Botschafter*innen für Gurs – ein Internierungslager im Süden

geschrieben von Sandra Butsch

8. Februar 2024

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Im Walter-Eucken-Wirtschaftsgymnasium Freiburg gibt es seit zwei Jahren eine Nahost-AG, in der Schüler*innen der 11. Klassen aller Schularten zusammenkommen. Im Schuljahr 21/22 hieß das Thema des ganzjährigen Projekts: „Die Reise Mickeys von Gurs ins Hier und Jetzt – ein Comic wird fortgezeichnet!“ Kurz vor den Pfingstferien führen die Schüler*innen, zusammen mit Ihrer Lehrerin Sandra Butsch, im Rahmen des Projekts als „Botschafterinnen für Gurs“ über Paris – Lourdes – Château d’Orion – Navarrenx ins ehemalige Internierungslager Gurs.

In dem Projekt selbst ging es um das jüdische Leben in Baden vor 1933 und bis 1940, um die Deportation der badischen und saar-pfälzischen Juden nach Gurs im Oktober 1940, um das Leben im Lager, um Kunst als widerständige Handlung. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Thema „Antisemitismus im Hier und Jetzt“ und der Fortzeichnung des Comics von Horst Rosenthal.

Die Schülerinnen holten sich die Expertise von Fachleuten zu unterschiedlichen Themenfeldern, diskutierten die Ergebnisse, besuchten regionale Gedenkstätten, nahmen Kontakt zu bereits bestehenden Geschichts-AGs an Freiburger Schulen auf – und puzzelten das Ganze schließlich zu einem Film zusammen. Darüberhinaus entstanden viele aufschlussreiche und reflektierte zeichnerischen Ergebnisse, die ein Zeichen für die Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus sind- und gleichzeitig ein Statement dagegen.

Von ihrer Reise erzählen sie selbst:
Der erste Teil war eine Reise in die Vergangenheit, in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, in eine jüdische Familiengeschichte in Freiburg: Wir begleiteten Dory Sontheimer, Zeitzeugin und Autorin des inzwischen verfilmten Buches „Das Geheimnis der sieben Schachteln“, zu einer Gedenkveranstaltung an den Stolpersteinen für die Familie ihrer Mutter, die aus Freiburg stammte. Während Dory Sontheimers Mutter Rosa rechtzeitig nach Spanien emigrierte, kamen deren Eltern und Großvater nach Gurs und von dort nach Auschwitz. Davon und dass sie dort ermordet wurden, erfuhr sie erst nach dem Tod ihrer Mutter – anhand von Dokumenten, die sie in sieben Schachteln verborgen und verwahrt fand. Außer Frau Sontheimer interviewten wir auch die Leiterin des Dokumentationszentrums Freiburg und die Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Blaues Haus Breisach zu den Themen Erinnern und Erinnerungskultur, sowie der speziellen Erinnerungsarbeit zum Lager Gurs. Wir befragten auch Herrn Mathis von der Paul-Mathis Stiftung, die unsere Reise erst ermöglichte.

Der zweite Teil setzte sich mit dem Thema „die drei monotheistischen Religionen im laizistischen System Frankreichs“ auseinander. Laizismus bedeutet die radikale Trennung von Kirche und Staat: Wir besuchten in Paris das jüdische Viertel Marais, arbeiteten und recherchierten im Mémorial de la Shoah, interviewten Zeitzeuginnen und Mitarbeiter*innen dieser drittgrößten Gedenk- und Bildungsstätte weltweit. Im muslimischen Teil der Stadt stärkten wir uns mit Nanaminz-Tee und Baklava (Gebäck aus dem Nahen Osten), besuchten die große Moschee von Paris und interviewten gläubige Muslime zum Thema Glaube und Laizismus. Unsere Reise führte im Anschluss an Paris nach Lourdes, wo wir an einer großen Pilgerprozession teilnahmen, die Quelle der heiligen Bernadette Soubirous aufsuchten und Christen aus aller Welt zu Ihrer Motivation und Glaubenseinstellung befragten.

Der dritte Teil bewegte sich rund um das ehemalige Internierungslager Gurs am Fuße der Pyrenäen, heute auf dem Jakobsweg gelegen. Wir recherchierten und beschäftigten uns bereits im Vorfeld mit der Geschichte von Sonja Hene aus Eichstetten, derer wir im Mémorial de la Shoah gedachten, oder auch der Geschichte von Alain Foucher, den wir zusammen mit seiner Frau Joelle in unserer Pilgergîte in Navarrenx zu Besuch hatten, ihn bekochten, interviewten und den Tag gemeinsam gestalteten. Am Tag des Geburtstages seiner verstorbenen Mutter Gretel Levy, die ebenfalls in die Freiburger Zwangsschule für jüdische Kinder gehen musste und in Gurs interniert war, konnten wir Alain unsere Rechercheergebnisse übergeben. Für ihn war es das erste Mal, dass er in Gurs war und mehr über das Leben seiner verstorbenen Mutter erfuhr. Der Tag war für uns alle sehr emotional und bleibt ganz sicher in Erinnerung.

Auf dem Château d’Orion stellten wir dann vor einem deutsch-französischen Publikum im Rahmen des Programmes „Le Camp de Gurs. En mémoire de la déportation des juifs du Palatinat et du Pays de Bade au camp de Gurs“ unser Projekt „Die Reise Mickeys von Gurs ins Hier und Jetzt – ein Comic wird fortgezeichnet“ vor. Auch die anderen Schulgruppen stellten Ihre Projekte vor und wir hatten das große Glück, uns auf diesem wunderschönen Schlossgelände begegnen zu dürfen. Wir diskutierten mit sämtlichen für das Gedenken in Gurs wichtigen Persönlichkeiten – dem Historiker Pierre Lahalie, der Verantwortlichen von Amicale Anne Machu, der Schlossherrin und Journalistin Elke Jeanrond- Premauer, sowie Mélina Burlaud, die die Lagermusik recherchierte und neu inszeniert. Die Interviews sind in unserem Roadcast zusammengefasst.

Als Höhepunkt unseres Aufenthalts im Lager Gurs bekamen von Monsieur Vallés, einem Zeitzeugen, dessen Vater republikanischer Flüchtling war, eine mehr als lebendige und interessante Führung und suchten die Gräber der Breisacher und Freiburger Jüdinnen und Juden auf. Wir gedachten Ihrer mit Kieseln, die wir aus dem Rhein bei Breisach vom Blauen Haus mitbekommen hatten und auf die Gräber der dort Verstorbenen legten. Die gesamten Ergebnisse können auf der Schulhomepage eingesehen werden: https://www.weg-freiburg.de/schulleben/mit-courage-gegen-diskriminierung/

Der Projektfilm ist unter „Die Reise Mickeys von Gurs ins Hier und Jetzt“ zu finden, die Filme und Roadcasts zur Reise finden sich unter „Botschafter:innen für Gurs“ Das Projekt mündet außerdem in eine Graphic Novel, welche voraussichtlich und hoffentlich 2025 verlegt werden wird.

Wir bedanken uns an dieser Stelle recht herzlich und ausdrücklich für die Verleihung des Alfred-Hausser-Preises. Dies war uns eine große Ehre, umso mehr, als dass die jüngsten Entwicklungen die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Themas zeigen.