Antifaschist der ersten bis zur letzten Stunde

1. August 2024

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Dieter Lachenmayer über Alfred Hausser

Ich lernte Alfred in den 70er Jahren kennen. Als Ferienjobber bekam ich damals als Mitglied im MSB Spartakus einen Job. Zusammen mit einer Genossin sollten wir in Vorbereitung der VVN Landesdelegiertenkonferenz eine Ausstellung über neofaschistische Aktivitäten in Baden-Württemberg gestalten. Das taten wir mit Eifer und Freuden. Wir wurden wie selbstverständlich in die morgendlichen Frühbesprechungen einbezogen, an der Alfred als Landesvorsitzender und die kleine Handvoll der Beschäftigten der Landesgeschäftsstelle teilnahmen. Dabei ging es um viele Dinge, über die wir als linke Studenten Bescheid wussten wie Demos und Blockadeaktionen gegen die NPD, die damals in Fraktionsstärke im Landtag saß, Aber auch um vieles, von dem wir keine Ahnung hatten: um die Vorbereitung von Gedenkveranstaltungen, um Altnazis, die weiterhin hohe Ämter innehatten, um die Pflege von Kontakten mit Gewerkschaften und anderen Bündnispartnern. In allen Themen kannte sich Alfred aus, wie kein anderer.

Alfred war seit seiner Jugend aktiver Gewerkschafter. Bereits während seiner Lehre in einem Bad Cannstatter Metallbetrieb wurde er Mitglied des Deutschen Metallarbeiter-Verbands und organisierte sich als Jugendvertrauensmann mit seinen Lehrlingskollegen. Im Kampf gegen den Faschismus stand er immer mit an vorderster Front. Am 29. Juli 1936 wurde er vom „Volksgerichtshof“ in Berlin wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Diese Strafe saß er in Ludwigsburg ab, in einem Zuchthaus, das er später dann im Nachkriegsdeutschland wegen seinem Engagement gegen den Koreakrieg erneut von innen sehen würde.

Alfred gehörte nach der Befreiung zu den Gründerinnen und Gründern der VVN, engagierte sich weiterhin für Demokratie und Frieden.

Alfred rettet die VVN

In Zeiten des Kalten Krieges machte sich die VVN mit ihrer Unterstützung der Kampagnen gegen die Wiederbewaffnung, der „Ohne uns“-Bewegung und dem Kampf gegen die geplante Atombewaffnung der Bundeswehr nicht nur Freunde. Auch ihre Kampagnen gegen die Altnazis in hohen Regierungsämtern wie Adenauers Staatssekretär im Kanzleramt, dem führenden Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, Globke und dem „Vertriebenen“-Minister Oberländer, über dessen Kriegsverbrechen die VVN im Sommer 1959 Dokumente vorlegte trugen dazu bei, dass nach unterschiedlichen Repressionsmaßnahmen gegen die VVN in einzelnen Bundesländern im am 20. Oktober 1959 eine Verbotsantrag gegen die VVN beim Bundesverwaltungsgerichtgericht stellte.

Die entscheidende mündliche Verhandlung fand am im November 1962 in Berlin statt. Der Gerichtssaal war voll besetzt von internationalen Beobachtern und Korrespondenten, aber auch von solidarischen Kameradinnen und Kameraden aus der VVN.

Einer von Ihnen erhob sich kurz nach Beginn der Verhandlung in den Zuschauerrängen, schwenkte ein dickes Aktenbündel und rief laut und deutlich vernehmbar: „Herr Richter, Sie sind ein alter Nazi! Hier sind die Beweise“. Nach bestürzter Unruhe im Saal fragte der Richter schließlich, wer sich diesen Vorwurf zu eigen machen wollte. Der anklagende Staatsanwalt verneinte, der Verteidiger der VVN, der wohl einen geordneten Prozess führen wollte, ebenfalls. Da erhob sich spontan Alfred als Vertreter der Prozesskommission der VVN: „Wir machen uns diesen Vorwurf zu eigen!“ Der Prozess wurde vertagt und entgegen aller juristischen Regeln bis heute nicht wieder aufgenommen.

Wiedergutmachung und Entschädigung

Vor und nach dem Prozess war Alfreds Hauptanliegen die Durchsetzung der Rechte der Betroffenen in Fragen der sogenannten „Wiedergutmachung“. Er war amtlich als Rechtsbeistand in diesen Fragen zugelassen. Vielen Hunderten von physisch und psychisch gequälten Menschen hat er geholfen, ihren Anspruch auf Entschädigung durchzusetzen und oft mühselig zu erkämpfen. Von „Wiedergutmachung“ im Wortsinne konnte natürlich keine Rede sein. Aber Alfred war es schwer erträglich, wenn die Behörden um die mageren Beträge, die den Betroffenen wenigstens ein materiell gesichertes Leben ermöglichen sollten, immer wieder knauserten, mit neuen Einwänden und Anforderungen die Auszahlung verzögerten.

Immer wieder wurde er auch in Schulklassen eingeladen, um seine Erfahrungen aus der Zeit des Faschismus und des Widerstandes zu berichten. Das hatte für ihn vor allen anderen Aufgaben, stets Priorität.

Nach der Wende: Kampf um die Erhaltung der VVN-BdA

Inzwischen war ich nach Abschluss meines Studiums mit Berufs und Ausbildungsverbot belegt, Funktionär der Friedensbewegung geworden. Alfred nahm nicht nur engagiert an den vielen Sitzungen und Beratungen teil. Vor jeder Aktion oder Demo kam er persönlich im Friedensbüro vorbei, um die Flyer für die Friedensinitiative Untertürkheim in seinem Wohngebiet, abzuholen, aber auch – ganz beiläufig – um die anstehenden Aktionen mit mir abzusprechen.

Und dann passierte 1989. Alles war im Umbruch! Die sozialistischen Staaten waren verloren, die VVN in Gefahr. Alfred Hausser war seit 1932 Mitglied der kommunistischen Partei, davor Mitglied im kommunistischen Jugendverband. Wie die meisten Antifaschisten, zog er aus dem Hitlerfaschismus die Lehre, dass die antifaschistische Einheit, deren Errichtung und Erhaltung stets oberstes Ziel der VVN war, um jeden Preis zu verteidigen ist.

Alfred kämpfte daher darum, die VVN-BdA zusammenzuhalten. Er kämpfte gegen alle Versuche, sie zu vereinnahmen oder gar aufzulösen. Wie wir heute wissen, war er zusammen mit vielen MitstreiterInnen erfolgreich.

Nach seinem Ausscheiden als Landesvorsitzender wurde er zum Ehrenvorsitzenden der VVN-BdA in Baden Württemberg und zum Ehrenpräsidenten der Bundesvereinigung gewählt.

1992 kam ich wieder ins Spiel: Der bisherige Landesgeschäftsführer der VVN-BdA Baden-Württemberg hatte gekündigt. Irgendwer kam auf die Idee, mich zu fragen, ob ich das Erbe antreten will. Alfred, der mich ja kannte, gehörte zu denen, die mich entgegen erstem Sträuben überzeugten.

Entschädigung für Zwangsarbeit

Seither habe ich Alfred richtig kennengelernt. Obwohl er schon lange in Rente war, erschien er lange vor meiner morgendlichen Zeit mit seiner Lebensgefährtin Ilse jeden Tag im Büro. Er sprach die anliegenden Dinge mit mir durch, hauptsächlich aber korrespondierte er weiterhin intensiv mit AntragstellerInnen für Wiedergutmachung.

Auch Alfred selbst wurde unter den Faschisten während seiner Einzelhaft zur Zwangsarbeit gezwungen. Diese musste er für gerade einmal 40 Pfennige pro Tag für den Bosch-Konzern leisten. Leidenschaftlich kämpfte er um Anerkennung des von ihm selbst erlittenen Unrechts der Zwangsarbeit und Entschädigung für die Betroffenen, die ihnen deutsches und internationales Recht nur in wenigen Ausnahmefällen gewährt hatte.

Im Januar 1986 fasste das Europäische Parlament eine einstimmige Entschließung, dass ehemalige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen Anspruch auf Nachzahlung des einbehaltenen Lohnes haben und forderte die deutsche Industrie auf, diese Pflicht baldigst zu erfüllen.  Um dafür Druck von unten zu entfalten, lud die VVN-BdA auf Alfreds Initiative im Mai des Jahres zu einem Treffen von Betroffenen nach Frankfurt ein, an der 200 von Zwangsarbeit betroffene Menschen teilnahmen und die „Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime“ gründeten. In ihren 5-köbfigen Vorstand wurde Alfred Hausser gewählt, der dann auch fortan die Hauptarbeit leistete.

Solcher Druck war notwendig und wurde auch mit Unterstützung von Gewerkschaften und Organisationen wie Aktion Sühnezeichen u. A. von Alfred immer an vorderer Stelle organisiert.

Dennoch dauerte es fast noch 15 Jahre bis er Wirkung zeigte: Erst am 12. August 2000, 55 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, wurde durch ein Bundesgesetz die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) gegründet, um den bis dahin überlebenden ZwangsarbeiterInnen eine bescheidene Entschädigung in Form einer Einmalzahlung zu gewähren.

Viele Menschen aus dem Ausland, wandten sich schriftlich an Alfred mit der Bitte Ihnen zu dieser Zahlung zu verhelfen. Keinen ließ er im Stich. Mit endloser Geduld korrespondierte er mit ihnen, beriet sie und schickte Ihnen Antragsformulare. Die Regale im VVN-Büro füllten sich mit unzähligen Aktenordnern voll mit Alfreds Korrespondenzen in Sachen Zwangsarbeit.

Alfred schreckte auch nicht davor zurück, sich mit der Stuttgarter Nobelfirma Bosch anzulegen. Das tat er für all jene, die ebenso wie er selbst in seiner Haftzeit die Ausbeutung durch den internationalen Konzern zu ertragen und erleiden hatten. Alfreds Kampf galt vorrangig der –zumindest moralischen – Anerkennung der Verantwortung hierfür durch die Geschäftsleitung. Denn anders als Konzerne wie Daimler oder VW konnte sich Bosch bisher nicht auch nur zu einer Entschuldigung durchringen.

Er erörterte mit mir alle weiteren Aufgaben der VVN, die nächste Vorstandssitzung, die nächste Gedenkfeier, Demo, Veranstaltung…

Er schrieb seine Reden zu den Veranstaltungen und Aktionen, notgedrungen auch immer häufiger Nachrufe auf seine verstorbenen Kameradinnen und Kameraden aus dem Widerstand.

Alfred hat mich beindruckt und als Antifaschisten geprägt und ich denke, ich bin da nicht der Einzige.

Wir ehren ihn zurecht mit dem Alfred-Hausser-Preis.

Und wir werden ihn nicht vergessen!