Rede zum Volkstrauertag 2023 in Welzheim

geschrieben von Ilse Kestin

19. November 2023

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Sehr geehrter Herr Bürgermeister Bernlöhr,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

ich bedanke mich im Namen meiner Organisation der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Baden-Württemberg für die Einladung zur heutigen Gedenkfeier. Den Grund für den heutigen Gedenktag finden wir in den beiden Weltkriegen, die ungeheures Leid, unzählige Opfer und Tote über Europa und die übrige Welt gebracht haben. 12 Jahre Gewaltherrschaft und Naziterror im 2. Weltkrieg ausgehend von Deutschland, sollten mit 60 Millionen Toten eigentlich Mahnung genug sein. Der Frieden 1945 wurde mit enormen Opfern erkauft.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

Europa wähnte sich auf der sicheren Seite. Wir hatten ja Frieden. Kriege, die stattfanden, waren weit weg. Konnten wir, Herr Hinderer und ich, vor 3 Jahren an dieser Stelle noch über den Afghanistan Einsatz der Bundeswehr kontrovers aber auch durchaus akademisch diskutieren, über einen Einsatz der weit weg von uns schien, so erleben wir heute, dass seit fast zwei Jahren der Krieg an unsere europäischen Grenzen gerückt ist. Mit dem völkerrechtswidrigen Überfall Putins auf die Ukraine ist das Grauen des Krieges tagtäglich präsent. Wir leben mit Flüchtenden und den Folgen in Deutschland und mit enormen Opferzahlen auf beiden Seiten der Kriegsparteien.

Dieser Krieg hat eine erschreckende Spirale in Gang gesetzt:

            die Nato wird erweitert
            das 2% Ziel an Ausgaben für die Bundeswehr wird umgesetzt
            die Waffenproduktion wird weltweit hochgefahren
            die atomare Bedrohung ist zurück

unser Verteidigungsminister spricht von „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr, nicht mehr von Verteidigungsfähigkeit, man bemerke den feinen Unterschied.

Und im Übrigen möchte ich an der Stelle noch bemerken, dass ein Bundespräsident zurücktreten musste als er von einem „Krieg“ in Afghanistan sprach (unter anderem)

            Und niemand redet mehr von Abrüstung!

Sehr geehrte Damen und Herren,
Freundinnen und Freunde,

und diese ganze Spirale der Gewalt hat sich mit dem Überfall von Hamas auf Israel nochmals verstärkt. Wir erleben eine neue erschreckende Eskalation, nicht nur in Israel und Gaza. Die Welt spaltet sich an der Frage, wer denn das Recht auf seiner Seite hat. Aber Kriege waren noch nie gerecht und Kriege schaffen keinen Frieden. Weltweit explodiert der Antisemitismus und Judenhass. Nicht nur in muslimischen Bevölkerungsschichten, sondern eben auch in unserer sogenannten aufgeklärten Gesellschaft. Seit Jahren müssen jüdische Einrichtungen geschützt werden. Es erschüttert mich, dass es nach 1945 in Deutschland antisemitische Übergriffe auf jüdische Mitbürger überhaupt geben kann. Haben wir aus unserer verheerenden Geschichte während der Nazizeit nichts gelernt?

Im Netz kursieren Verschwörungstheorien wie im Mittelalter. Wo kommt dieses Denken her? Wie ist es möglich, dass sich dieses, von den Nazis geprägte Gedankengut, über 90 Jahre latent in unserer sogenannten aufgeklärten europäischen Gesellschaft gehalten hat? Und was können wir dagegen tun? Denn Handeln ist notwendig!

Wir alle sind aufgefordert uns einzubringen, Lösungen zu suchen, die allen gerecht werden. Deutschland hat eine besondere Verantwortung Israel gegenüber. Wir stehen fest an der Seite unserer jüdischen Mitbürger und werden Beleidigungen und Übergriffe nicht hinnehmen. Aber Kritik an der militanten Siedlungspolitik ist möglicherweise nicht antisemitisch, sondern konstruktiv. Das Existenzrecht Israels muss gewahrt werden. Aber ein Friedensprozess in der ganzen Region ist notwendig und eine zwei Staatenlösung unabdingbar.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Freundinnen und Freunde,

es bleibt nur der Kampf für Frieden!

Gegen Kriege, gegen Ausgrenzung, gegen Fremdenhass, gegen Rassismus und, natürlich mit unserer deutschen Geschichte, gegen Antisemitismus. Das muss unsere vordringlichste Aufgabe sein! Und da bin ich wieder bei einer zentralen Aufgabe unserer Organisation: wir sind eine politisch handelnde Organisation, wir müssen mahnen, müssen aufzeigen, müssen die geschichtlichen Verbindung herstellen. Auch dafür müssen wir werben. Für Gerechtigkeit und Solidarität. Für die Freiheit der Völker. Für Frieden! Denn, Frieden ist erst dann, wenn den Kindern beim Wort „Krieg“ nichts mehr einfällt! Das ist unser Vermächtnis und unsere Aufgabe.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Freundinnen und Freunde,

wirklich wir leben in finsteren Zeiten, um es mit Brecht auszudrücken, aber an der Stelle möchte ich doch auch die positiven Punkte herausstellen und mich bedanken. Bedanken dafür, dass die Stadt Welzheim sich ihrer Verantwortung als Ort der ehemaligen Gestapo Außenstelle Württemberg stellt. Welzheim gibt den Opfern eine Stimme und ein würdiges Erinnern. Mittlerweile gibt es rund um Welzheim bemerkenswerte Orte der Erinnerungskultur: die sehr gelungene Gestaltung des Friedhofs an der Rudersberger Straße, die Umbenennung des Baumann Platzes in Friedrich-Schlotterbeck-Platz, den Gedenkort am Henkerstein und das Mahnmal für die weiblichen Opfer des KZ Welzheim in Rudersberg. Alle diese Gedenkorte werden sehr gepflegt und sind würdevoll gestaltet. Der historische Verein Welzheim hat hier ein großes Verdienst. Vielen Dank!

Besonders schön finde ich auch immer die Teilnahme der Schulklassen an dieser Veranstaltung. Wie Herr Bernlöhr mir sagte, haben die Jugendlichen diesmal auch jeweils einen Kranz gebunden, den sie an den beiden Gedenkorten niederlegen werden.

Darüber freue ich mich sehr. Denn das ist ganz im Sinne unseres Ehrenvorsitzenden Alfred Hausser, der als Zeitzeuge und Verfolgter immer sehr an der Teilnahme Jugendlicher interessiert war und dem besonders das Gedenken in Welzheim ein wichtiges Anliegen war. Nur so können wir unsere Botschaft weitergeben: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!