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geschrieben von Erika Weisser

8. Februar 2024

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Im Januar & Februar: Drei Kinofilmstarts mit neuer Perspektive auf die Nazizeit

Am 30. Januar 1933 ernannte Paul Hindenburg den NSDAP-Vorsitzenden Adolf Hitler zum 13. Reichskanzler der Weimarer Republik. Obwohl die völkische Faschistenpartei mit den bei der Reichstagswahl im Dezember 1932 erzielten 33,1 Prozent der Stimmen gerade ein Drittel der Wähler repräsentierte und über keine parlamentarische Mehrheit verfügte, wurde ihr und ihren Vertretern die politische Macht übertragen – mit mörderischen Folgen für Millionen Menschen.

91 Jahre nach dieser Einleitung der Abschaffung der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland kommen innerhalb von 5 Wochen drei Spielfilme in die Kinos, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit verschiedenen Aspekten von Wort, Tat und Wirkung des an die Macht gelangten Faschismus auseinandersetzen: Erinnerungspolitische Lehrstücke für heutige Antifaschist:innen.

Im April kommt dann noch die soeben abgedrehte Neuverfilmung von Peter Weiss‘ Theaterstück „Die Ermittlung – Oratorium in elf Gesängen“ dazu. Darin geht es um die Auschwitzprozesse, die vor genau 60 Jahren, im Dezember 1963, in Frankfurt begannen. Mehr darüber in den nächsten Antifa Nachrichten.

(Stella. Ein Leben) Eine übereifrige Greiferin
Der Film handelt von einer jungen jüdischen Frau, Stella Goldschlag, die in Berlin lebt und der Tötungsmaschinerie der Nazis zu entkommen versucht, indem sie untergetauchte Jüdinnen und Juden aufgreift und an die Gestapo verrät.

Greifer wurden solche Leute genannt – und die wirkliche Stella Goldschlag war nicht die Einzige, die mit den Faschisten kollaborierte. Wohl aber eine der berüchtigtsten: Ab 1943, als mit der so genannten „Endlösung“ die systematische Ermordung der europäischen Juden bereits beschlossene Sache war, lieferte sie Hunderte Menschen ans Messer: Die von ihr Denunzierten wurden in die Vernichtungslager im kriegsbesetzten Polen deportiert, wo sie nur geringe Überlebenschancen hatten.

Der Film zeichnet eine ambivalente Persönlichkeit: Ein Mensch, der die zwanghafte rassistische Zuordnung zu „jüdisch“ oder „arisch“ ablehnt und sich dennoch – sie war blond und großgewachsen und hatte blaue Augen – mit der herrschenden Mehrheitsgesellschaft identifiziert. Eine Frau, die sich, um das Überleben ihrer Nächsten zu sichern, mit den Machthabern und deren zynischen Methoden einlässt – auch privat. Ein Opfer, das zur Täterin wird.

Zwar traf die damals 21-Jährige diese Entscheidung nicht freiwillig: Nach ihrer durch den Hinweis einer bereits als Greiferin tätigen Freundin erfolgten Verhaftung sah sie die unter Folter und Todesdrohung erzwungene Kooperation als einzige Rettung. Doch bei der Erfüllung der Forderungen ihrer Auftraggeber entwickelte sie bald einen allzu großen Ehrgeiz, den sie auch nach der Deportation ihrer Eltern nicht aufgab. Sie selbst überlebte – bis 1994 in Freiburg.

Stella. Ein Leben;
mit Paula Beer, Jannis Niewöhner, Katja Riemann, Joel Basman u.a.
Regie: Kilian Riedhof; D 2023; 116 Minuten;
Verleih: Majestic
Kinostart: 25. Januar 2024

(Führer und Verführer) Der Erfinder der Fake News
Zu Beginn spricht eine ruhige Männerstimme mit österreichischem Einschlag. Dann fragt Regisseur Joachim Lang: „Wissen Sie, wer da spricht?“ und sagt, dass es Hitler sei, bei einem insgeheim aufgezeichneten Alltagsgespräch. Dass man ihn nicht erkannt habe, liege daran, dass sämtliche überlieferten Tondokumente seiner Reden und Auftritte „reine und kontrollierte Inszenierung waren“.

Der Urheber dieser geradezu perfekten Inszenierungen kommt gleich darauf ins Bild: Joseph Goebbels – in Originalaufnahmen und gespielt von Robert Stadelober. Im März 1938 ist er auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Macht: Der „Anschluss des geliebten Vaterlands des Führers“ wurde soeben vollzogen – und der Bevölkerung mit einer bis ins kleinste Detail geplanten und ausgeklügelten Propagandastrategie als Erreichung eines schon immer ersehnten Ziels verkauft.

Als Hitler ihm seine Kriegspläne offenbart, geht er zur medialen Mobilmachung über; er propagiert antisemitische Aktionen und heizt die Pogromstimmung an. Es gelingt ihm, die Leute zu überzeugen, dass jedes noch so abscheuliche NS-Verbrechen die Erfüllung langgehegter Wünsche des Volkes sei. Damit findet Lang Antworten auf die Frage, wie Hitler und seine Entourage es schafften, die Mehrheit der Deutschen hinter sich zu bringen. Eine eindringliche Auseinandersetzung mit gerade von heutigen Nazis wieder verstärkt eingesetzten manipulativen Desinformationen.

Führer und Verführer;
mit Robert Stadelober, Franziska Weisz, Fritz Karl u.a.
Unter Mitwirkung von Margot Friedländer, Leon Weintraub und weiteren Überlebenden der Shoah
Regie: Joachim A. Lang; D 2023; 135 Minuten;
Verleih: Wildbunch
Kinostart: Mai 2024

(The Zone of Interest) Im Garten des Massenmörders
Nur eine Mauer trennt Hölle und Paradies voneinander. Auf der einen Seite ein Garten mit Vogelgezwitscher, Blumen und Gemüsebeeten; hier hat sich eine Familie mit fünf Kindern und etlichen Bediensteten in spießbürgerlicher Idylle eingerichtet. Die andere Seite bleibt verborgen. Nur aufsteigende Rauchsäulen und umherfliegende Aschepartikel deuten an, was die Schreie gequälter Menschen und das Gebrüll von Wachleuten zur Gewissheit werden lassen: Hinter den Mauern befindet sich ein Vernichtungslager.

Nicht irgendeins: Es handelt sich um Auschwitz-Birkenau – und der Familienvater und Herr des schönen Hauses mit dem großzügigen Garten ist Rudolf Höß, der Kommandant und Begründer des Lagers. Von seinem Alltagsgeschäft – der Organisation eines millionenfachen Massenmordes – dringt nichts in die Idylle ein, trotz des Bluts an seinen Stiefeln und trotz des offensichtlichen Dauerbetriebs der Krematorien. Alle wissen um das Morden – und alle schweigen darüber.

Besonders die Ehefrau Hedwig Höß sperrt die Realität regelrecht aus; sie, will unbedingt an den Privilegien festhalten, die ihr das Leben als selbsternannte „Königin von Auschwitz“ bietet. Ein entlarvender, fast gleichnishafter Film über die Mechanismen der Unrechtsverdrängung.

The Zone of Interest, mit Sandra Hüller, Christian Friedel, Daniel Holzberg u.a.
Regie: Jonathan Glazer; GB/USA 2023; 105 Minuten;
Verleih: Leonine
Kinostart: 29. Februar 2024