cannstatter gegen Stuttgart 21, DIE LINKE OV Bad Cannstatt,
DIE LINKE Stuttgart, DKP (Deutsche Kommunistische Partei) Stuttgart, Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba Regionalgruppe Stuttgart, Friedenstreff Stuttgart Nord, Grüne Jugend Stuttgart, Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V., Linksjugend [`solid] Stuttgart, Revolutionäre Aktion Stuttgart, SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial), ver.di Bezirk Stuttgart, Verein Zukunftswerkstatt e.V. Zuffenhausen, VÖS (Vaihingen Ökologisch Sozial), VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten), Waldheim Gaisburg, Waldheim Stuttgart e.V. / Clara Zetkin Haus, Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften