Etappen der Europäischen Union
19. April 2024
In Baden-Württemberg immer zeitgleich mit den Wahlen der Kommunalparlamente, wird am 9. Juni 2024 das EU-Parlament gewählt. Wahlberechtigt sind in beiden Fällen auch die in Deutschland lebenden Bürger/innen der EU-Mitgliedsstaaten.
Die FIR – unsere internationale Partnerorganisation – formulierte 2019: „Wir kämpfen dafür, dass in Europa kein Platz für Rassismus ist.“ Und: „Wir müssen mit unseren gemeinsamen Anstrengungen verhindern, dass die extrem rechten Parteien in den verschiedenen europäischen Ländern ihren Einfluss vergrößern können. Verteidigen wird unsere demokratischen Freiheiten und Rechte, verteidigen wir unsere Vorstellungen von Humanität und Freizügigkeit. Treten wir ein für ein sozial gerechtes Europa im Interesse aller hier lebenden Menschen. Erinnern wir daran, dass das Fundament der europäischen Freiheit eigentlich im gemeinsamen Handeln der Kräfte der Anti-Hitler-Koalition und des europäischen Widerstandskampfes begründet liegt.Die Rechten dürfen nicht durchkommen – no pasaran!“. Klar!
Freilich: Europa ist weder geografisch noch historisch noch institutionell mit der EU identisch. Nicht einmal die blaue Europafahne mit 12 Sternen ist alleine für die Europäische Union reserviert – einem „Staatenverbund“ mit mittlerweile 27 Mitgliedern, 24 Amtssprachen, Institutionen an den drei Standorten Straßburg, Luxemburg und Brüssel, sowie Territorien auch außerhalb Europas. Sie regiert unmittelbar in die Mitgliedsstaaten hinein, die mit dem Beitritt einen Teil ihrer Souveränitätsrechte sozusagen abgegeben haben, wobei es unterschiedliche Abstufungen gibt. Die Euro-Länder haben auch noch ihre eigene Zentralbank und Währungspolitik aufgegeben, einige EU-Mitglieder jedoch nicht. Die EU sitzt bei vielen internationalen Verhandlungen neben den nationalen Regierungen als eigenes Gebilde mit am Verhandlungstisch.
Im „Europäischen Rat“, wechselt jedes halbe Jahre der Vorsitz. Das „Europäische Parlament“ wird alle fünf Jahre neu gewählt – und ist nicht zu verwechseln mit der „Parlamentarischen Versammlung des Europarats“. Der „Europäische Gerichtshof“, der über die Einhaltung des EU-Rechts wacht, sitzt in Luxemburg – wiederum nicht zu verwechseln mit dem „Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“ in Straßburg, der mit der EU nichts zu tun hat. EU-Recht hat in den Mitgliedsländern einen höheren Rang als nationales Recht. Die EU-Richtlinien machen Vorgaben, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Müssen! Dazu haben sich die Mitgliedsstaaten durch ihren Beitritt verpflichtet.
Wie kommt EU-Recht in die Welt?
Nehmen wir mal an, Bewerber/innen für den öffentlichen Dienst, denen in der Zeit der Berufsverbote abverlangt wurde, dass sie die „Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten“, hätten erklärt:
„Ich finde das System der bürgerlichen Gewaltenteilung – Gesetzgebung durch ein gewähltes Parlament, Exekutive, unabhängige Rechtsprechung – ziemlich uneffektiv. Ich bin dafür, dass die nationalen Parlamente ihre Kompetenzen nach oben abgeben. Dann sollen sich die Minister treffen und Gesetze machen. Irgendwelche gewählten Parlamente dürfen zwar auch noch etwas dazu sagen und Gesetzen zustimmen, aber nur für einzelne Bereiche und nach einer jahrzehntelangen Erprobungsphase, wenn die Mehrheiten passen. Was an Kompetenzen weg ist, das ist weg. Im Zweifel gilt das, was die regierenden Minister unter sich ausgehandelt haben. Die Aufgabe eines Gerichts ist, dieses Recht durchzusetzen. Ein Verfassungsgericht, das solche Richtersprüche aufheben könnte, ist überflüssig. Ich glaube an die Grundfreiheiten des freien Warenverkehrs, der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, des freien Dienstleistungsverkehrs und des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs. Alle Menschenrechte, darunter die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, müssen natürlich immer abgewogen werden gegen diese grenzüberschreitende unternehmerischen Freiheiten und können nur so weit Gültigkeit haben, wie es im Verhältnis dazu angemessen ist.“
Natürlich hat bei den damaligen „Anhörungen“ niemand ein solches Demokratieverständnis entwickelt. Aber genau so funktioniert – in Grundzügen – die Europäische Union. Für ihr Parlament gibt es gerade mal ein „Mitentscheidungsverfahren“ in einzelnen Bereichen. Nicht einmal über das Budget wird hier entschieden.
Traditionslinien
Reinhard Opitz, dem wir ausgezeichnete Analysen des Faschismus und Neofaschismus verdanken, legte 1977 den Quellenband „Europa-Strategien des deutschen Kapitals“ vor. Der Gedanke eines „mitteleuropäischen Zollbundes“wurde schon 1904 entwickelt. Man wollte in der Konkurrenz vor allem mit den erstarkenden USA, dem britischen Empire und dem russischen Reich strategisch nicht ins Hintertreffen geraten. Der „Alldeutsche Verband“ formulierte im August 1914 als Kriegsziel der Schwerindustrie „ein großes, einheitliches Wirtschaftsgebiet“, dem sich weitere westeuropäische, skandinavische, süd- und süd-ost-europäische Staaten anschließen würden. Nazi-Deutschland knüpfte an diese Konzeptionen an. Für Außenminister Ribbentrop stand am 5. April 1943 fest, „dass das künftige Europa nur bei einer voll durchgesetzten Vormachtstellung des Großdeutschen Reiches Bestand haben kann. Die Sicherung dieser Vormachtstellung ist demnach als der Kern der künftigen Neuordnung anzusehen.“ Später wurde taktisch umformuliert: Es sollte ein „Europäischer Staatenbund“ entstehen mit dem Recht jedes seiner „Gliedstaaten“, „sein nationales Leben nach eigenem Ermessen, jedoch unter der Beachtung der Verpflichtungen gegenüber der europäischen Gemeinschaft zu gestalten“. Natürlich strikt „antibolschewistisch“ ausgerichtet.
Darüber wurde nach der Niederlage Nazideutschlands bei der Gründung der heutigen EU natürlich nicht mehr gesprochen.
Entwicklung der EU von 1950 bis heute
1950 legt derfranzösische Außenminister Robert Schuman einen Plan vor, die Kohle- und Stahlindustrien Frankreichs und der 1949 mit tatkräftiger Hilfe des westlichen Besatzungsmächte entstandenen Bundesrepublik Deutschland zu vereinen.
1951 unterzeichnen Frankreich, die BRD, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Italien in Paris den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion).
1957 unterzeichnen die sechs Länder dann die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit dem Ziel eines gemeinsamen Binnenmarktes. Parallel dazu wird die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) gegründet.
1959 beginnt der schrittweise Abbau der Zölle innerhalb der EWG.
1967 werden Montanunion, Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom zur Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammengeführt.
1968 tritt die Zollunion in Kraft. Zölle im Handel innerhalb der EWG werden aufgehoben. Im Handel mit Drittländern gilt nun der gemeinsame Zolltarif.
1969 wird die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen.
1972 wird die„Währungsschlange“ eingeführt. Damit sollen Wechselkursschwankungen begrenzt werden.
1973 treten Großbritannien, Irland und Dänemark der EG bei. Norwegen entscheidet sich in einer Volksabstimmung dagegen.
1978 wird das Europäische Währungssystem (EWS) beschlossen.
1981 wird Griechenland zehntes EG-Mitglied
1986 werden auch Spanien und Portugal aufgenommen.
1990 beginnen die Verhandlungen zwischen EG und EFTA (European Free Trade Association – Europäische Freihandelsassoziation) über die Schaffung eines Europäischen Wirtschaftsraums.
1990 beginnt die erste Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.
Seit dem 3. Oktober 1990 gehört das Gebiet der ehemaligen DDR zur EG.
1992/93 wird der Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unterzeichnet, die Europäische Gemeinschaft wird in Europäische Union (EU) umbenannt. Eine Säule ist die EG/EU und die freiwillige und nunmehr vertiefte Vereinigung und Zusammenarbeit der Mitgliedsländer. Die zweite ist der Versuch, eine gemeinsame und einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik zu gestalten. Als dritte Säule gilt eine Zusammenarbeit der Justiz- und Innenminister.
1995 tretenÖsterreich, Finnland und Schweden der Europäischen Union bei. Norwegen stimmt erneut gegen einen Beitritt. Das Schengener Abkommen tritt in Kraft. Danach fallen außer zwischen Großbritannien/Irland und den restlichen EU-Staaten die Binnen-Grenzkontrollen weg. Auch zur Schweiz, die jetzt vollständig von EU-Ländern umschlossen ist und sich dem Abkommen anschließt.
1998 nimmt die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Arbeit auf.
1999 wird der Euro als offizielle Währung für den bargeldlosen Handel an den Börsen eingeführt.
2002 wird der Euro als Bargeld in elf EU-Staaten eingeführt. Griechenland stößt ein Jahr später hinzu.
2004 treten zehn weitere Staaten bei:Estland, Lettland, Litauen – also drei 1990 aus der ehemaligen Sowjetunion heraus gebrochene Staaten. Außerdem Polen, Ungarn, Tschechien, und die Slowakei – vier weitere Länder des ehemaligen „Ostblocks“. Dazu kommen noch das durch einen 1999 von Deutschland beförderten Krieg aus dem ehemaligen Jugoslawien heraus gebrochene Slowenien sowie Malta und die Republik Zypern – ohne den Nordteil der Insel, der seit 1974 türkisch besetzt ist. Die EU hat damit 25 Mitglieder.
2004/05 unterzeichnen die Staats- und Regierungschefs in Rom den Entwurf einer Europäischen Verfassung. Franzosen und Niederländer lehnen die Verfassung in Referenden ab, die deshalb nicht zustande kommt.
2007 treten mit Rumänien und Bulgarien zwei weitere ehemalige „Ostblock“-Länder bei. Im selben Jahr wird der Vertrag von Lissabon unterzeichnet; er tritt 2009 in Kraft.
2013 erfolgt der Beitritt des ebenfalls aus dem ehemaligen föderativen Jugoslawien heraus gebrochenen Kroatien.
2015 sorgen in Griechenland „Hilfspakete“ mit „Sparauflagen“ der EU für große soziale Verwerfungen
2021 verlässt das Vereinigte Königreich die EU und tritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion aus. Vorausgegangen war ein 2016 durchgeführtes Referendum, bei dem in London, Schottland und Nordirland mehrheitlich für den Verbleib in der EU votiert wurde.