Gedenkfeier am Colle del Lys 01./02. Juli 2023: Frieden, Freiheit und Humanismus müssen tagtäglich neu erkämpft werden

geschrieben von Josef Kaiser

13. Juli 2023

(Ravensburg / Orbassano / Colle del Lys Rivoli) Eine 25-köpfige Delegation der VVN-BdA Ravensburg/ Oberschwaben nahm auch dieses Jahr an der jährlichen Gedenkfeier der ehemaligen Partisaninnen und Partisanen am Colle del Lys bei Rivoli/Piemont, Partnerstadt von Ravensburg, teil. Auf dem Programm stand die Würdigung des ehemaligen KZ-Häftlings und Widerstandskämpfers Beppe Berruto aus Orbassano, der im Überlinger Stollen Zwangsarbeit verrichten musste, und die Teilnahme an der Gedenkfeier auf dem Colle del Lys, wo Alfons Kuhnhäuser, ehem. IG Metall Schwäbisch Hall, ein Grußwort sprach.

Orbassano: Enzo Savarino, Nino Boeti, Marisa Berruto (Witwe)

Seit 1947 findet auf dem Colle del Lys bei Turin jährlich am ersten Juli-Wochenende eine Gedenkfeier statt. Dort fielen am 2. Juli 1944 26 junge Männer einem blutigen Massaker durch SS-Truppen zum Opfer. Die jungen Männer hatten sich den Partisanen angeschlossen und waren erst kurz zuvor zur 17. Garibaldi-Brigade „Felice Cima“ gestoßen, um gegen die italienischen Faschisten und die deutschen Nationalsozialisten zu kämpfen. Sie wussten weder, wie man sich im felsigen, unwegsamen Gelände zu bewegen hatte, noch trugen sie dafür das richtige Schuhwerk. Die Männer, zumeist unbewaffnet, wurden von den SS-lern gefasst, gefoltert, bestialisch ermordet und anschließend verstümmelt. Erst zwei Tage später war es möglich, die schwer geschändeten Leichen zu bergen und in einem Massengrab beizusetzen. Mit der Gedenkfeier wird an alle 2024 WiderstandskämpferInnen und PartisanInnen aus den Tälern von Lanzo, Susa, Sangone und Chisone erinnert, die im Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus ihr Leben verloren.

Seit 1991 nimmt die VVN-BdA Ravensburg/Oberschwaben an der Gedenkfeier der Partisaninnen und Partisanen am Colle del Lys bei Rivoli/Turin. Die Verbindungen ins Piemonte sind in den 70er Jahren aus der Städtepartnerschaft Ravensburg-Montelimar-Rivoli heraus entstanden. Seither Ende der 80er Jahre pflegen VVN-BdA, IG Metall Friedrichshafen, ver.di Oberschwaben und der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB regelmäßige und intensive Kontakte zu ehemaligen WiderstandskämpferInnen und PartisanInnen im Piemont, aber auch zu den dortigen Gewerkschaften. Eine italienische Delegation nimmt jedes Jahr im Mai an der Gedenkfeier der VVN-BdA Ravensburg auf dem KZ-Friedhof Birnau (Überlingen) teil. Dort sind ehemalige ZwangsarbeiterInnen begraben, die zu einem großen Teil aus Italien stammen.

01.07.2023 Orbassano: Stolperstein für Beppe Berruto (1927-2004)

Im Januar 2023 hat die Stadt Orbassano für Beppe Berruto einen Stolperstein vor seinem Haus verlegt. Beppe Berruto war Häftling im KZ-Dachau und Zwangsarbeiter im Überlinger Stollen. In der Nachkriegszeit hat er die Zusammenarbeit zwischen italienischen und deutschen Jugendlichen vorangetrieben und sich für internationale, antifaschistische Zusammenarbeit engagiert. Bei diesem Stolperstein traf sich die Delegation der VVN-BdA mit seiner Witwe Marisa Berruto, dem ehemaligen Bürgermeister von Orbassano Carlo Marroni, ANPI-Chef Nino Boeti und offiziellen Vertretern der Stadt, um Beppe Berruto für seine Verdienste für zu würdigen. In seiner Laudatio sagte Enzo Savarino, ehem. IG Metall Friedrichshafen:

„Die Idee der Stolpersteine geht auf eine Initiative des Berliner Künstlers Gunter Demnig zurück. Stolpersteine sind das größte, dezentrale Mahnmal der Welt. Sie sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert, geschunden, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. Unser Beppe, einer der unzähligen Verfolgten des Nazifaschismus, ist ein kleiner Teil dieses Mahnmahls – für uns ein großer MENSCH!

Beppe hat im Dritten Reich Furchtbares mit Deutschen durchgemacht. Dennoch blieb er offen für die anderen Deutschen, die Antifaschisten und Widerstandskämpfer, die es auch gab und gibt. Mit ihnen hat er seine Erfahrungen geteilt und hat uns zusammengeführt. – Beppe, es gehört zu deinen größten Leistungen, so viel für Versöhnung beigetragen zu haben!“

Beppe Berruto selbst habe es als seine größte Sorge formuliert, „nicht in der Lage zu sein die Erfahrungen aus dem Widerstand der jungen Generation zu vermitteln. Aus einem einfachen Grund: Viele von uns (Anm.: Widerstandskämpfern) unterliegen der Versuchung, ihre Geschichte als etwas Besonderes darzustellen. Das ist falsch! Unsere Geschichte muss Zeugnis ablegen und in der Lage sein, die damaligen Werte, für die wir gekämpft haben, in die heutige Zeit zu übertragen. So wie damals der Kampf gegen die Diktatur, die Verteidigung der Menschenwürde und Frieden zu stiften, eine unserer Hauptaufgaben war, müssen wir versuchen, sie der Jugend weiterzugeben. Wir müssen die Jugend dafür gewinnen, die damaligen Werte des Antifaschismus, des Kampfes gegen die Diktatur mit den heutigen Herausforderungen wie Kriege, Gewaltakte und ungelöste soziale Probleme in Verbindung zu bringen, den Stellenwert der Solidarität zu begreifen, und somit ihre Problemen zu bewältigen. Nicht die erzählten Geschichten, sondern unsere damaligen Werte, die heute noch sehr aktuell sind, zu vermitteln, muss unsere Aufgabe sein. – Wenn uns das gelingt, dann hat sich unser Einsatz gelohnt.“

02.07.2023 Colle del Lys: Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!

Rund 1000 Menschen versammelten sich am Sonntag Vormittag auf dem Colle del Lys um der ehemaligen WiderstandskämpferInnen und PartisanInnen zu gedenken. Hauptredner war Prof. Claudio Vercelli. In einem Grußwort sprach Alfons Kuhnhäuser, ehem. IG Metall Schwäbisch Hall, auch über den Krieg in der Ukraine:

„Bei uns in Deutschland, und wohl auch bei euch in Italien, gelten die Menschen, die sich für eine Verhandlungslösung und gegen Waffenlieferungen aussprechen, fast schon als Vaterlandsverräter, und werden als „Putinfreunde“ diffamiert. Dass Putins Angriffskrieg gegen die souveräne Ukraine ein Verbrechen darstellt, brauche ich hier wohl nicht explizit zu erwähnen. Aber niemand sollte sich dafür entschuldigen müssen, wenn er Vorbehalte und Bedenken gegen eine weitere Eskalation zum Ausdruck bringt.

Waffen haben noch nie Frieden geschaffen, im Gegenteil – jede Waffe sucht sich ihren Krieg. Schon Bertolt Brecht schrieb: „Es wird so lange Krieg geben, solange es noch einen Menschen gibt, der daran verdient.“ Erst wenn das Geschäft mit Waffenlieferungen gestoppt ist und keine kapitalistischen Extraprofite daraus gezogen werden können, erst dann ist auch ein Weg zum Ende des andauernden Konfliktes denkbar und möglich.

Hier am Colle del Lys erinnern wir heute erneut an die Partisaninnen und Partisanen, die in der finsteren Zeit des Faschismus und der deutschen Okkupation, mit ihrem Mut, ihrer Zuversicht und unter Einsatz ihres Lebens, für ein freies, demokratisches Italien und für eine friedliche Zukunft ihrer Kinder gekämpft haben. Die Lehren aus ihrer Geschichte müssen wir bewahren und an alle nachfolgenden Generationen weitergeben. Frieden, Freiheit und Humanismus sind kein Geschenk irgendwelcher Herrschender. Frieden, Freiheit und Humanismus muss tagtäglich gelebt und gegen Angriffe von Antidemokraten verteidigt werden. Wir kämpfen gemeinsam weiter für eine menschliche und friedliche Zukunft auf unserem Planeten. Für uns gibt es dazu keine Alternative.“