Faschistische Ideologie – Entwicklung und Funktion

geschrieben von Anthony N. Cipriano

8. Februar 2024

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Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke Albert Vögler, Vorsitzender des Reichsverbands der deutschen Industrie Theodor Adrian von Renteln und Gustav Krupp heben die Hand zum Hitlergruß
Bildquelle: jW vom 23.10.2012

Es bedarf wahrscheinlich keiner Erklärung, weshalb die Beschäftigung mit faschistischer Ideologie ein lohnender Beitrag zu einer antifaschistischen Strategiekonzeption sein kann. Hier kann es hilfreich sein, nicht nur auf den Faschismus, sondern auch auf seine Wurzeln zu schauen, auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihn hervorbringen – und dafür sorgen, dass faschistische Ideologie bis heute in der Bundesrepublik einen fruchtbaren Nährboden findet. Im Folgenden also ein kurzer historischer Abriss.

Von der Feudalherrschaft zur Moderne
Häufig wird mit „Moderne“ die historische Periode bezeichnet, welche durch Industrialisierung, Aufklärung und Säkularisierung charakterisiert ist. Abgrenzen wollen wir jene von der Feudalherrschaft. Diese war politisches System einer Gesellschaft, deren wirtschaftliche Basis auf dem Eigentum der Feudalherren an Grund und Boden wie auch beschränkt an den leibeigenen Bauern – den Produzenten – war. Doch mit der Herausbildung arbeitsteiliger Manufakturen verlagerte sich die wirtschaftliche Kernaktivität weg von der Agrarproduktion – und so schwand auch zusehends die Macht des Adels, die sich auf eben jene stützte. Während sich neue ökonomische Machtzentren in Form des frühen Handelskapitals herausbildeten, so vollzog sich diese Entwicklung immer noch im Rahmen des Feudalstaats, der dem Diktat des Adels und des Klerus unterstand – und dies bedeutete territoriale Zersplitterung in eine Unzahl von Fürstentümern und damit Kleinstaaterei. Doch auf Grundlage der Industrialisierung der Ökonomie konnte die Warenproduktion zunehmend die Naturalwirtschaft zersetzen, womit bereits im Feudalismus Keimformen nationaler Märkte entstanden. Die materielle Entwicklung wies also über die Grenzen feudaler Herrschaftsverhältnisse hinaus und es war die Basis für ein jedes Land geschaffen, die politische Herrschaft der ökonomisch bereits Gestrigen zu brechen und sich auf dem Boden einer verflochtenen Nationalwirtschaft zu konstituieren. Ideologisch spiegelte sich diese Epoche dann auch im frühliberalistischen Nationalgedanken wider: den Wunsch, auf freiem Grund mit freiem Volke zu stehen.

Vom Fortschritt zum Hemmnis
Es besteht kein Zweifel daran, dass zwischen jenem Nationalgedanken und dem Nationalismus etwa eines Wilhelm II. ein markanter Bruch besteht. Dieser resultiert aber nicht etwa aus einem Bruch mit den damaligen Verhältnissen, sondern ganz im Gegenteil aus ihrer eigenen Überlebtheit. Diese lässt sich in Deutschland spätestens ab etwa 1890 eindeutig festmachen. Während die deutsche Frühindustrie noch aus vielen zueinander in Konkurrenz stehenden Kleinbetrieben bestand, monopolisierte sie sich zunehmend, was auch mit einer Konzentration wirtschaftlicher Macht verbunden war. Der anfänglich für die Sicherstellung bürgerlicher Freiheitsrechte (also das Recht auf faire Marktbedingungen und freie Konkurrenz) zuständige kapitalistische Staat wurde mehr und mehr den neuartigen Interessen monopolistischer Eliten angeglichen. Da die Markterschließung der Nationalökonomie abgeschlossen war wie auch die Aufteilung all jener Märkte unter nationale Monopolbetriebe, wandten jene wirtschaftlichen Eliten ihren Blick über die Grenzen der eigenen Nation hinaus. Hinzu kam später dann auch, dass es vermehrt staatlicher Eingriffe in ihrem Interesse bedurfte, um ihre selbsterzeugten Krisen für sie zu überwinden. All das war mit den Werten der Aufklärung – dem Selbstbestimmungsrecht einer jeden Nation und der Unantastbarkeit bürgerlicher Rechte – selbstverständlich nicht zu machen. Es entstand also für die wirtschaftlichen Eliten ein qualitativ neuer Ideologiebedarf.

Vom Dreifarb zum Hakenkreuz
Als eine solche Ideologie entwickelte sich der Faschismus. Er bildete sich zu einer Zeit heraus, als die deutsche Industrie etwa durch den Helferrich-Stinnesschen 500-Millionen-Fonds die Aktivität unzähliger völkischer, antikommunistischer und militaristischer Vereinigungen finanzierte; als die deutsche Großindustrie zur Rettung ihrer selbst lediglich den Weg des großen Krieges sah; als sie in diesem Sinne die Strategie verfolgte, Deutschland als „Bollwerk gegen den Bolschewismus“ zu formieren – also als Vollstrecker der Gesamtinteressen des internationalen Kapitals. Somit wollte sie sich in die Lage versetzen, möglichst noch mit Billigung der westlichen Konkurrenten erneut nach militärischer Größe streben zu können. Das Gesamtpaket unterschiedlicher reaktionärer Ideologiefragmente, das die Hitlerfaschisten
dann den politisch-ökonomischen wie auch militaristischen Eliten anbieten konnten, eignete sich dafür wie kein anderes: Antikommunismus den Herrschenden, Sozialismusdemagogie den Massen; sozialdarwinistische Ummünzung der Geschichte zur Geschichte von Rassen-kämpfen; ein rassentheoretisch-begründeter Antisemitismus, welcher die wirtschaftlichen Konkurrenten im Westen, den systemischen Gegner im Osten und die Feinde im Inneren in ein einheitliches Feindbild zusammenschloss. Damit war das ideologische Gewand für die Kriegsambitionen der Eliten gefunden. Was dies historisch dann bedeutete, wissen wir alle: Es hieß Massenmord und Vernichtungswahn, Weltkrieg und Genozid.

Fazit
Wir leben offensichtlich immer noch in Zeiten, in denen sich rechtes Gedankengut nicht einfach nur reproduziert, sondern geradezu floriert. Einerseits gelingt es der AfD, mit reaktionären Inhalten weit über die traditionelle Pegida-Klientel hinaus zu mobilisieren. Andererseits betreiben die Parteien der Ampel-Koalition in vielerlei Hinsicht sowieso schon eine Politik, die den Vorstellungen der AfD entspricht – und nutzen diese dabei gerne als Stichwortgeber. Rechtes Gedankengut dominiert. Kann uns das denn wundern, solange jene Machtzentren, die den Faschismus etablieren wollten, immer noch bestehen? Nicht grundlos legte etwa die Erklärung des Buchenwalder Volksfrontkommitees oder das Buchenwalder Manifest großen Wert darauf, auch die Zerschlagung jener wirtschaftlichen Machtzentren explizit zu
fordern. Nicht ohne Grund stand in den Anfangsjahren der VVN der Dreiklang aus Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Entmonopolisierung im Vordergrund. Heute bedeutet das vor allem, sich der allseits betriebenen Einschränkung demokratischer Rechte, dem Sozialabbau und dem Kriegskurs des deutschen Großkapitals entgegenzustellen und für eine Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche und ein friedliches Deutschland zu kämpfen. Antifaschismus darf sich eben nicht nur an Erscheinungsformen abarbeiten, sondern muss – getreu dem Schwur von Buchenwald – an die Wurzeln gehen.