In der Logik des nächsten Krieges
29. Oktober 2024
Zur Ermordung unseres Kameraden Anton Hummler am 25. September 1944
Biographische Details entstammen den Recherchen der Stuttgarter Stolpersteininitiative (Wolfgang Kress, Stolperstein-Initiative Stuttgart-West/ Oktober 2007). Wir danken den Freundinnen und Freunden vielmals für ihre Recherchen.
Kein Unrecht währt ewig. So muss auch den Hitlerfaschisten im Verlaufe des Jahres 1944 klar geworden sein, dass ihre Tage bald gezählt sein würden. Drei Jahre war es her, dass die Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel; zwei Jahre, in denen auch die letzten Hoffnungen auf einen raschen Sieg gegen die Sowjetarmee, auf den die Hitlerfaschisten angewiesen waren, langsam erlöschen mussten. Am 25. September 1944, weniger als neun Monate vor der Befreiung, nahmen sie uns Anton Hummler.
Der am 12. Februar 1908 im Schweizer Kanton St. Gallen geborene Antifaschist lebte ab 1927 in Stuttgart. Dort war er die meiste Zeit als Maschinenarbeiter beim Bosch-Konzern beschäftigt. Seit 1929 war er Mitglied des Arbeitersportvereins „Rote Sportler“. 1930 wurde er Mitglied des Kampfbunds gegen den Faschismus und der Kommunistischen Partei. Mit seiner Frau Frieda zog er einen Sohn und zwei Töchter groß.
Gemeinsam mit seinem guten Freund Max Wagner bildete er einen Kreis an Regimegegnern, die gemeinsam über ein Funkgerät den sogenannten Feindsendern – unter anderem aus London und Moskau – lauschten. Ihre Runde wuchs schnell zu einer Gruppe von rund 30 Personen, die gemeinsam über die Nachrichten aus den anderen Ländern diskutierten und versuchten, sich so über die politischen Geschehnisse zu informieren. Gegen 1942 entwickelte sich dieser Kreis zunehmend zu einer politischen Organisation. Unter Anleitung des Berliner Antifaschisten Heinz Bogdan strebten Anton und Max die Bildung einer Widerstandsgruppe in Stuttgart an.
Allerdings gelang es der Gestapo, mit Emil Erath einen Spitzel in ihren Zirkel einzuschleusen. Ende September 1943 wurden Anton, Max und andere Mitglieder des Kreises verhaftet. Seitdem musste Frieda sich alleine unter widrigsten Bedingungen um die Kinder des Paares kümmern. Anton hatte stets versucht, seine Familie nach besten Möglichkeiten in Schutz zu nehmen, was dennoch aber nicht immer gelang. Die Gestapo versuchte während seiner Haft, aus Anton Namen seiner Kameraden rauszuholen, doch er blieb bis zum Schluss standhaft. Seine Frau Frieda kam nach jedem Verhör von Anton im Hotel Silber vorbei, um seine blutverschmierte Wäsche abzuholen und zu waschen. Nach einem dieser Verhöre entdeckte sie eine versteckte Notiz von Anton: „Erath ist der Verräter“. Diese Information reichte sie so vielen ihrer Bekannten weiter, wie nur irgendwie möglich. Mit Erfolg, wie sie nach dem Krieg erfuhr: Anton und Frieda hatten Leben gerettet.
Doch leider konnte Anton selbst den Sieg über den Hitlerfaschismus nicht mehr miterleben. Seine Hinrichtung so kurz vor der Befreiung mag wie ein letzter Verzweiflungsakt der Faschisten erscheinen. Sie reiht sich ein in die Ermordung Ernst Thälmanns im August 1944 – auf direkten Befehl Adolf Hitlers – und reiht sich ein in die industrielle Massenvernichtung in den Konzentrationslagern noch bis kurz vor Kriegsende und obwohl dadurch gigantische militärische Ressourcen gebunden wurden.
Doch heute wissen wir, was die Faschisten zu diesem Morden so kurz vor der Befreiung trieb. So unvorstellbar wie es für uns – die den Faschismus und seine Schrecken nicht miterlebt haben – auch klingen mag, wissen wir, dass nach der Befreiung von Krieg und Faschismus kaum ein Widerstandskämpfer gebrochen war. Wir wissen, wie Alfred Hausser direkt nach 1945 um den Aufbau einer antifaschistischen Jugendorganisation bemüht war, wir wissen, wie er seine Agitation gegen die neuen Kriege fortsetzte – bis es ihn wieder in dasselbe Zuchthaus verschlug, in dem er schon unter Hitler gesessen hatte. Wir wissen, wie viele unserer Gründerinnen und Gründer mit ihm den Kampf um den Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit energisch fortsetzten.
Bereits zu Beginn des Jahres 1943 kam es, wie heute bekannt ist, zu Verhandlungen zwischen dem Leiter der Europasektion des US-amerikanischen Geheimdienstes OSS Allen Dulles und Personen des „Reichssicherheitshauptamt“ unter Leitung Heinrich Himmlers über eine mögliche Teilkapitulation der Faschisten. Denn als sich das Ende des Naziregimes abzeichnete, wurde auch auf US-amerikanischer Seite klar, dass es nun wieder um die Frontstellung gegen die Sowjetunion ginge. Auch die Faschisten müssen gewusst haben, dass die USA durchaus Deutschland als Bündnispartner in dieser Konstellation akzeptierten. Ihre Devise gegen Kriegsende lautete folglich, an der Ostfront zu vernichten, was noch zu vernichten war, und an der Heimatfront jeglicher revolutionärer Nachkriegsstimmung die Köpfe zu rauben.
Was wäre, wenn Anton den Faschismus überlebt hätte? All jene, die zur Nachkriegszeit die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes zunichtemachen wollten, die die militärische Westeinbindung vorantreiben wollten, antifaschistische Bestimmungen im Grundgesetz aushöhlen, das Streikrecht einschränken, Deutschland für den nächsten Krieg vorbereiten wolten, sie hätten einen erbitterten Feind gehabt – und wir einen tapferen Verbündeten: im Kampf gegen die Remilitarisierung, gegen die Berufsverbote, für ein antimilitaristisches, antinazistisches, antimonopolistisches Deutschland. Ihm und all jenen, die die Befreiung nicht mehr miterleben konnten, ein ehrendes Andenken zu bewahren, bedeutet ihren Kampf weiterzuführen.
Für seine Standhaftigkeit bis zum Schluss, für die Rettung vieler seiner Kameradinnen und Kameraden vor der Ermordung, für seinen Einsatz für seine Familie, das Großziehen seiner Kinder, von denen wir Heinz Hummler bis heute in den Reihen der VVN-BdA zu schätzen wissen, und für seine Verdienste in der antifaschistischen Aufklärungsarbeit bleibt uns Anton Hummler für immer Vorbild und Wegweiser.