Gedenken an NS-„Euthanasie“-Verbrechen und Zwangssterilisationen in Konstanz

geschrieben von Katrin Brüggemann

19. April 2024

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Foto: © Sabine Bade

Konstanz, die größte Stadt am Bodensee, tut sich schwer mit der Aufarbeitung von NS-Verbrechen, vor allem jener der „Euthanasie“ und Zwangssterilisierungen. 1983 geriet der Ort überregional in die Medien, weil deren von Amtskontinuitäten geprägte Verwaltung über 40 Jahre lang annähernd 200 Urnen von „Euthanasie“-Opfern würdelos im Keller des Krematorium des Hauptfriedhofs verbarg, ohne die Hinterbliebenen davon zu verständigen. Und als im Juni 2022 das städtische Rosgartenmuseum seine neue Dauerausstellung „Konstanz im Nationalsozialismus 1933–1945“ eröffnete, war nicht eine einzige der vielen Ausstellungstafeln dieser sehr großen Konstanzer Opfergruppe gewidmet. Aus Platzgründen, wie es hieß.

Um diese Lücke zu füllen, erarbeitete die von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragene Initiative „Stolpersteine für Konstanz – Gegen Vergessen und Intoleranz“ eine eigene Ausstellung, die vom 27. Januar bis zum 31. März 2024 im Gewölbekeller des Konstanzer Kulturzentrums zu sehen war. Sie stieß auf reges Interesse und wurde auch von vielen Schulklassen besucht. Unter dem Motto „Es konnte alle treffen“ widmete sie sich den weit über dreihundert Konstanzerinnen und Konstanzer, Frauen und Männer, Jugendliche und Kinder, die zwischen 1934 und 1945 Opfer von Zwangssterilisationen und „Euthanasie“-Morden wurden. Weil sie die Fürsorgekassen belasteten, nicht den vermeintlich nötigen Bildungsstand aufwiesen, weil sie krank waren oder von der im Nationalsozialismus geltenden sozialen oder ideologischen Norm abwichen. Es konnte alle treffen in einem System, das den Wert eines Menschen anhand seiner volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und seiner „erbbiologischen Qualität“ bemaß.
Die Ausstellung konnte auf dem jüngst erschienenen „Gedenkbuch für die Konstanzer Opfer

von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen 1934–1945“ fußen. Die Politikwissenschaftlerin Sabine Bade und der pensionierte Lehrer Roland Didra – dessen Großmutter in der Mordanstalt Grafeneck im Rahmen der „Aktion T4“ vergast wurde – haben dafür alle im Staatsarchiv Freiburg verwahrten Akten des Erbgesundheitsgerichts Konstanz analysiert, um die genaue Anzahl der Konstanzer Zwangssterilisierten zu ermitteln. So konnten sie nicht nur die Schicksale dieser ersten Opfer des NS-Regimes darstellen und aufzeigen, wie leicht man damals in die verhängnisvollen Mühlen dieser Programme zur „Aufartung zum Schutz der deutschen Volksgesundheit“ hatte geraten können, sondern auch die Namen der Opfer nennen. Die bisher ermittelten Konstanzer Frauen, Männer und Kinder, die Opfer des von den Nazis mit dem euphemistischen Ausdruck „Euthanasie“ („guter“, „süßer“ oder auch „schöner Tod“) belegten Mordprogramms wurden, werden im Gedenkbuch jeweils mit Biogrammen gewürdigt.

Die Ausstellung beleuchtete dieses bislang vernachlässigte Kapitel der Stadtgeschichte, skizzierte die historischen Hintergründe und benannte lokale Akteure.

Zwar gibt es für die Konstanzer Opfer der „Euthanasie“-Verbrechen im Gegensatz zu anderen Städten vergleichbarer Größe und NS-Belastung nach wie vor keinerlei Gedenkstätte, keinen Erinnerungsort. Aber zumindest für die Opfer der Zwangssterilisationen wird auf Anregung der Stolperstein-Initiative der Künstler Gunter Demnig am 19. Mai 2024 vor dem Amtsgericht Konstanz, in dem das Konstanzer Erbgesundheitsgericht tagte, eine Stolperschwelle verlegen:

ERBGESUNDHEITSGERICHT KONSTANZ 1934 – 1945
DIE RICHTER – ÄRZTE UND JURISTEN – ORDNETEN HIER
DIE ZWANGSSTERILISATION
VON UNGEFÄHR 1.000 FRAUEN, MÄNNERN, JUGENDLICHEN
AUS DEM GESAMTEN KREIS AN
MINDESTENS 291 DAVON AUS KONSTANZ