VVN-BdA-Ansprache zum Antikriegstag, 1. September 2023 in Stuttgart

geschrieben von Gudrun Greth

14. September 2023

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Liebe Menschen,

meine Enkelin ist 3 ½ Jahre alt und recht fit für ihr Alter. Im Haus lebt seit zwei Jahren der fünfjährige Ostap, der mit seiner Mutter und seiner Oma vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflohen ist. Wie können wir mit meiner Enkelin und ihrem Spielkameraden sprechen, welche Werte möchten wir vermitteln?

Nicht Worte wie Krieg – Feind – Flucht – Katastrophe – Hunger – Tod sollen den kindlichen Wortschatz prägen, Angst machen und den kindlichen Blick trüben. Nein, Worte wie Freundschaft – Solidarität – Lebensfreude sind es, die sie erfahren und erleben sollen in der Begegnung mit Menschen und der Natur um uns und die ihren Blick öffnen sollen für die bereichernde Vielfalt des Lebens, die Lust machen sollen auf eine selbstbewusste Gestaltung einer liebens- und lebenswerten Zukunft in Frieden und Freundschaft – ohne Krieg, in dem unfreiwillig Eingezogene und Unschuldige für die Interessen weniger Privilegierter sterben.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten, VVN-BdA, ist ein überparteilicher Zusammenschluss von Menschen des Widerstands, der überlebenden NS-Verfolgten und von Angehörigen der nachfolgenden Generationen, die aus der Vergangenheit lernen, die für die „Vision einer antifaschistischen Zukunft“ eintreten und die sich aktiv einsetzen für eine Welt ohne Rassismus, Antisemitismus, Nazismus und Militarismus. Die Ziele der Gründerväter – Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Entmonopolisierung, Demokratisierung, Sozialstaatlichkeit, Völkerverständigung und antifaschistische Einheit in ganz Deutschland – sind noch lange nicht erreicht oder gar in weite Ferne gerückt. Stellen wir uns vor, wie am Abend des 19. April 1945 in Buchenwald eine erste Trauerfeier für die Toten des Konzentrationslagers auf dem Appellplatz stattfand, die Überlebende im Auftrag des Internationalen Lagerkomitees organisiert hatten: Ein in den Werkstätten des Lagers hergestellter hölzerner Obelisk diente als provisorisches Denkmal. Er trug die Inschrift „K.L.B. 51.000“ – die geschätzte Zahl der Toten des KZ Buchenwald. Nacheinander marschierten die Überlebenden nach Nationen gegliedert und in Blöcken formiert unter den Klängen des Lagerorchesters auf den Appellplatz. Die gemeinsam ausgearbeitete Gedenkansprache wurde in den Sprachen Russisch, Polnisch, Deutsch, Französisch, Tschechisch und Englisch verlesen und endete im gemeinsamen Gelöbnis, das als „Schwur von Buchenwald“ bekannt wurde: „Die Vernichtung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel…“

Dieses „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ und das Lernen aus der Geschichte sind uns in der VVN Verpflichtung. Deshalb halten wir die Erinnerung an Widerstand und Verfolgung wach. Unser Gründungsmitglied Alfred Hausser war als Antifaschist auch in der Bundesrepublik schnell wieder Repressalien ausgesetzt: Wegen seiner Stellungnahme zum Koreakrieg musste er 1950 eine mehrwöchige Haftstrafe in dem Zuchthaus absitzen, in das ihn bereits die Nazis eingesperrt hatten – in Ludwigsburg. Als Kinder von Vätern, die ihr Leben oder ihre Gesundheit im 1. Weltkrieg verloren hatten, setzen sich viele der späteren VVN-Gründerinnen und Gründer früh für eine friedliche Welt ein und wurden so zu engagierten Antifaschisten. Zum Beispiel der Stuttgarter Widerstandskämpfer Karl Pfizenmaier, der den Richtern am Volksgerichtshof in seinem Hochverratsprozess erklärte: „Ich war in der Jugendorganisation schon vor 1933 tätig und war auf der Seite derer, die davon überzeugt waren, dass Hitler mit seinem Programm eine Politik vertreiben wird, die unweigerlich zu einer kriegerischen Auseinandersetzung führen wird, mir aber der Frieden heilig war. Das war ein Hauptgrund, der mich eigentlich zum Antifaschisten machte.“ Ich als Nachgeborene engagiere mich in der VVN und in der Stolperstein-Initiative dafür, aus der Geschichte zu lernen und an die Menschen zu erinnern, die in der NS-Zeit verfolgt und ermordet wurden, weil sie sich für eine antifaschistische, solidarische und friedliche Welt einsetzten, weil sie Widerstand leisteten, weil sie dem Weltbild der Nazis nicht entsprachen oder weil sie alt oder krank waren und die Nazis Lazarettplätze für Soldaten der NS-Eroberungskriege brauchten. Die Sprache der 97-jährige Auschwitzüberlebende, die ich seit vielen Jahren begleite, kennt kein Wort für Krieg, denn dieses Wort gibt es gar nicht in der Sprache der Sinti. Wie kann es sein, dass es nach zwei verheerenden Weltkriegen keine Generation gibt, die in einer friedlichen Welt leben kann – obwohl die Vereinten Nationen ihren Gründungsvertrag am 26. Juni 1945 mit den folgenden Worten überschrieben „Wir, die Völker der Vereinten Nationen sind fest entschlossen,

  • künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,…“

Wie kann es dann sein, dass trotz dieser Präambel und dem Völkerrechtlichen Vertrag, der UN-Charta, es seither kein Jahr ohne zahlreiche Kriege auf der Welt gab?

  • Allein 2022 starben mehr als 238 000 Menschen in mehr als einhundert Kriegen auf der Welt. So kann das Handeln der kriegstreibenden und kriegsunterstützenden Regierungen doch nicht anders als
    verantwortungslos bezeichnet und daher geächtet werden – Krieg ist niemals im Sinne eines Volkes, sondern immer auf dem Rücken der Völker!
    Da kann es nur heißen: Sofortiger Waffenstillstand und Friedensverhandlungen!
  • Wir stehen an der Seite der Menschen in der Ukraine, wir verurteilen den russischen Angriff und fordern Russland zum sofortigen Rückzug des Militärs auf. Der 21. September 2023 – der UN-Weltfriedenstag – soll Tag des Waffenstillstands und der Gewaltlosigkeit sein! Bei diesem Krieg geht es keinesfalls um die Freiheit der Menschen in der Ukraine, es geht vielmehr den imperialistischen Mächten um die Erweiterung ihrer Macht und ihrer Märkte und dies tragen sie auf dem Rücken der Menschen in der Ukraine aus.
  • Kriege geschehen ausschließlich aufgrund des Profitinteresses des Kapitals, zum Machterhalt der Herrschenden und immer zu Lasten der Zivilbevölkerung. Keine Bevölkerung hat im Krieg etwas gewinnen, sie hat nur zu verlieren – ob in der Ukraine oder in Russland. Deshalb unterstützen wir Betroffene, die zivilen Widerstand leisten und gewaltfreie Aktionen durchführen, die desertieren, den Kriegsdienst verweigern und rufen auf zum Widerstand gegen Krieg und Aufrüstung.
  • In der Ukraine erproben Rüstungskonzerne und die sie tragenden Regierungen ihre Kriegswaffen auf Kosten und auf dem Rücken der Menschen, deren Leben ihnen nichts wert ist. Jede Woche werden neue Waffen gefordert und geliefert. Eine Übersicht über die Waffen, die die Bundesregierung bisher in die Ukraine geliefert hat, findet ihr am Infotisch. Wir müssen die Profitinteressen der Rüstungsindustrie klar benennen und ihr Schranken setzen!
  • Eskalationen wie Waffenlieferungen und Militärmanöver erhöhen niemals die Sicherheit eines Landes, sondern schwächen sie! Selbst die Gefahr, einen Atomkrieg in Europa zu riskieren oder gar zu provozieren, scheint den Herrschenden nicht zu groß.
  • „Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer.“ Das wusste bereits der griechische Dichter Aischylos vor 2 ½ tausend Jahren und wir spüren es täglich, wenn uns die permanente Kriegsrhetorik einer verantwortungslosen Presse aus allen Kanälen entgegenschallt, so dass das Mahnen, Nachdenken und Erinnern kaum mehr Gehör finden kann.
  • Wir hören auch zunehmend Brechts Arturo Ui mahnen: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“ Deshalb: Stehen wir auf gegen jegliche rechtsextremen, rassistischen, antimuslimischen und antisemischen Kräften, und stehen wir aktiv ein für ein Leben in Frieden, Freiheit und Demokratie!
  • Kriege lösen keine Probleme, sondern verschlimmern Hunger, Gewalt und die Klimakatastrophe mit all ihren verheerenden Folgen. Dies sind die Ursachen der weltweit zunehmenden Zahl von Menschen, die aus ihrer Heimat in eine ungewisse Zukunft fliehen müssen. Solidarität mit allen Kriegsdeserteur*innen und Flüchtenden.
  • Von Stuttgart aus dürfen nicht länger die Kriege in der Welt koordiniert werden – statt dem Eucom, den NSA-Europabüro und dem US-Africom werden in Möhringen und Vaihingen Wohnungen und Bildungseinrichtungen gebraucht. Öffentliche Gelder für Bildung, Wohnen und für Klima- und Gesundheitsschutz anstatt für Rüstung!
  • Wir spüren täglich mehr den Ausverkauf von öffentlichem Eigentum: Krankenhäuser und Arztpraxen verkommen zu Spekulationsobjekten, ebenso wie der Öffentliche Verkehr. Die Ausgaben für Erziehung, Bildung und Ausbildung werden zugunsten von Rüstungsprojekten drastisch reduziert, wie sich im Haushaltsentwurf zeigt.
  • Als GewerkschafterInnen und Gewerkschafter tragen wir Verantwortung, dass eine Wiedereinführung eines reaktionären Obrigkeitsstaates nicht mehr möglich wird und dass alles, wofür unsere Altvorderen in den Gewerkschaften gekämpft haben, erhalten bleibt. Gewerkschaft müssen eine klare Position gegen Krieg und Hochrüstung beziehen, denn sie wurden geschaffen, die Interessen der Arbeitenden konsequent zu vertreten. Eine Gewerkschaft, die sich zum Regierungssprachrohr macht, macht sich überflüssig!
  • Wir laden auch alle ehrlichen Mitglieder der SPD, der GRÜNEN, der FDP, ein sich der Friedensbewegung anzuschließen und von den von ihnen gewählten Vertreterinnen und Vertretern den sofortigen Stopp der Waffenlieferungen zu fordern und sich gemeinsam mit uns einzusetzen für die seit 75 Jahren vereinbarten Menschenrechte, für den 8. Mai in Erinnerung an das Ende des 2. Weltkrieges als antifaschistischen Gedenktag für Demokratie, Humanität und Toleranz wie die Überlebende und VVN-Mitglied Esther Bejarano, die am 10.7.2021 starb, dies anregte.
  • Liebe Menschen, wir wissen um die transgenerationalen Traumata, die noch mehrere Generationen lang die Menschen die schlimmen Folgen von Kriegen spüren lassen und die ihr Leben nachhaltig prägen.
  • Wir wissen um die kaum noch aufzuhaltende Zerstörung unserer Umwelt. Aus Verantwortung für unser Kinder: Konzentrieren wir uns darauf, diese Welt zu retten, anstatt sie zu zerstören!
  • Deshalb: Stehen wir im gemeinsamen Handeln über weltanschauliche und politische Unterschiede zusammen und auf für den Frieden! Verbinden wir uns zu einer wirksamen, wirkmächtigen, antifaschistischen Friedensbewegung!
    Danke!